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Bild: Joshua Hoehne (Unsplash)

Rückblick 2025

Lexika aus dem Jahr

Philomag Redaktion veröffentlicht am 31 Dezember 2025 5 min

Einige Begriffe haben in dem nun endenden Jahr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sechs davon haben wir für unsere Hefte ausgewählt und jeweils mit Deutungen versehen. Ein Rückblick.

 

Aisymnetie  (f)


Gilt in polarisierten Gesellschaften: Alle Macht den Schlichtern?

Schon Aristoteles schrieb in seiner „Política“ über das Streitschlichten und verwendete dabei den Begriff Aisymnetie, welcher die Herrschaft der Schlichtenden bezeichnet. Im antiken Griechenland kamen diese demokratisch gewählten und unabhängigen politischen Führer in Krisenzeiten zur Hilfe und verfügten temporär über alleinige Macht. Auch heute schlüpfen Politiker und Politikerinnen in die Rolle der Schlichtenden, wenn Turbulenzen auftreten. So etwa der italienische Präsident Mattarella, der 2018 durch dreimonatige Verhandlungen zur Regierungsbildung zwischen der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung verhalf. Ähnlich verhielt es sich in Deutschland bei der Bundestagswahl 2017, als Bundespräsident Steinmeier die SPD überzeugte, erneut eine Große Koalition mit der CDU zu bilden. Angesichts des Zerwürfnisses zwischen den ehemaligen Ampelparteien sowie einer stärker werdenden AfD stellt sich die Frage, ob die Zukunft polarisierter Gesellschaften womöglich in der Herrschaft der Schlichtenden liegt. / Arlene Güthenke

 

Kompromiss  (m)


Wenn zwei sich streiten, braucht es ein Drittes – das keiner so richtig gewollt hat

Wenig Konsens bedarf vieler Kompromisse. Kindergrundsicherung, Heizungsgesetz, eine große Lücke im Haushalt und langwierige Verhandlungen. In der Ampel­koalition wurde viel gestritten, und auch nach einem Beschluss bleibt die Stimmung angespannt. Denn Kompromissfindung bedeutet Zugeständnisse machen. Und zwar so lange, bis man den gemeinsamen Nenner findet. Ist der gemeinsame Nenner klein, sind die Zugeständnisse groß – und mit ihnen die Unzufriedenheit. Denn ein guter Kompromiss tut weh – und bedeutet Verzicht. Der israelische Philosoph Avishai Margalit sagt: „Ein guter Kompromiss teilt das Trennende auf.“ Das bedeutet: Ein Kompromiss schneidet auch tief ins eigene Fleisch, sonst ist es keiner. In der Ampel war das „Trennende“ schließlich größer als das Verbindende, die Basis für Kompromissfindung zu klein. Doch so schmerzhaft Kompromisse auch sind, sie dürfen weder mit Gleichgültigkeit noch mit echtem Konsens verwechselt werden – vielmehr zeugen sie von einem entschlossenen Willen, sich im Leid seiner Uneinigkeit die Hände zu reichen und an einer Lösung zu arbeiten. / Charlotte Littgen

 

Disruption  (f)


Können Brüche die Welt verbessern?

„Zerstörung ist notwendig, damit Neuordnung stattfinden kann“, schrieb der Ökonom Joseph Schumpeter. Dieser Leitsatz scheint derzeit vielen Politikern als Orientierung zu dienen. Das zeigt sich etwa in Trumps Zollpolitik, die die amerikanische Wirtschaft stärken soll, oder in Merz’ Asylpolitik, die Deutschland durch Abriegelung sicher machen soll. Diese plötzlichen Veränderungen zielen darauf ab, innerhalb kürzester Zeit gesellschaftliche Strukturen grundlegend umzuwälzen – mit der Begründung, nur ein radikaler Umbruch könne echten Fortschritt ermöglichen. „Disruption“, ein Begriff aus der Silicon-Valley-Tech-Szene, dient hier als Schlagwort. Doch was Schumpeter als langfristigen Innovationsprozess verstand, erscheint heute als willkürlicher Bruch. Dies droht, bestehende gesellschaftliche Probleme nicht nur fortzuführen, sondern sogar zu verschärfen. So sehr Veränderung auch gewünscht wird – vielleicht braucht es weniger den großen Bruch als vielmehr eine kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Auch wenn dieser Weg weniger spektakulär erscheint. / Maria Paiva Krug

 

Technologischer Egalitarismus  (m)


Ein neues Tech-Mindset, das auf Kooperation statt Konkurrenz setzt

Wenn das Silicon Valley für Monopolmacht und proprietäre Märkte steht, wird in Hangzhou vielleicht seit einiger Zeit am Gegenmodell gearbeitet. Aufsehen erregte zuletzt die KI, die das dort ansässige Start-up DeepSeek herausbrachte und seinem größten Konkurrenten OpenAI, Entwickler von ChatGPT, damit einen Dämpfer verpasste. Denn, anders als im Silicon Valley üblich, setzte das chinesische Unternehmen auf Open Source: Der Algorithmus kann jederzeit abgerufen und weiterentwickelt werden. Zusammenarbeit und Innovation, frei zirkulierendes geistiges Gemeineigentum also als Humus eines neuen wirtschaftlichen Ökosystems? Zu diesem dürfte auch die ortsansässige Zhejiang-Universität gehören, die neben DeepSeek-Gründer Liang Wenfeng zahlreiche andere Tech-Unternehmer hervorbrachte und danach strebt, bald zur Weltklasse zu gehören. Sie setzt dabei auf fächerübergreifende Talentförderung und wird von den örtlichen Behörden unterstützt: Die Absolventen dürfen hier einfach machen und gründen. Das Weltwirtschaftsforum sieht in DeepSeek einen egalitäreren Ansatz bei der Verbreitung neuer Technologien. Womöglich stellt dieser sich auch noch als die wettbewerbsfähigere Strategie heraus. / Eva Kaiser

 

Thukydides-Falle  (f)


Die Unvermeidbarkeit eines Krieges zwischen etablierter Großmacht und aufstrebender Macht

Trotz der trumpschen Zölle ist Chinas Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte stetig gewachsen. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist den USA auf den Fersen und die amerikanische Vormachtstellung längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Gerade bei dieser Konstellation, wenn also eine aufstrebende Macht eine hegemoniale Großmacht zu verdrängen droht, wächst die Wahrscheinlichkeit eines Krieges. Bekannt ist diese Beobachtung unter dem von Politikwissenschaftler Graham T. Allison geprägten Begriff „Thukydides-Falle“. Ihr Namensgeber ist der antike Historiker Thukydides, der den Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und dem um die eigene Hegemonie besorgten Sparta dokumentierte. Gingen nachfolgende Konflikte zwar vielfach glimpflicher aus, so sollten doch noch einige Nationen in diese Falle tappen. Droht den USA und China nun das gleiche Schicksal? Darüber ist man uneins, vieles spricht jedoch für die Wirtschaft als zentrale Konflikt­ebene. Und dafür, dass die Falle einen lachenden Dritten produziert. Man darf auf Indiens Entwicklung gespannt sein. / Antonia Siebeck

 

Produktivitätsparadoxon  (n)


Künstliche Intelligenz ist die technologische Revolution der letzten Jahre. Trotzdem bleibt das Wirtschaftswachstum aus

Das Produktivitätsversprechen künstlicher Intelligenz ist hoch. Womöglich zu hoch, denn Ökonomen stellen in den letzten Jahren trotz des rapiden Zuwachses an vielversprechenden Technologien einen  Rückgang volkswirtschaftlicher Produktivität fest. Im ökonomischen Jargon gibt es für diesen widersprüchlichen  Zusammenhang einen Begriff: „Produktivitätsparadoxon“. Statt für innovative  Lösungen wirtschaftlicher Probleme genutzt zu werden, findet KI gegenwärtig vor allem Anwendung in der algorithmenbasierten Personalisierung von Produkten. Diese Auswertung individueller Nutzerdaten zwecks maßgeschneiderter Anpassung von Produkten sorgt für zufriedene Endverbraucher. Aber Produktivitäts- oder gar Wirtschaftswachstum entsteht dadurch nicht. Obwohl Programme wie ChatGPT die Bewältigung alltäglicher Aufgaben für private Nutzer erleichtern, liegt auf makroökonomischer Ebene eine Verlangsamung des Wachstums vor, die scheinbar auch durch den Einsatz von KI nicht anzukurbeln ist. Fehlt es der Wirtschaft hier noch an Ideen und Expertise? Oder ist der Höhepunkt wirtschaftlichen Wachstums schlicht erreicht, wenn selbst revolutionäre Computertechnik keine Steigerung der Produktivität zur Folge hat? / Ella-Luna Kirschner •

 

 

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