Zukunftsträume eines Geistersehers
Ende des 19. Jahrhunderts wollte der Philosoph Carl du Prel den Spiritismus mit dem Geist der modernen Wissenschaft in Einklang bringen. Noch heute sind Medientheoretiker beflügelt von du Prel – höchste Zeit, den Spiritisten und sein Denken genauer zu betrachten.
„Ein Gespenst geht um in Europa“, verkündeten Karl Marx und Friedrich Engels im ersten Satz des Manifests der Kommunistischen Partei. Als die weltverändernde Schrift im Jahr 1848 erschien, begann es seltsamerweise auch in den USA zu spuken, und zwar auf ganz und gar unmetaphorische Weise: Maggie und Kate Fox, zwei halbwüchsige, schneewittchenbleiche Farmerstöchter aus dem Ostküstendorf Hydesville, vernahmen eines Abends im elterlichen Haus merkwürdige Klopfgeräusche. Kaum hatten sie den ersten Schrecken verdaut, begannen sie zurückzuklopfen und fanden heraus, dass sie es mit niemand Geringerem als dem unerlösten Geist eines Hausierers zu tun hatten, der vor Jahren im Fox-Haus ausgeraubt, ermordet und im Keller verscharrt worden war. Bald schon tourten Maggie und Kate unter Aufsicht ihrer geschäftstüchtigen älteren Schwester Leah durchs Land: Gefeierte Auftritte vor einem zahlungswilligen Publikum wechselten sich mit eher unangenehmen Sitzungen vor professionell skeptischen Expertenkommissionen ab. Es dauerte nicht lange, da tauchten überall auf dem nordamerikanischen Kontinent Nachahmer auf, die öffentlichkeitswirksam mit dem Jenseits in Kontakt traten. Innerhalb kürzester Zeit schwappte die spirit-rapping mania über den Atlantik nach Großbritannien und Frankreich. Ab den 1870er-Jahren klopfte man auch hierzulande, was das Zeug hielt, ließ Tische durch die Luft schweben oder sprach mit tranceartig verdrehten Augen in fremden Zungen. Das Massenphänomen des modernen Spiritismus war geboren. Der 31. März 1848 – jener Tag, an dem die Fox-Mädchen zum ersten Mal Klopfzeichen mit dem hauseigenen Poltergeist austauschten – gilt bis heute als offizielle Geburtsstunde.
Es scheint einleuchtend, die damals rasant um sich greifenden esoterischen Trends als eine Art Abwehrmechanismus und Trotzreaktion gegen die Zumutungen der Moderne zu deuten: Industrialisierung, Naturwissenschaft und Revolutionen trieben die Entzauberung der Welt im 19. Jahrhundert stürmisch voran. Was lag da für den vom Rationalitäts- und Fortschrittskult erschöpften Nordamerikaner oder Europäer also näher, als Zuflucht im Irrationalen und Vormodernen zu suchen? – Allerdings wird man mit diesem prominenten Deutungsansatz dem Phänomen nur teilweise gerecht. So wurden gerade im weitgefächerten intellektuellen Leben des Wilhelminischen Kaiserreichs immer wieder Stimmen laut, die den Geisterglauben mit dem alles beherrschenden Vernunftparadigma in Einklang bringen wollten. Allen voran wurde der Philosoph und Lebenskünstler Carl du Prel von diesem Anliegen umgetrieben. In seinen zahlreichen, lange Zeit fast vollständig vergessenen Schriften versuchte er nicht nur Spukphänomene und Wissenschaft zusammenzudenken, sondern fächerte nebenbei ein Panorama der Denkumbrüche des Fin de Siècle auf – jener Epoche, in der sich die Sinnkrisen unserer Gegenwart bereits abzeichneten, obgleich noch mit den unscharfen Konturen einer Gespenstererscheinung.
Rückrufe aus dem Jenseits
Beinahe wäre aus dem 1839 in Landshut geborenen, in München aufgewachsenen Baron du Prel ein braver Philosophielehrer bei der Bayerischen Armee geworden. Jedenfalls verfasste er als Leutnant, parallel zu seinen Verpflichtungen in der Kaserne, in dieser Absicht eine Dissertation zum Thema Der Traum vom Standpunkt des transzendentalen Idealismus (1868). Als vier Jahre nach seiner Promotion noch immer keine Dozentenstelle frei wurde, quittierte er seinen Dienst und schlug den Weg des privatgelehrten Vielschreibers ein. In dichter Folge verfasste er Artikel und Rezensionen, Reisetagebücher, Abhandlungen zu naturwissenschaftlichen und literarischen Themen.
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