Die WM boykottieren? Philosophen antworten
Tote Arbeiter beim Bau der Stadien, eine verheerende ökonomische Bilanz und Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land. Sollte man als Zuschauer die Fußball-WM in Katar boykottieren, die in wenigen Wochen beginnt? Vier Philosophen geben Antworten.
Kantianischer Rigorismus
Boykottieren, um nicht mitschuldig zu werden: Immanuel Kant legt bedeutende Teile seiner Ethik in seiner 1785 erschienenen Schrift Grundlegung der Metaphysik der Sitten dar. Der deutsche Philosoph fasste sie als das zusammen, was er einen kategorischen Imperativ nennt: eine unbedingte Regel, deren Einhaltung unter allen Umständen garantiert sein muss. Obwohl er im Laufe des Buches mehrere Formulierungen anführt, ist die folgende sicherlich die interessanteste, um über den Boykott nachzudenken: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ Ein Satz, der uns dazu auffordert, jeden Menschen als Zweck an sich und nicht nur als Instrument zu betrachten, unabhängig davon, in welcher Situation wir uns befinden. Als vernünftiges Wesen ist der Mensch eine Person: Sein Wert ist unschätzbar und entsprechend kann er nicht wie ein Objekt behandelt werden.
Diese unveräußerliche Würde des Menschen scheint Katar den 6.500 verstorbenen Arbeitern, die als Werkzeuge benutzt wurden, um acht monumentale Stadien zu bauen, abgesprochen zu haben. Da Kant dies zweifellos scharf verurteilt hätte, würde er dann auch den Zuschauer der Weltmeisterschaft anklagen, der nicht an ihrer Realisierung beteiligt war? Schließlich trägt jeder Zuschauer zur Finanzierung des Spektakels bei, wenn er die Spiele verfolgt.
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