Marcus Willaschek: „Wir suchen nach abschließenden Antworten“
Die Kritik der reinen Vernunft revolutionierte die Philosophie. In dem Werk untersucht Kant die Leistungsfähigkeit der Vernunft und zeigt, dass gesichertes Wissen über Gott, die Seele und die Welt als Ganzes nicht möglich ist. Marcus Willaschek im Gespräch über die Grundgedanken dieses epochalen Textes.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, in einem Buch mit dem Titel Kritik der reinen Vernunft ginge es um eine Absage an die Vernunft und eine Aufforderung zu mehr Leidenschaft. Was meint der Titel tatsächlich, Herr Willaschek?
Der Titel besagt: In diesem Buch wird untersucht, wie viel wir durch bloßes Nachdenken über die Wirklichkeit herausfinden können. „Vernunft“ im weitesten Sinne ist für Kant die Fähigkeit, konsequent zu denken. „Rein“ ist diese Vernunft, wenn sie völlig „a priori“, also unabhängig von Wahrnehmung und Erfahrung verfährt. Dass diese Fähigkeit einer „Kritik“ unterzogen wird, besagt nicht, dass sie schlechtgemacht oder verworfen werden soll, denn das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet „unterscheiden“ oder „beurteilen“. Dabei ist sich Kant bewusst, dass in einer solchen Beurteilung der Vernunft dieselbe Fähigkeit zur Anwendung kommt, die untersucht wird: die Fähigkeit, vernünftig zu denken. Sie ist also eine Untersuchung der Leistungsfähigkeit der Vernunft durch die Vernunft selbst.
Was war Kants zentrales Anliegen in diesem Werk?
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