Nora Bossong: „Ich hoffe, dass diese Generation eine Brücke baut zwischen den Boomern und der Klimajugend“
In ihrem heute erscheinenden Buch Die Geschmeidigen zeichnet Nora Bossong ein politisches Porträt ihrer Generation. Ein Gespräch über Angepasstheit, den „neuen Ernst des Lebens“ und vernünftige Visionen.
Frau Bossong, heute erscheint Ihr neues Buch, Die Geschmeidigen, ein politisches Porträt Ihrer Generation. Wer sind die „Geschmeidigen” und was hat sie so geschmeidig gemacht?
Die Geschmeidigen, um die es in meinem Buch geht, sind diejenigen aus meiner eher unpolitischen Generation der Jahrgänge 1975 bis 1985, die sich der Politik zugewandt haben. Diese Geschmeidigkeit ist ambivalent, nicht nur positiv, sondern auch ein bisschen zu angepasst. Das zeigt sich besonders, wenn man sich die Generation nach uns, die Fridays for Future-Klimajugend anschaut. Die fällt nicht gerade durch Angepasstheit auf, sondern durch Rebellion. Meine Generation ist eher von den 90er Jahren geprägt und von dem damals vorherrschenden Bild einer friedlicher werdenden Welt.
Aber waren die 90er wirklich so behütet?
Natürlich nicht. Es gab global gesehen Kriege, sogar Genozide, aber trotzdem lag in Deutschland über dem Jahrzehnt die Erzählung: „Wir haben den großen Konflikt des Kalten Krieges gelöst, und jetzt geht es einfach weiter, zu immer mehr Demokratie, Wohlstand und Frieden“. Das hat uns nicht übermäßig politisch gemacht, bestimmte ideologische Ansichten hatten sich auch einfach erledigt: Wer wollte nach dem Zerfall der Sowjetunion noch für den Kommunismus streiten? Hinzu kam etwas später ein tiefgreifender medialer Wandel. Meine Generation ist die erste, die mit den sozialen Medien erwachsen geworden ist. Mark Zuckerberg gehört selbst zu dieser Generation. Diese Verschränkung von Privatem und Öffentlichem, von scheinbarer Authentizität, die man ständig präsentieren muss, hat die Außenwirkung dieser Generation geprägt. Das sind einige der Aspekte, die diese Generation leise und karriereorientiert gemacht haben, oft eher aufs persönliche Vorankommen oder das Private konzentriert als auf die gesellschaftlichen Veränderungen.
Was können die Geschmeidigen denn gut, wo liegen ihre politischen Stärken?
Sie können sich sehr schnell in neue Situationen einfinden. Sie sind weltläufig und gut ausgebildet. Es sind Leute, die nach den Ideologien sozialisiert wurden. Es dominiert nicht mehr ein sich verkantender politischer Grabenkampf. Man sieht aktuell, dass sie es wirklich hinkriegen, eine Koalition zu bilden. Und das halte ich für eine Stärke, diese Kompromissfähigkeit, diesen Pragmatismus. Ich hoffe, dass diese Generation eine Brücke baut zwischen den Boomern, also der Generation Scholz, und der jüngeren Generation, der Klimajugend. Sie nimmt die Dringlichkeit der Anliegen von Fridays for Future ernster als es Olaf Scholz je zulassen könnte. Gleichzeitig nimmt sie der Radikalität der Klimaproteste die Spitze und denkt eher lösungsorientiert.
Das klingt, als wären die Geschmeidigen mit ihrer Fähigkeit, Konflikte zu moderieren und Kompromisse zu schließen, besonders demokratietauglich. Sind sie die besseren Demokratinnen?
Nicht unbedingt. Eine Schwachstelle, die ich bei ihnen sehe, ist der mangelnde Streit, sie meiden zu oft die argumentativ scharfe Auseinandersetzung. Das haben sie nicht gelernt. Wir haben heute auf der einen Seite einen Kuschelkurs, der niemandem weh tun will, auf der anderen Seite die sozialen Medien, in denen man durch Überspitzung Aufmerksamkeit generiert und durch emotionale Ausrufe meist mehr erreicht als durch das Abwägen von Argumenten. Ich wünsche mir von dieser Generation, dass sie den vernünftigen politischen Streit wieder mehr in den Vordergrund stellt. Das andere, was ich dieser Generation vorwerfe, weniger den Politikern, eher der Zivilgesellschaft, ist ihre Institutionsmüdigkeit. Da wird kein flammendes, euphorischen Plädoyer für den Parlamentarismus gehalten. So haben es antidemokratische Tendenzen leichter. Die AfD hat ihre Ressentiments gegen die liberale, parlamentarische Demokratie nicht erfunden, sondern bereits vorhandene Ressentiments aufgegriffen und ausgebaut.
Sie schreiben, dass das Gefühl des Behütetseins, mit dem Ihre Generation aufgewachsen ist, allmählich verschwindet und ein „neuer Ernst des Lebens” Einzug hält. Worin besteht er?
Aktuell erleben wir das ja an der russisch-ukrainischen Grenze. Man meint fast, die Zeit würde zurückgedreht werden. Wir haben sicherheitspolitische Fragen lange verdrängt, weil sie unangenehm sind. Dabei treten autoritäre Regime heute aggressiver auf und bedrohen die Demokratie.
Außerdem haben wir die Klimakrise zu lange verdrängt. Man hat vielleicht darüber nachgedacht, ob man Avocados kaufen darf oder nicht, aber das war es dann auch. Dieser Rückzug in kleinteilige, konsumistische Entscheidungen ist nicht das politische Engagement, das die Welt bewegt.
Ändert sich das gerade? Erwachen wir aus der Lethargie?
Der Brexit und andere Krisen haben viele wachgerüttelt. Durch die lange politische Apathie waren aber auch viele überfordert, und es setzte eher ein Gefühl von Ohnmacht und Depression ein, als dass man gesagt hätte, so jetzt fassen wir einen Plan. Dafür war das politische Rüstzeug gar nicht vorhanden.
In der „Zeit“ schrieb Ulrike Franke jüngst, dass die Generation, die Sie beschreiben, jetzt überall „ans Ruder komm[t]”, aber „wenig von Machtpolitik” versteht, weshalb ihr ein Realitätsschock drohe. Sind die Geschmeidigen zu soft? Oder sind sie vielleicht sogar besonders gute Krisenmanager?
Ich stimme Ulrike Franke zu, dass diese Generation überwiegend relativ sorgenfrei aufgewachsen ist. Darin steckt aber auch eine Chance. Die Generation hat ein Urvertrauen entwickelt, dass selbst die größten politischen Konflikte gelöst werden können, wie 1989/90 gezeigt hat. Sicherheitspolitisch hat sich in den 1990er Jahren noch etwas anderes gezeigt: Was meine Generation geprägt hat, waren weniger die Friedensproteste im Bonner Hofgarten als vielmehr der Paradigmenwechsel unter Joschka Fischer. Da erweiterte sich plötzlich das Tableau der politischen Möglichkeiten aus verantwortungsethischer Perspektive. Zwischen Interessenpolitik und wertebasierter Politik versucht auch Annalena Baerbock gerade einen Spagat. Sie gehört dem realpolitischen Flügel ihrer Partei an, muss aber auch jenen Teil ihrer grünen Wählerklientel mitbedenken, der radikal pazifistisch eigestellt ist. Am deutlichsten haben die Veränderungen der globalen sicherheitspolitische Lage die Soldaten zu spüren bekommen. Sie wuchsen mit 9/11 und dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan in ihren Beruf hinein, einer Mission, bei der zahlreiche deutsche Soldaten ihr Leben verloren haben. Sie haben die Bundeswehr wieder als eine Einsatzarmee kennengelernt, was lange nicht der Fall war. Da sehe ich – Frankes Text war mit „Softies“ überschrieben – gar nicht so viel Softietum, sondern eine viel größere Konfrontation mit den globalen Konflikten und auch Gefahren des Soldatenberufs als das in der Generation davor der Fall war.
Die geopolitische Ernüchterung scheint sich auf andere Bereiche auszuwirken. Sie schreiben: „Die Geschmeidigen greifen aber möglicherweise auch deshalb nicht mehr nach den Sternen, weil sie nicht wissen, wo diese hängen, welche es sein sollen.” Fehlen die großen Ziele? Oder ist der Utopieverzicht vernünftig?
Ich glaube, dass wir wieder übergeordnete Ziele brauchen, einfach weil es einen ganz natürlichen Wunsch nach Orientierung gibt, und der ist in den letzten Jahren eher auf der Strecke geblieben. Was ich nicht herbeisehne, ist eine zur Ideologie erstarrte Zukunftsutopie, die im schlimmsten Falle einen neuen Menschen erschaffen will. Das ging bislang immer schief. Aber eine realisierbare Vision, die über die Legislaturperiode hinausgedacht ist und einen politischen Weg für die nächsten zwanzig Jahre vorgibt, das wünsche ich mir. Mit Blick auf die Klimakrise müssen wir das ohnehin tun. Wir sollten uns Zukunft wieder als etwas vorstellen, das wir handelnd beeinflussen können und nicht als apokalyptisches Schicksal, das über uns hereinbricht. Das versetzt uns eher in Schockstarre, in Apathie und bringt uns nicht zum Handeln, aber wir müssen ja handeln, anders geht es nicht. Die Klimakrise wird nicht allein durch Zurückhaltung verschwinden. Selbst wenn ich ab diesem Moment einfach gar nichts mehr mache, reicht das nicht aus. Wir müssen handelnd etwas bewirken.
Wer also Visionen hat, soll nicht mehr zum Arzt gehen?
Ich glaube, es ist vernünftig Visionen zu haben, und es ist vor allem vernünftig vernünftige Visionen zu haben, die sich nicht in Träumereien verlieren, sondern Realitätshaftung besitzen. Nehmen wir das klassische Aufstiegsversprechen der SPD. Das ist längst brüchig geworden und müsste erneuert werden. Meine Kinder sollen es einmal besser haben – das gilt schon lange nicht mehr. Früher war Aufstieg durch Bildung möglich, heute bestimmt viel zu oft das Elternhaus, welche Bildung man überhaupt bekommt, auf welche Schule man geht, welche Wege einem offenstehen. Das verhindert für viele junge Menschen Partizipation und zerstört Chancen. Die Politik muss wieder positive Zukunftsbilder entwerfen, die nicht gleich das Blaue vom Himmel versprechen, aber doch etwas zeigen, auf das man mit einer gewissen Freude und Lust am Neuen zugeht.
Was kommt denn nach den Geschmeidigen, wie würden Sie die neue Generation beschreiben?
Sie hat mehr Ähnlichkeit mit den 68ern hat als mit uns. Sie will aufrütteln und etwas bewegen, das finde ich wichtig. Ich beobachte aber auch mit einer gewissen Sorge eine Radikalisierung. Die gibt es bei den Rechten schon lange – die Identitäre Bewegung gehört auch zur neuen Protestgeneration, sie packt ihre radikalen völkischen Ansichten in hippe Aktionen. Bei den Klimaaktivisten ist das Problem der Radikalisierung anders gelagert: Sie schwächt die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Ziele, die große Transformationsschritte verlangen und große Einschnitte bedeuten. Außerdem spaltet es die Klimabewegung – so wie die politische Radikalisierung der Linken in den 70ern. Ich hoffe, dass die Generation, der ich angehöre, eine Brücke schlagen kann, sodass die Klima-Forderungen richtig adressiert und aufgenommen werden. Es muss sich schnell etwas bewegen, aber es können dabei nicht, wie das radikale Forderungen wollen, alle Nebenaspekte ausgeblendet werden. Ich glaube, dass meine Generation die Dringlichkeit besser versteht und auch innovationsmutiger ist als die Generation vor ihr.
Sie erwähnen in Ihrem Buch einen Ost-West-Gegensatz. Sind Westdeutsche geschmeidiger als Ostdeutsche?
Das würde ich tatsächlich sagen. Zum einen haben die in Ostdeutschland Sozialisierten mehr Brüche erlebt und eben auch die Schattenseiten der 90er Jahre kennengelernt, Enttäuschungen, oft Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektive mindestens am Beispiel ihrer Eltern. Zum anderen war die Angepasstheit bereits vor dem Mauerfall im Westen das vorherrschende role model. Die Yuppies brannten schon in den 80ern auf Wohlstand und legten eine gewisse Glattheit an den Tag. Von den Politikern und Politikerinnen, die ich getroffen habe, habe ich bei den Ostdeutschen weniger Glattheit erlebt. Sie waren nicht unbedingt Rebellen, aber bodenständiger und manche waren tatsächlich unangepasster.
Sie gehören ja auch zu der Generation, die Sie porträtieren. Wie äußert sich das bei Ihnen? Sind Sie geschmeidig?
Ich glaube, es gibt Geschmeidigeres als meine Romane, die sind durchaus auch widerborstig. Ich erinnere mich aber, dass ich schon früh relativ souverän auf der Bühne stehen konnte, und das passt dann doch zur Geschmeidigkeit. Auch diese Weltläufigkeit, ich spreche vier Sprachen, hatten meine Eltern nicht, da passe ich durchaus gut in diese Generation. Und dass ich den politischen Aktivismus meiner Schul- und frühen Studienzeit irgendwann habe schleifen lassen, passt zu den Geschmeidigen. Aber ich habe nie einen Rückzug ins Private angetreten. Ich stand mit meinen Texten immer auch politisch in der Öffentlichkeit. Doch mir geht das Aufrührerische ab, das die jüngere Generation auszeichnet. Ich will eher etwas verteidigen als umstürzen. •
Nora Bossong ist studierte Philosophin und Schriftstellerin. Ihr Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, in gesellschaftlichen Debatten ist sie eine starke Stimme. Für die Kolumne „Blickwechsel“ beleuchtet sie in unserem Printmagazin streitbare Gegenwartsphänomene. Heute erscheint ihr Buch „Die Geschmeidigen“ bei Ullstein.
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Wahrscheinlich geht es Ihnen derzeit ähnlich. Fast täglich muss ich mir aufs Neue eingestehen, wie viel Falsches ich die letzten Jahre für wahr und absolut unumstößlich gehalten habe. Und wie zweifelhaft mir deshalb nun alle Annahmen geworden sind, die auf diesem Fundament aufbauten. Niemand, dessen Urteilskraft ich traute, hat den Brexit ernsthaft für möglich gehalten. Niemand die Wahl Donald Trumps. Und hätte mir ein kundiger Freund vor nur zwei Jahren prophezeit, dass im Frühjahr 2017 der Fortbestand der USA als liberaler Rechtsstaat ebenso ernsthaft infrage steht wie die Zukunft der EU, ich hätte ihn als unheilbaren Apokalyptiker belächelt. Auf die Frage, woran ich derzeit am meisten zweifle, vermag ich deshalb nur eine ehrliche Antwort zu geben: Ich zweifle an mir selbst. Nicht zuletzt frage ich mich, ob die wundersam stabile Weltordnung, in der ich als Westeuropäer meine gesamte bisherige Lebenszeit verbringen durfte, sich nicht nur als kurze Traumepisode erweisen könnte, aus der wir nun alle gemeinsam schmerzhaft erwachen müssen. Es sind Zweifel, die mich tief verunsichern. Nur allzu gern wüsste ich sie durch eindeutige Fakten, klärende Methoden oder auch nur glaubhafte Verheißungen zu befrieden.
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