Jean Ziegler: „Jedes Kind, das verhungert, wird ermordet“
Heute feiert Jean Ziegler seinen 90. Geburtstag. 2020 sprachen wir mit dem Soziologen, der acht Jahre als Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung bei der UN tätig war. Im Interview erläutert er, wie der Welthunger seiner Ansicht nach schon morgen gestoppt werden könnte.
Herr Ziegler, 2020 hat das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen den Friedensnobelpreis erhalten. Verdient?
Hochverdient! Und vor allem zu diesem Moment auch hochwillkommen. Das Welternährungsprogramm ist zwar die vermutlich effizienteste Spezialorganisation der Vereinten Nationen und hat alleine im letzten Jahr 93 Millionen Menschen am Leben erhalten hat, dennoch fehlen immer wieder die Mittel, weil das Programm ausschließlich vom Geld der Geberstaaten abhängt. Diese jedoch ziehen sich vermehrt aus der Verantwortung. Sei es aufgrund der Kapitalismuskrise 2008 oder jetzt wegen der Coronakrise. Hunger ist menschengemacht. Und dass alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren verhungert, ist erstens der größte Skandal unserer Zeit und könnte zweitens morgen ein Ende finden. Darauf weist dieser Nobelpreis hin. Zu hoffen ist nur, dass das Mehr an Aufmerksamkeit auch zu einem Mehr an Verantwortungsgefühl der Geberstaaten und damit zu mehr Mitteln für das Programm führt.
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Judith Butler und die Gender-Frage
Nichts scheint natürlicher als die Aufteilung der Menschen in zwei Geschlechter. Es gibt Männer und es gibt Frauen, wie sich, so die gängige Auffassung, an biologischen Merkmalen, aber auch an geschlechtsspezifischen Eigenschaften unschwer erkennen lässt. Diese vermeintliche Gewissheit wird durch Judith Butlers poststrukturalistische Geschlechtertheorie fundamental erschüttert. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist für Butler ein Effekt von Machtdiskursen. Die Fortpf lanzungsorgane zur „natürlichen“ Grundlage der Geschlechterdifferenz zu erklären, sei immer schon Teil der „heterosexuellen Matrix“, so die amerikanische Philosophin in ihrem grundlegenden Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“, das in den USA vor 25 Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Seine visionäre Kraft scheint sich gerade heute zu bewahrheiten. So hat der Bundesrat kürzlich einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der eine vollständige rechtliche Gleichstellung verheirateter homosexueller Paare vorsieht. Eine Entscheidung des Bundestags wird mit Spannung erwartet. Welche Rolle also wird die Biologie zukünftig noch spielen? Oder hat, wer so fragt, die Pointe Butlers schon missverstanden?
Camille Froidevaux-Metteries Essay hilft, Judith Butlers schwer zugängliches Werk zu verstehen. In ihm schlägt Butler nichts Geringeres vor als eine neue Weise, das Subjekt zu denken. Im Vorwort zum Beiheft beleuchtet Jeanne Burgart Goutal die Missverständnisse, die Butlers berühmte Abhandlung „Das Unbehagen der Geschlechter“ hervorgerufen hat.
Der Wertejongleur – Max Scheler zum 150. Geburtstag
Max Schelers Ansichten zum Krieg wandelten sich vom Befürworter zum Pazifisten. Gerade im Hinblick auf heutige Debatten macht ihn seine Offenheit für unterschiedliche Perspektiven zu einem wichtigen Denker des Ressentiments. Gestern jährte sich der Geburtstag des Philosophen zum 150. Mal.

Jean-Vincent Holeindre: „Für Europa steht seine eigene Existenz auf dem Spiel“
Der Philosoph, Professor für Politikwissenschaft und Spezialist für Militärstrategie Jean-Vincent Holeindre erläutert im Interview, warum Putins Invasion der Ukraine als Angriff auf die Idee der liberalen Demokratie insgesamt zu verstehen ist.

QRT: Der Tech-Druide
Wie kaum jemand hat er das Westberliner Lebensgefühl der 1980er- und 90er-Jahre auf den Begriff gebracht: QRT war Mythologe, Heldenforscher und Beschleunigungsphilosoph und pflegte ein wildes Denken. Heute wäre er 60 Jahre alt geworden.

Leben und Werk im Widerspruch: Jean-Jacques Rousseau
In dieser Reihe beleuchten wir Widersprüche im Werk und Leben großer Denker. Heute: Jean-Jacques Rousseau, der trotz seiner radikalen Erziehungsideale seine eigenen Kinder ins Waisenhaus gab.

Familie - Zuflucht oder Zumutung?
Der Herd ist noch an. Es fehlen einige Gabeln sowie Tante Barbara, die wieder „im Stau“ steckt. Egal. Anfangen, „bevor das Essen kalt wird“, mahnt meine Mutter wie jedes Jahr. Vor allem aber: „Langsam essen!“ Vater hat derweil schon den zweiten Bissen im Mund. Der Neffe spielt unter der Tischplatte auf seinem Smartphone. Meine Schwester versetzt ihm dezent einen Tritt. Der Schwager zischt: „Lass ihn doch einfach!“ Dass die Flüchtlingskrise als Thema tabu ist, hatten wir im Vorfeld per Rundmail zwar ausdrücklich vereinbart, aber was interessiert das schon Onkel Ernst? Denn erstens hat er kein Internet und zweitens kein anderes Thema. Ein verzweifelter Blick auf die Uhr. Und zur Gattin. Noch 22 Stunden und 34 Minuten, bis der Zug zurück nach Hause fährt. Durchhalten. Frieden wahren. Schließlich ist heute Weihnachten. Und das hier meine Familie.
Jean-Luc Nancy: „Freunde sind Geister“
Jean-Luc Nancy, einer der wichtigsten Philosophen der Gegenwart, ist am Montag im Alter von 81 Jahren verstorben. In diesem Sommer sprach er mit uns in einem seiner letzten öffentlichen Interviews über Freundschaft. Wir veröffentlichen das Gespräch hier erstmals in deutscher Übersetzung.
