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Bild: Annie Spratt (Unsplash)

Gespräch

Sebastian P. Klinger: „Schlaf erfährt in der Gegenwartsliteratur eine gewisse Konjunktur"

Hilmar Schmundt, im Interview mit Sebastian P. Klinger veröffentlicht am 26 Oktober 2025 6 min

Vor einhundert Jahren entdeckten Naturwissenschaftler, Pharmakonzerne und Romanautoren den Schlaf ganz neu, beschreibt der Kulturwissenschaftler Sebastian P. Klinger in seinem Buch Sleep Works. Die alte Grammatik der Schlafhygiene wandere nun in die Chatbots der Selbstvermessungs-Gadgets. Und ins neue Genre der Schlafmemoiren.

 

Herr Klinger, vor fast zehn Jahren rief Ariana Huffington „Die Schlafrevolution“ aus mit ihrem gleichnamigen Bestseller und versprach: „So ändern Sie Nacht für Nacht Ihr Leben“. Was war an Huffingtons Buch so revolutionär?

Huffington beschreibt guten Schlaf nicht als etwas, das einfach natürlicherweise gegeben ist, sondern als das Produkt einer Art Handwerkskunst, wie gutes Sauerteigbrot, das man aus den allerfeinsten Zutaten mit den richtigen Techniken und Werkzeugen herstellen muss. Doch das alles ist nicht neu.

Huffington bezog sich doch auf die neuesten Studien?

Bei Huffingtons Buch handelt es sich um einen klassischen Schlafratgeber, der zwar auf neueste wissenschaftliche Studien verweist, aber in einer langen Tradition von Texten steht, die alle eine ähnliche Botschaft vermitteln: Du musst dein Leben ordnen, dann wirst du durch erholsamen Schlaf belohnt. Früher hießen solche Bücher Der Schlaf und das Schlafzimmer in Beziehung auf die Gesundheit und wurden von Autoren wie dem Arzt und Schriftsteller Christoph Wilhelm Hufelandt verfasst. Heute erfüllen Texte wie der von Huffington diesen anhaltenden Beratungsbedarf.

Aber die wissenschaftlichen Fortschritte sind doch real? Fast zeitgleich mit Huffington erschien beispielsweise der Bestseller Das große Buch vom Schlaf des Neurobiologen Matthew Walker, der mit allen Feinheiten der Hirnforschung versprach: „Der richtige Schlaf macht uns klüger, attraktiver, schlanker, beugt Krebs und Demenz vor, stärkt das Immunsystem und verringert das Risiko für Herzinfarkt und Diabetes.“ Was kann man dem noch hinzufügen?

Die wissenschaftliche Beschreibung von Schlaf als einem aktiven Vorgang, wie Walker ihn vorlegt, ist eine relativ neue Entwicklung mit einer langen Geschichte. Das ist immer auch eine Geschichte davon, wie man mit Schlaf und Schlafberatung Geld verdienen kann. Mein Buch Sleep Works beleuchtet genau diese Geschichte mit ihren unterschiedlichen Protagonisten und Handlungssträngen, wie sie um 1900 in europäischen Metropolen wie Paris und Wien, aber eben auch in kleineren Städten wie Leverkusen oder Genf Fahrt aufnahm. Ich habe eben keinen Schlafratgeber geschrieben, sondern interessiere mich für die Schnittstelle von Literatur- und Wissenschaftsgeschichte.

Dass Schlaf ein aktiver Zustand ist, hat doch schon Freud gesagt, als er in seiner berühmten Studie zur Traumdeutung von „Traumarbeit“ sprach. Wie konnten Sie diesem uralten Thema Neues abgewinnen?

In meinem Buch setze ich mich gerade nicht mit Träumen auseinander, sondern mit einer großen Bandbreite von Schlafzuständen, die keine Träume sind – und natürlich auch mit Schlaflosigkeit. Freud führt die Unterscheidung von Traum und Schlaf zu Beginn der Traumdeutung ein, beschäftigt sich aber in der Folge fast nur mit Träumen und ihrer Deutung. Angesichts der Allgegenwart der Schlafratgeber mag man es kaum glauben, aber die historisch arbeitenden Kulturwissenschaften haben sich im Bann von Freud bis jetzt beinahe ausschließlich für Träume interessiert und die Schlafzustände darüber vergessen.

Und da setzt Ihr Buch Sleep Works an?

Ja, Sleep Works ist der erste Versuch in der Literaturwissenschaft, anhand der Zeit um 1900 über den Schlaf als einem komplexen gesellschaftlichen Phänomen nachzudenken. Und das geht nicht ohne zu berücksichtigen, dass zur selben Zeit die naturwissenschaftliche Schlafforschung entsteht und die Pharmaindustrie beginnt, mit Schlafmitteln viel Geld zu verdienen. Nun wird der Schlaf von Themen wie Traum, Tod, Ohnmacht oder Erschöpfung getrennt und für sich betrachtet. Der Schlaf wird als ein aktiver Prozess entdeckt, in dem das Gehirn nicht abgeschaltet ist, sondern tätig bleibt. Plötzlich bin ich verantwortlich für meinen Schlaf, auch wenn ich nur sehr begrenzt kontrollieren kann, was in meinem Gehirn vor sich geht. Das bedeutet zum Beispiel, dass Schlafmittel nicht nur als chemische Produkte verstanden werden müssen, sondern immer auch als Versprechen, eine durch Schlaflosigkeit grundlegend bedrohte Handlungsmacht wiederherzustellen.  

Schön und gut, aber was hat das alles mit Literatur zu tun?

Autoren wie Marcel Proust, Arthur Schnitzler, Franz Kafka oder Thomas Mann, um nur die bekanntesten zu nennen, waren mit der Schlafforschung und teilweise auch mit den Schlafmitteln ihrer Zeit vertraut. Proust kannte nicht nur wichtige Schlafmediziner, sondern war selbst schlafmittelsüchtig. Er lebte bewusst gegen die Schlafratgeber seiner Zeit, arbeite nachts und schlief tagsüber. Proust putschte sich mit Kaffee auf und setzte sich sogar Adrenalinspritzen. Zum Einschlafen nahm er diverse Medikamente, zum Beispiel Veronal, Trional oder Sulfonal. Diese Selbstexperimente ermöglichten ihm auch literarische Experimente – so konnte er Worte für Erfahrungen finden, die bis dahin terra incognita, unbekannte Kontinente der Psyche, waren. In gewisser Weise ist Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ das raffinierteste und genauste Schlaftagebuch, das je geschrieben wurde.

Machte Proust mit diesen Selbstexperimenten der Schlafforschung Konkurrenz?

Mein Buch behandelt den Zeitraum unmittelbar vor der Entwicklung der bis heute wichtigsten Technologie der Schlafforschung, dem EEG – einem Instrument, mit dem man Hirnströme messen kann. Vor dem EEG mussten sowohl Schriftsteller als auch Schlafforscher in hohem Maß mit Sprache arbeiten, um Schlafzustände auszuloten, zu diagnostizieren und zu unterscheiden. Schlafforscher machten deshalb teils regelrechte Sprachexperimente. Eine besonders poetische Formulierung stammt etwa von dem Wiener Psychiater Otto Plötzl: „Es will sich mir schlafen“.

Es will sich mir schlafen?

Man stolpert erstmal über diese Formulierung, weil ihre Grammatik so holprig ist. Allerdings kennen wir solche unpersönlichen Konstruktionen von Ausdrücken wie „es regnet“. Und dann muss man wissen, dass Plötzl, der einmal in Prag gearbeitet hat, mit „Es will sich mir schlafen“ eine alltägliche tschechische Formulierung sehr wörtlich ins Deutsche übersetzt. Er findet daran interessant, dass im Tschechischen nicht „ich“ schlafe, sondern „es“ – also etwas in einem, das außerhalb der eigenen Kontrolle steht. Auch Plötzl kommt zu der Einsicht, dass der Schlaf ein aktiver Vorgang ist, den man aber nur bedingt selbst steuern kann.  

Ich selbst nutze eine Schlaftracking-App, gerade heute morgen habe ich im Chat mit ihr geplaudert. Sie zeigte mir an: „Schlafperformance 95%; REM-Schlaf 1.32h“. Das fand ich zu trocken. Daher habe ich die App gebeten, ihre Schlafhygiene-Tipps, basierend auf meinen persönlichen Daten, als Gedicht zu formulieren. Das klang dann so:

„Früh am Abend essen, Arbeit zeitig ruh'n, So kann Körper und Geist Gesundes tun.
Lesen vor dem Schlaf, Gedanken werden sacht, Recovery steigt, die Nacht gibt Kraft.
Mit diesen Routinen - gar nicht schwer, Fühlst du Kontrolle, Gesundheit und mehr!“

Reicht dieses interaktive Geplauder mit meiner App nicht als Übersetzungsarbeit, um meinen eigenen Schlaf zu interpretieren?

Die App wiederholt in Versform und garniert mit Reimen bekanntes Wissen aus Schlafratgebern. Ihr Chatbot ist lediglich ein Datenpapagei, der ausdrücklich mit dem Versprechen von Kontrollgewinn lockt. Spannender fände ich hier eine Datenanalyse – das wäre an dieser Stelle die notwendige Übersetzungsarbeit. Was beispielweise bedeuten diese Zahlen? Wer sagt, wann 100% erreicht sind und wodurch? Welche Vorstellungen von Perfektion und Effizienz werden hier als Maßstab gesetzt?

Ist mit AI die Blütezeit der Schlafliteratur vorbei?

Mein Eindruck ist, dass der Schlaf in der Gegenwartsliteratur sogar eine gewisse Konjunktur erfährt. Der bekannteste Text ist wahrscheinlich Ottessa Moshfeghs My Year of Rest and Relaxation, in dem die Protagonistin versucht, ein Jahr lang zu schlafen. Viele andere nennenswerte Texte beschäftigen sich dagegen mit Schlaflosigkeit, zum Beispiel Samantha Harveys The Shapeless Unease, Marie Darrieussecqs Pas Dormir oder Haytham El Wardanys The Book of Sleep. Viele dieser Texte haben autofiktionale Züge und gehören in das neue Genre der „Sleep Memoir“. Es sind Versuche, die eigene subjektive Erfahrung mit dem Nichtschlafen in den Mittelpunkt zu rücken. Gerade das macht die Anziehungskraft dieser Literatur für ihre Leserinnen aus.

Haben Sie eigentlich auch Ihre eigene Schlafhygiene verändert durch die Recherchen zu Ihrem Buch?

Der Trost der Literatur für den Schlaflosen besteht darin, dass sie ein instrumentelles Verhältnis zum Schlaf unterbricht, wie es in Schlafratgebern und allen Anleitungen zur Schlafoptimierung gepredigt wird. Dabei habe ich gelernt, schlechten Schlaf und Schlaflosigkeit weniger als ein Problem zu sehen, das gelöst werden muss. Es sind Zustände wie viele andere, die kommen und gehen, sich verändern und auf ihre Weise interessant sind. Mit dieser Einstellung schläft es sich mir viel besser.•
 

Sebastian P. Klinger ist Literatur- und Kulturwissenschaftler und tätig an der Universität Wien. Sein Buch Sleep Works. Experiments in Science and Literature, 1899–1929 ist kürzlich bei Johns Hopkins University Press erschienen.

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