Von TikTak zu TikTok
Popsongs werden zunehmend passgenau für Online-Plattformen wie TikTok und Spotify produziert. Klingt nach einer weiteren Landnahme großer Digitalkonzerne. Doch wusste bereits Nietzsche, dass die Kunst seit jeher Nützlichkeitskriterien folgt. Schließlich sollte schon die antike Lyrik vor allem eins sein: ein Ohrwurm.
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Wie treffe ich eine gute Entscheidung?
Seit jeher haben Menschen Entscheidungsprobleme. Was sich bereits daran zeigt, dass eine der wichtigsten Institutionen der Antike eine Art göttliche Beratungsagentur darstellte. Sagenumwobene Orakel, deren meistfrequentierte Filiale sich in Delphi befand und dort mit dem Slogan „Erkenne dich selbst“ um weisungswillige Griechen warb, stillten nicht nur religiöse, sondern auch politische, militärische und lebenstherapeutische Informationsbedürfnisse. In wirtschaftlicher Hinsicht funktionierten Orakel gar wie moderne Consulting-Buden. Wer genug Drachmen hatte, konnte eine ausführliche Interpretation der Weissagungen durch die prophetische Priesterin Pythia erhalten, während weniger Begüterte lediglich Ja- oder Nein-Fragen stellen durften.
Wer ist mein wahres Selbst?
Kennen Sie auch solche Abende? Erschöpft sinken Sie, vielleicht mit einem Glas Wein in der Hand, aufs Sofa. Sie kommen gerade von einem Empfang, viele Kollegen waren da, Geschäftspartner, Sie haben stundenlang geredet und kamen sich dabei vor wie ein Schauspieler, der nicht in seine Rolle findet. All diese Blicke. All diese Erwartungen. All diese Menschen, die etwas in Ihnen sehen, das Sie gar nicht sind, und Sie nötigen, sich zu verstellen … Wann, so fragen Sie sich, war ich heute eigentlich ich? Ich – dieses kleine Wort klingt in Ihren Ohren auf einmal so seltsam, dass Sie sich unwillkürlich in den Arm kneifen. Ich – wer ist das? Habe ich überhaupt so etwas wie ein wahres Selbst? Wüsste ich dann nicht zumindest jetzt, in der Stille des Abends, etwas Sinnvolles mit mir anzufangen?
Gedankenlos durch die Nacht
Netflix Direct heißt die neue Funktion, die der Streaming-Dienst aktuell in Frankreich testet. Auf den ersten Blick mutet diese wie eine Rückkehr zum guten, alten Fernsehen an. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Netflix folgt hierbei einer Einsicht, die der britische Philosoph Alfred North Whitehead bereits vor knapp einhundert Jahren formulierte.

Die Welt als Blase
Vollüberdacht, klimakontrolliert, lustmaximierend. Willkommen in der Welt von morgen! Anstatt sich an einer zunehmend lebensfeindlichen Außenwelt abzuarbeiten, setzen Utopisten verstärkt auf die Idee einer voll technisierten Kunstsphäre. Wie es sich anfühlt, sollte diese Vision Wirklichkeit werden, lässt sich bereits heute in einem alten Zeppelin-Hangar außerhalb Berlins erspüren.
Familie - Zuflucht oder Zumutung?
Der Herd ist noch an. Es fehlen einige Gabeln sowie Tante Barbara, die wieder „im Stau“ steckt. Egal. Anfangen, „bevor das Essen kalt wird“, mahnt meine Mutter wie jedes Jahr. Vor allem aber: „Langsam essen!“ Vater hat derweil schon den zweiten Bissen im Mund. Der Neffe spielt unter der Tischplatte auf seinem Smartphone. Meine Schwester versetzt ihm dezent einen Tritt. Der Schwager zischt: „Lass ihn doch einfach!“ Dass die Flüchtlingskrise als Thema tabu ist, hatten wir im Vorfeld per Rundmail zwar ausdrücklich vereinbart, aber was interessiert das schon Onkel Ernst? Denn erstens hat er kein Internet und zweitens kein anderes Thema. Ein verzweifelter Blick auf die Uhr. Und zur Gattin. Noch 22 Stunden und 34 Minuten, bis der Zug zurück nach Hause fährt. Durchhalten. Frieden wahren. Schließlich ist heute Weihnachten. Und das hier meine Familie.
Zungen reden
Die Gedichte der afro-amerikanischen Lyrikerin Amanda Gorman sollten von einer weißen Übersetzerin ins Niederländische übertragen werden. Nach Kritik trat diese nun von dem Auftrag zurück. Der Fall zeigt: Die einst vom Poststrukturalismus beerdigte Autoreninstanz ist wieder auferstanden. Doch um welchen Preis?

Imre Kertész: "Denken ist eine Kunst, die den Menschen übersteigt"
Die Redaktion des Philosophie Magazin trauert um Imre Kertész. In Gedenken an den ungarischen Schriftsteller veröffentlichen wir ein Interview mit ihm aus dem Jahr 2013.
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Nietzsche, Wittgenstein, Camus – es war die Philosophie, die Imre Kertész den Weg zur Literatur wies. Der ungarische Nobelpreisträger blickte in seinem, wie er selbst vermutete, „letzten Interview“ zurück auf ein Leben, das sich weder durch Konzentrationslager noch die kommunistische Zensur zum Schweigen verdammen ließ.
„Wissen Sie, ich habe viel über Ihre Fragen nachgedacht“, sagte Imre Kertész gleich zu Beginn, als er uns in seiner Wohnung in Buda, einem Stadtteil von Budapest, empfing. „Mir liegt daran, mit Ihnen ein schönes Interview zu führen, weil es vermutlich mein letztes sein wird.“ Dieser testamentarische Satz könnte makaber wirken, aber im Gegenteil: Seiner kurzatmigen Stimme zum Trotz leuchtet es in seinen Augen lebhaft und verschmitzt. Seit gut einem Jahrzehnt kämpft Kertész mit der Parkinsonkrankheit, Ursache zahlloser Schmerzen und Schwierigkeiten, von denen seine veröffentlichten Tagebücher berichten. Diese Krankheit zwang ihn, 2012 offiziell das Schreiben aufzugeben, und lässt ihm täglich nur wenige kurze Momente der Ruhe.
Es ist schwer, nicht gerührt zu sein bei der Begegnung mit diesem so geprüften und zugleich so zäh durchhaltenden Menschen, der unentwegt über die Paradoxa des Daseins als „Überlebender“ nachgesonnen hat. Imre Kertész wurde 1929 geboren. 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert, dann nach Buchenwald gebracht, wo er 1945 die Befreiung des Lagers erlebte. Den wesentlichen Teil seines Lebens hat er daraufhin unter dem kommunistischen Regime in Ungarn verbracht. Kertész begann Mitte der fünfziger Jahre zu schreiben. Zugleich toleriert vom Regime und sorgsam ferngehalten von der Öffentlichkeit, veröffentlichte er in äußerst überschaubaren Auflagen und kühl aufgenommen von der offiziellen Kritik Meisterwerke wie „Roman eines Schicksallosen“ oder „Der Spurensucher“. Erst mit dem Zusammenbruch des Ostblocks wurden seine Werke in aller Welt übersetzt und fanden internationale Anerkennung, gekrönt vom Literaturnobelpreis im Jahr 2002.
Wenn es eine weniger bekannte Dimension seiner Existenz gibt, dann ist es das Verhältnis des Schriftstellers zur Philosophie. Aus Leidenschaft, doch auch, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, übersetzte Imre Kertész zahlreiche deutsche Philosophen vom Deutschen ins Ungarische, unter ihnen Friedrich Nietzsche und Ludwig Wittgenstein. Die Lektüre dieser Autoren sowie die von Albert Camus und Jean-Paul Sartre hat unentwegt sein Werk genährt. Vor allem aus dem Wunsch heraus, sich über seine – intensive und beständige – Beziehung zur Philosophie zu äußern, stimmte Kertész unserer Interviewanfrage zu.

Ludger Schwarte: „Farbe ist immer anarchisch“
Lange Zeit wurde die Farbe in der Philosophiegeschichte ausgeklammert. Ein Unding, wie Ludger Schwarte in seinem neuen Buch Denken in Farbe erläutert. Schließlich eignen wir uns die Welt nicht nur durch Farben an, sondern sie besitzen auch ein subversives Potenzial.
