Nehmt euch, was ihr braucht!
Vor kaum etwas haben Philosophen mehr Angst als vor der Verzweckung ihrer Disziplin zum Lebensratgeber. Aber warum eigentlich? Ein Erklärungsversuch.
Bei vielen Menschen firmiert Philosophie als eine Art intellektuelles Geigenspiel: Bevor man ernsthaft damit anfangen kann, muss man mindestens zehn Jahre üben. Und es ist ja nicht ganz falsch. Wer sich die Werke von Platon, Kant oder Arendt aneignen will, braucht Zeit, Ausdauer und bisweilen eine gehörige Portion Frustrationstoleranz. Nur ist solch ein systematisches Studium klassischer Texte keineswegs die einzige Form, die Philosophie ins eigene Leben zu lassen. Vielmehr kann man sie auch ganz verstreut, bruchstückhaft und sporadisch aufnehmen. Das meint nun nicht, dass man Aristoteles, Augustinus oder Adorno unbedingt auf aphoristisches Postkartenformat schrumpfen oder für die „Morning Inspiration“ auf Instagram verzwecken sollte. Es heißt aber schon, dass derlei auch nicht der Untergang des Abendlandes wäre und vor allem, dass die Beschäftigung mit Philosophie keinen Vollständigkeitsanspruch braucht. Ja, mehr noch: Man muss Philosophie keineswegs als einschüchternden Kanon verstehen, sondern kann sie auch als Sammelsurium von Ideen begreifen, aus dem man sich im Zweifelsfall eben einfach das nimmt, was man gerade braucht.
Für einen solch selektiven Umgang mit Kant und Co. zu plädieren, fällt dem Autor dieser Zeilen, zugegeben, auch einfacher als manch echtem Philosophen. Da ich als einziges Redaktionsmitglied des Philosophie Magazins nicht Philosophie studiert habe (sondern Literatur- und Sozialwissenschaften), gibt es für mich diesbezüglich keinerlei Ruf zu verlieren. Doch bietet das Eingeständnis des philosophischen Dilettantismus auch einen entscheidenden Vorteil. Wäre die Philosophie ein Wald, muss der Dilettant ihn nämlich nicht penibel Meter für Meter abschreiten und ökologisch exakt vermessen, sondern vermag das Gehölz als eine Art fröhlicher Pilzsammler zu durchstreifen. Die Schätze, die man erkennt, nimmt man mit; diejenigen, die einem vorerst ungenießbar erscheinen, lässt man einstweilen stehen.
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Kommentare
Ein gutes Beispiel dafür liefern so manche Bücher und Beiträge von Michael Hampe.