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Bild: Kinga Cichewicz (Unsplash)

Impuls

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so mütend bin

Lisa Friedrich veröffentlicht am 29 April 2021 4 min

Um die pandemische Grundstimmung auf den Punkt zu bringen, sind neue Wörter entstanden: „mütend“ im Deutschen, „languishing“ im Englischen. Beide weisen Ähnlichkeiten zu einem Gefühl auf, mit der die Philosophie sich immer wieder beschäftigte: die Melancholie.

 

„Ich bin eigentlich so wütend, dass ich schreien könnte – tatsächlich hab’ ich gar keine Kraft mehr um zu schreien.“ Mit dieser Aussage antwortete jüngst eine Leserin auf die Aufforderung von ZEIT-Online, ihren aktuellen pandemischen Gemütszustand zusammenzufassen. Die Antwort beschreibt ein Gefühl, das viele Menschen nach 13 Monaten Pandemie teilen, nach zahlreichen gescheiterten Versuchen des Lockdown Light, einem Hin und Her der Ministerpräsident:innen, Maskenskandalen und anfänglichem Impfdebakel, Home Office und Kontaktbeschränkungen. Mittlerweile gibt für dieses dumpfe Gefühl sogar ein Wort: mütend. Es ist die neuste Ergänzung in der Reihe von Neologismen, die die Pandemie hervorgebracht hat: nicht depressiv, sondern kraftlos; nicht in Rage, sondern ohne Antrieb - mütend eben; ein Zustand des Dazwischen, ein Oszillieren zwischen zwei vermeintlichen Gegensätzen auf der Emotionsskala.

Auch das Englische hat ein entsprechendes Wort aus der Tiefe der psychologischen Forschung gehoben, um dem pandemischen Gefühlszustand einen Namen zu geben: languishing. Der Begriff, der ursprünglich bereits Anfang der 2000er Jahre von dem Soziologen Corey Keyes geprägt wurde, beschreibt ebenfalls einen Zwischenzustand: nicht depressiv, aber auch nicht glücklich oder zuversichtlich. Von der New York Times wurde das Gefühl als „das vernachlässigte Dazwischenkind der mentalen Gesundheit“ beschrieben. Wo während des ersten Lockdowns noch hoffnungsvolle Zukunftsszenarien gesponnen und von einer grüneren Welt geträumt wurde, wo die Suche nach neuen Hobbys wie Stricken, Backen, Joggen und Yoga das Gebot der Stunde waren, ist die Euphorie bei vielen einem Gefühl zwischen Wut und Erschöpfung gewichen.

 

Das Ich ist leer

 

Sowohl mütend als auch languishing erinnern dabei an ein weiteres Gefühl, mit dem sich die Philosophie immer wieder intensiv auseinandergesetzt hat: die Melancholie. Melancholía kommt aus dem Griechischen, aus der Zusammensetzung der Wörter melas (μέλας) und cholḗ (χολή) und bedeutet wörtlich übersetzt „Schwarzgalligkeit“. Auch als Weltschmerz bezeichnet, stammt es ursprünglich aus der medizinischen Tradition der Viersäftelehre. Traditionell zeichnet sich die Melancholie durch einen starken Kontrast von extremer Niedergeschlagenheit und süßlicher Schaffenskraft aus. Gerade in der Romantik ist sie daher viel beschrieben und gepriesen worden, zum Beispiel von Heinrich Heine, der in seinem Gedicht Die Lore-ley auf traurig-süßliche Weise den Schiffbruch eines Seefahrers als Symbol für verschmähte Liebe besingt. Melancholie ist Marter und Muse zugleich.

Sigmund Freud beschreibt die Melancholie in seinem Aufsatz Trauer und Melancholie indes als „eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstgefühls.“ Trauer und Melancholie entspringen für ihn gleichermaßen im Verlust eines Objekts, zum Beispiel einer geliebten Person oder auch der Freiheit. Anders als bei der Trauer ist der Objektbezug bei der Melancholie jedoch unbekannt oder unbewusst. Während wir also beispielsweise um den Verlust einer geliebten Person trauern, sind wir uns des verlorenen Objekts im Zustand der Melancholie nicht unbedingt vollständig bewusst, der Verlust entzieht sich dem Bewusstsein. Aufgrund der Unfähigkeit, das Objekt zu betrauern kommt es, kurz gesagt, zu einer Verlagerung der Libido in das Subjekt selbst. Für Freud besteht also das Widersprüchliche der Melancholie darin, dass die eigentlich notwendige Trauer um das verlorene Objekt ausbleibt und das Subjekt seine schmerzlichen Gefühle stattdessen als Wut gegen sich selbst richtet. Er stellt fest: „Bei der Trauer ist die Welt arm und leer geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst“.

 

Diffuser Objektbezug

 

Sicherlich gibt es auch erhebliche Unterschiede zwischen beiden Zuständen. Einerseits zeichnet sich das pandemische Gefühl der Mütendheit ja gerade durch den Verlust der Schaffenskraft aus. Anderseits scheint die verhohlene Wut, die damit einhergeht, sich nicht in erster Linie gegen das Subjekt selbst zu richten, sondern auch gegen die teils unverständlichen oder als ungerecht empfundenen politischen Maßnahmen. Doch gerade in dem diffusen Objektbezug zeigt sich eine deutliche Parallele zur aktuellen Situation. Denn auch die Pandemie geht mit einem Verlust von etwas einher, das sich nicht eindeutig umschreiben lässt. In vielerlei Hinsicht ist das Leben leerer geworden, ohne das sich dies an einen einzigen, konkreten Aspekt rückbinden ließe. Die Unmöglichkeit, dieses verlorene Objekt zu fassen, geht für Freud mit der Unmöglichkeit einher, es zu betrauern und es nach geleisteter Trauerarbeit gehen zu lassen. Man könnte die Demonstrationen der „Querdenker“ in diesem Sinne als verzweifelten Versuch deuten, ihrer Wut ein Objekt zu geben. Für die meisten jedoch stellt sich die Situation als wesentlich komplexer, die Abwägung widerstreitender Interessen komplizierter dar, weswegen sie nicht einfach wütend – sondern eben mütend sind. •

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