American Possenreißer
Jedes Jahrhundert bringt sein eigenes Menschenbild hervor. Wir Heutigen ähneln Nietzsches Seiltänzer und balancieren am Abgrund. Verzagen sollten wir trotzdem nicht, meint unser Kolumnist Wolfram Eilenberger.
Was tun denkende Menschen, die nicht weiterwissen? Nun, wie die Geschichte zeigt, verschaffen sie sich zunächst ein Bild der Lage. Denn Bilder orientieren, geben Halt. Manchmal halten sie auch gefangen. Tatsächlich waren es seit Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem drei Denkbilder, die westlichem Handeln und Geschichtsverständnis einen Weg wiesen. Bis zur Zeitenwende des Jahres 2025. So stand man insbesondere in Deutschland mit seiner bald Schule gewordenen transzendentalen Miserabilität ganz im Banne jenes Engels, den sich Walter Benjamin im Jahre 1940 ausmalte: „Seine Augen“, so Benjamin, „sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind aufgespannt“. So behält dieser Engel, mit dem Rücken zur Zukunft, stets jene katastrophale „Kette von Begebenheiten“ im Blick, die es fürderhin unmöglich machen würde, Leitbegriffe wie „Fortschritt“, „Freiheit“ oder „Gleichheit“ ohne Schaudern zu verwenden.
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