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Bild: Abacapress (Imago)

Rezension

Syrien mit Arendt deuten

Till Schmidt veröffentlicht am 12 Dezember 2025 6 min

Wie lassen sich die Grausamkeiten der Assad-Diktatur, die Brutalität in syrischen Gefängnissen verstehen? Mit Hannah Arendts Idee einer „Banalität des Bösen“, zeigt der Schriftsteller Yassin Al-Haj Saleh in seinem jüngst erschienenen Buch Hannah Arendt in Syrien. Till Schmidt hat es gelesen. 

Letzte Woche schienen die Feuilletons vor Texten zur Philosophin Hannah Arendt regelrecht überzuquellen. In unzähligen Portraits anlässlich ihres 50. Todestages ging es um das bewegte Leben sowie um die Themen, Thesen und den Sound der großen politischen Theoretikerin des 20. Jahrhunderts. Auffällig war dabei, dass die vielen Verweise auf Hannah Arendts Aktualität recht allgemein und vage, und zuweilen auch phrasenhaft blieben. Kaum Thema war die zeitgenössische Arendt-Rezeption, die nicht nur ihr Werk deutet und auf seine blinden Flecken aufmerksam macht, sondern darüber hinaus auch versucht, ihr Denken für neue, andere Kontexte fruchtbar zu machen.

Kurz vor Arendts Todestag ist mit Hannah Arendt in Syrien eine kleine Essaysammlung erschienen, die genau das tut. Ihr Autor, Yassin Al-Haj Saleh, wurde 1961 in Raqqa, Syrien, geboren. Nachdem er 1980 als Mitglied des demokratischen Flügels der Kommunistischen Partei wegen seiner Opposition gegen die Tyrannei des Assad-Regimes verhaftet wurde, verbrachte er 16 Jahre in syrischen Gefängnissen. 2013 wurde Salehs Frau Samira in einem Vorort von Damaskus entführt und ist bis heute verschwunden. Saleh floh 2013 in die Türkei und lebt seit 2017 in Berlin. Dort erhielt er als Autor politischer und philosophischer Essays renommierte Stipendien. Hannah Arendt in Syrien ist Yassin Al-Haj Salehs drittes Buch. 

In vier Essays versucht Saleh einerseits herauszuarbeiten, aus welcher biografischen Position und welchem zeithistorischen Kontext heraus Arendt etwa zu Staatenlosigkeit, totaler Herrschaft und dem „Verwaltungsmassenmord“ durch die Nationalsozialisten nachgedacht hat. Was Saleh hier kurz zusammenfassend aufzeigt, lässt sich auch vielen vorigen Publikationen zu Hannah Arendt entnehmen, so wie etwa Hannah Arendt zur Einführung von Grit Straßenberger (Junius 2015) oder Ideologie der Sachlichkeit. Hannah Arendts politische Theorie des Antisemitismus von Julia Schulze Wessel (Suhrkamp 2006).

Andererseits entwickelt Yassin Al-Haj Saleh in seinen Essays aber Begriffe einer an Arendt geschulten Philosophie, die in seiner eigenen, und das heißt vor allem syrischen, Erfahrung situiert ist. Ihm geht es unter anderem um einen erweiterten Begriff des Bösen. In Anlehnung an Arendts berühmte Wendung zur Charakterisierung des NS-Täters Adolf Eichmann ist das Böse auch für Saleh vor allem durch eine „Banalität“ gekennzeichnet. Das heißt für ihn: durch „die Unfähigkeit, sich selbst aus der Perspektive von anderen zu sehen“ und durch eine Weigerung, „die Bedeutung des eigenen Tuns“ in den Blick zu nehmen. Arendts Idee einer „Banalität des Bösen“ ist tief situiert in ihrer voraussetzungsvollen, komplexen politischen Theorie. Von der Geschichtswissenschaft ist sie aber, so muss kritisiert werden, in Bezug auf die Person Eichmann widerlegt worden.

In den Gefängnissen Syriens ist für Saleh das Böse aber stets auch auf das körperlich Intime der Insassen gerichtet, etwa durch physische Folter und Vergewaltigungen. Er schreibt von Bediensteten in Assads Haftzentren, die sich zunächst weigern, Gefangene zu foltern, „mit der Zeit aber zu den eifrigsten Folterern“ werden, „weil sie entweder per Befehl dazu gezwungen werden oder weil sie den Spott ihrer Kollegen fürchten, wenn sie es nicht tun.“ So setze nach und nach eine Gewöhnung daran ein, Häftlinge zu quälen. Damit komme, so Saleh, eine sich selbst verstärkende Dynamik des Bösen in Gang, die „nicht mehr an eine ursprüngliche Motivation des ‚Notwendigen‘ gekoppelt“ sei und die „zu einer Art freiwillig gewählten Lebensart“ werde. 

In Syrien bestehe, so Saleh, der wichtigste Motor für böse Handlungen im opportunistischen Wunsch, die eigene Situation zu verbessern oder mehr Besitz und Macht zu erhalten. Das ist ein klassisches Motiv. In Syrien wurde dies aber jahrzehntelang vor allem durch den diktatorischen Staat auf die Spitze getrieben, der dadurch zum „Haupturheber des Bösen“ geworden sei. Dessen Repressionsorgane und Folterknechte hatten seit Hafiz al-Assad – der das Land von 1970 bis 2000 diktatorisch regierte und dann bis Dezember 2024 von seinem Sohn Bashar abgelöst worden war – nach der Devise agiert, das Regime zum Siegel der syrischen Geschichte zu machen. Die ideologische Losung lautete dabei: „Assad auf ewig“. 

Über diese auf ewig angelegte Herrschaftssicherung sei die syrische Gesellschaft und Politik in eine Art zeitlose Zeit geraten, die eine andere Zukunft jenseits der Assad-Diktatur kaum noch vorstellbar erscheinen ließ. Die syrische Gesellschaft sei daher von Groll, Hass und Rachsucht geprägt. Das Verzeihen und Versprechen seien desavouiert – und damit die Möglichkeiten, einen Weg in eine andere Zukunft, die die Vergangenheit aber auch nicht verleugnet, zu eröffnen. Es wäre interessant, in diesem Zusammenhang zu lesen, was Saleh zu den politischen Zukunftsaussichten für die Zeit nach dem Sturz der Assad-Diktatur im letzten Jahr zu sagen hat. 

Auffällig ist, dass er an vielen Stellen versucht, sich in Hannah Arendts Erfahrung als Jüdin und der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie Entkommene hineinzuversetzen. Er macht in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam, dass in der wichtigsten arabischen Übersetzung von Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft die eigentlich sehr zentralen Kapitel zu Antisemitismus und Imperialismus kurioserweise einfach fehlen (allerdings ohne die genaueren Gründe für diese radikale Editierung von Arendts Klassiker zu nennen). 

Wenn es um Israel geht, lesen sich Salehs Essays ein wenig anders. Salehs immer mal wieder knapp eingestreuten Erwähnungen sind weit weniger durchdacht als der Rest seiner Essays – erst recht, weil diese noch vor dem 7. Oktober 2023 und den geopolitischen Veränderungen in der Region verfasst worden sind. Zu lesen ist etwa von einem nicht näher beschriebenen, aber aus Salehs Sicht in jedem Fall per se abzulehnenden „Komplex der amerikanisch-israelischen imperialistischen Dominanz“ im Nahen Osten (aber nicht vom Imperialismus des iranischen Regimes); oder, mit Verweis auf den palästinensischen Dichter Mahmoud Darwish, von den „Palästinenser[n] unter uns“ als den „‚Juden der Juden‘“, was zumindest in den Rezeptionskontexten in Syrien und in Deutschland mehr Dogwhistling und ideologischer Glaubenssatz ist als eine treffende Analyse.

Insgesamt plädiert Saleh für ein Denken, das doktrinärem Dogmatismus und ideologischen Glaubenssätzen eine Absage erteilt und sich durch Offenheit und ein Willkommenheißen des – so ließe sich ergänzen, je nach Kontext ja unterschiedlichen – Anderen auszeichnet. Saleh schreibt: „Die Infragestellung der Existenz(berechtigung) anderer, ihre politische Abwesenheit, ihre Stummschaltung und ein ihnen auferlegtes Sprechverbot“ stellen diese „außerhalb unserer moralischen Verantwortung, verringer[n] unsere Empfindsamkeit für das, was ihnen widerfährt, und verhinder[n] das Entstehen eines Gewissens.“ Und genau diese wirkliche Pluralität fehle, so Saleh, auch in Hannah Arendts Denken vor allem aufgrund ihres Eurozentrismus, ihrer mangelnden Sensibilität für Rassismus und ihrem Desinteresse für die sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Zugangsvoraussetzungen für politische Teilhabe.

Salehs diskursethische Ausführungen zur Notwendigkeit der Berücksichtigung des Anderen lesen sich interessant, bleiben aber gleichzeitig auch extrem vage. Es ist klar, dass Saleh den Islamismus entschieden ablehnt und auch keine kulturrelativistischen Positionen vertritt, die das Andere oder die Anderen essentialisieren, und bloß für ihre reale oder imaginierte Andersartigkeit feiern. Saleh geht es darum, aufmerksam zu sein für das manchmal auch nur leise zu vernehmende „Brummeln“ und „Murmeln“ der oder des Anderen; darum, sich von Irritationsmomenten abschrecken zu lassen oder von im Denken festgefahrenen Ideologien. Dennoch bleibt weitgehend unklar, wer der oder das Andere überhaupt ist und was – über eine fairere, ausgewogene Repräsentation hinaus – seine stärkere Berücksichtigung im Diskurs bewirkt. Genau diese entscheidende Frage, die so wichtig ist für die kleinen und großen Konflikte der heutigen Zeit, lässt Saleh leider offen. Inwieweit man hier auch mit Arendts großem, thematisch vielfältigen Werk weiterkommt, ist eine ganz andere Frage. •

Yassin Al-Haj Saleh
Hannah Arendt in Syrien
Matthes & Seitz, 122 S., 14 €

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