Nicht optimistisch, aber hoffnungsvoll
Der heutige Gründonnerstag bildet den Auftakt der Osterfeiertage. Doch warum sollten sich moderne Menschen mit der Geschichte von Kreuzigung und Auferstehung Jesu beschäftigen? Der Theologe Peter Dabrock erklärt, worin ihre philosophische Bedeutung liegt – und weshalb diese auch für Nicht-Gläubige wertvoll sein kann.
„Du bist doch ganz vernünftig, aber wie kannst Du nur an diesen ganzen Märchenkram glauben? Und dann noch die Sache mit der Auferstehung? Das ist ja nun völlig schräg!“ Solche Gretchenfragen hörte ich nicht selten in einer Zeit, als Tagungen nicht mit dem ungelenken Winken in den Zoom-Orkus endeten, sondern noch „in vino veritas“-Gespräche beim Conference-Dinner einschlossen. Jede Frageintention ist eigen und unterscheidet sich von anderen. Der eine will spotten oder provozieren, die andere sucht Sinn, die dritte Trost, der vierte ist schlicht neugierig. Jede Frage verdient eine eigenständige Antwort. Von all dem muss ich abstrahieren, wenn ich hier ein paar Gedanken teile, warum mir, der ich mich als Mensch der Moderne sehe, in meinem und für mein Leben „Auferstehung“ wichtig ist:
Ich teile nicht den Wunsch eines der – auch in der philosophischen Zunft – anerkanntesten Theologen des 20. Jahrhundert, Wolfhart Pannenberg. Er wollte die Auferstehung mit dem Methodenarsenal der modernen Geschichtswissenschaft historisch „beweisen“. Keineswegs war er so naiv, dass er die These vertrat, man hätte – hätte es die entsprechende Technik gegeben – Jesus von Nazareth aus dem Grabe treten sehen können, nachdem der Engel den Stein weggerollt habe. Aber so wie Historiker andere Ereignisse aus der Antike recht forsch rekonstruierten, so könne man, meinte Pannenberg, schon plausibel von der Historizität der Auferstehung sprechen: gleiches Recht für alle! Mir fehlt dieses apologetische Interesse. Ich glaube auch nicht, dass man damit dem „Sinn“ der Rede von der Auferstehung auf die Spur kommt oder religiös unmusikalische Menschen wenigstens zum Nach-Denken über die eigene Existenz im Angesicht dieser religionskulturellen Gründungsurkunde des Christentums bewegt.
Das tut man meines Erachtens auch nicht, wenn man sie verstehen will als „die Sache Jesu geht weiter“ – für den „Wums“, den die erste Nachfolgegemeinschaft ergriffen hat, ist dies wohl eine allzu seichte Formulierung. Und wenn man dann noch unter „die Sache Jesu“ fromme Töne oder revoluzzerische Bergpredigtauslegung verstehen will, hören diejenigen, die nicht mehr mit der „Sondergruppensemantik“ (Niklas Luhmann) des Christentums vertraut sind, nur noch Rauschen. Dass Auferstehung im Christentum dafür stehen soll, dass die Liebe auf ewig stärker ist als der Tod, mag „irgendwie“ jene trösten, für die ungebrochen Bestand hat, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“ (Ernst Bloch). Viele moderne Menschen, auch Christ:innen, wollen indes gar nicht ihren Verstand abgeben, wenn sie sich fragen, ob die Auferstehung eine Erschließungskraft für ihre Gegenwart – z.B. in Coronazeiten – besitzt.
Absoluter Sinnzusammenbruch
Stellen wir also religiöse und metaphysische „Beschreibungen“ der Wirklichkeit über das Jenseits beiseite, bleiben aber bitte auch entspannt, wenn im Folgenden ein paar religiöse Motive aufgegriffen und dann säkular gedeutet werden sollen. Keine Angst: Es soll nichts bewiesen werden! Zunächst: Auferstehung des Leibes meint nicht Unsterblichkeit der Seele. Mit seiner Rede von Auferstehung hat sich Paulus, anders als viele Theologen nach ihm, dazu bekannt, dass der Körper bedeutsam ist, ja unendlich bedeutsam. Anders als in der langen platonischen Traditionslinie des Christentums wird der Leib nicht nur als ein Durchgangsstadium oder ein aufzubrechender Kerker verstanden. Vielmehr macht Paulus im ersten Brief an die Korinther deutlich: „Was ich als leibliches Wesen, in all meiner Verletzlichkeit, meiner Gebrechlichkeit, meiner Endlichkeit bin, das zählt unendlich“ (und Christ:innen fügen halt an: „von und vor Gott“) – ein Gedanke, der auf das Konzept der Menschenwürde strahlen kann.
Dann: Ostern, das Fest der Auferstehung, so die Überzeugung in der Religionskultur des Christentums, gibt es nicht ohne Karfreitag, also der Erfahrung der totalen Gottverlassenheit. Oder säkular formuliert: der wirklichen Möglichkeit des absoluten Sinnzusammenbruchs. Dieser wiederum ereignet sich, „symbolisch“ gesprochen, nach Gründonnerstag, also dem Tag, der versinnbildlicht, wie schnell unter uns Menschen der Übergang von der exzessiven Gemeinschaftsfeier „ziemlich bester Freunde“ zum lebenszerstörerischen Verrat geht. Das heißt für die Deutung von Auferstehung: Niemand darf den Triumph des Lebens predigen oder besingen, die nicht den ständigen Kampf zwischen Tod und Leben, biologisch wie sozial, vor Augen hat. Säkular formuliert: Um uns Menschen als Menschen ist es radikal übel bestellt. Schonungslos hält der Karfreitag menschlichem Dasein einen Spiegel vor: Auf einen Messias von uns brauchen wir nicht zu warten. Ecce homo! Dieser für Jesus bestimmte Ausruf des Pilatus gilt ja nicht nur dem, der sich danach zur Marterstätte schleppt, sondern in der ganzen Ambivalenz, die Pilatus zwischen Despotie und Wahrheitssuche ausstrahlt, auch uns, den Dauerzuschauern.
Jede mag für sich die Bühne malen, auf dem sie persönliche oder gesellschaftliche Kalvarienbergserfahrungen festmacht – wer sie nicht benennen kann, hat nicht gelebt, wohl nur verdrängt. Welch realistische „Dialektik der Aufklärung“ die Passionsgeschichten zeichnen – allen Fortschrittsoptimisten zum Trotz! „Kein Grund zum Optimismus“ – ruft uns der marxistische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton zu – und trifft damit den Nagel auf den Kopf, wenn es um des Menschen Sinnen und Trachten geht. Aber seinem nüchternen „nicht optimistisch“ fügt er – scheinbar paradox – an: „hoffnungsvoll“. Man kann die Pointe der Auferstehungsbotschaft für säkulare Menschen kaum besser auf den Punkt bringen als mit Eagletons eingängigem Buchtitel (von mir nur umgedreht): nicht optimistisch, aber hoffnungsvoll.
Alle Ordnungen sind sprengbar
Anders als Ernst Bloch in der oben zitierten Schlusspassage des „Prinzips Hoffnung“ uns aufdrängen will, bildet sich die Hoffnung, will man sie als Auferstehungshoffnung begreifen, nicht wie eine legitime Erwartung aus dem fleißigen Tun des homo faber. Dieses Hoffnungsbild bleibt im wenig enttäuschungsfesten Machbarkeitsmodus verhaftet, sei es in Politik, Wirtschaft, aber auch Religion als Werkgerechtigkeit. Man denke an die quasi messianischen Erwartungen gegenüber Barak Obama oder die Hoffnungen auf ein Erreichen des Endes der Geschichte nach dem Fall des „eisernen Vorhangs“ – wie naiv, peinlich oder vermessen, im Nachhinein betrachtet.
Alle imaginierten Zukünfte mögen minutiös geplant werden; Auferstehung ist eine Hoffnungsform wider allen Optimismus, wider alle Teleologie. Deshalb bezeugt sie auch mehr als Adornos Unruhe stiften wollendes, aber wenig begeisterndes „Weil das, was ist, nicht alles ist“, sogar anderes als Horkheimers Protestspruch „… dass der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge“. Für solche säkularen Reimaginationen von Auferstehung hege ich zwar persönlich Sympathie. Aber wenn Paulus davon spricht, dass Auferstehung eigentlich Auferweckung heißen müsste, dann will er im Rahmen seiner Religionskultur sagen: Sie ist allein eine göttliche Tat. Säkular übersetzt heißt das aber auch: Auferstehung ist keine menschliche Möglichkeit. Mit der Rede von Auferstehung wird somit zum Ausdruck gebracht, dass in die Gegenwart ein „Jenseits des Seins“, ein „Anderes als Sein“, eine Hoffnung auf das, was man nicht sieht (Paulus, Brief an die Römer 8,24) einbricht.
Das Narrativ von Auferstehung kann deshalb, auch für säkulare Menschen, für die Einsicht sensibilisieren, dass man jenseits aller Pläne, die man selbstverständlich haben darf und soll, die man umsichtig und verantwortungsvoll verfolgen mag, damit rechnen kann, und ich würde sogar sagen, rechnen darf, dass sich nicht nur Neues, sondern unerwartet Neuartiges auftut, Außerordentliches geschehen kann und Ordnungen und Lebensformen sprengbar sind. Nicht nur ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Vom Jenseits des Seins, und da war für Platon – den gerade in anderer Hinsicht gescholtenen – das Gute, also: ungesollt, nicht intendiert und nicht verhandelt, kann Rettung kommen. Die wächst bisweilen, und darauf hofft man, wo die Gefahr lauert. Aber mit dem Rettenden darf immer gerechnet werden, nicht nur bei Gefahr – es kommt entgegen, Eigenes unterbrechend und durchkreuzend – und so die Hoffnung: noch das eigene Kreuz durchkreuzend.
Aufbruch aus dem Nichts
Wenn das Auferstehungsnarrativ so säkular reformuliert wird, dann bildet es selbstverständlich keine Handlungsanweisung. Es ist vielmehr die Sprengung aller Handlungsanweisungen und Strategien. Die eine macht diese Erfahrungen des Unverhofften, des „ich/wir sind nicht kleinzukriegen“, des „da geht noch was, weil: da kommt noch was!“ in der Lebensform Religion, der andere mit Kultur, wieder andere im Sport, in der Familie, mit Freunden, „unter Leuten“. Überall können sich aus menschlichem Trachten nicht ableitbare Auf-Brüche ereignen. Sie machen das vermeintlich Letzte zum Vorletzten, bringen ungewollte Dynamik ins Leben – und diese Neujustierung tut uns gut. Auferstehung als Hoffen jenseits aller Vorbereitungen für geplante Zukünfte heißt eben auch: „Wir müssen nicht das Letzte sein oder machen.“ Denn egal, ob Auferstehung im christlichen Sinne mir „Trost im Leben oder Sterben“ schenkt (so der Heidelberger Katechismus) oder ich in diesen Tagen – wodurch auch immer – erlebe, dass das Licht am Ende des Tunnels nicht jedes Mal ein entgegenkommender Zug ist – man darf damit rechnen, unverhofft anders sehen zu können, wenn man darauf hofft, dass aus dem Nichts oder dem vermeintlichen Alles noch Neuartiges kommen kann. Das ist realistische Auferstehungshoffnung. •
Peter Dabrock ist Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 2012 bis 2020 war er Mitglied des Deutschen Ethikrates, von 2016 bis 2020 dessen Vorsitzender. In Kürze erscheint von ihm (zus. m. Patrik Hummel, Matthias Braun, Steffen Augsberg und Ulrich von Ulmenstein) „Datensouveränität – Governance-Ansätze für den Gesundheitsbereich“ (Springer VS).
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