Frieden durch föderale Selbstbestimmung
Der Krieg in der Ukraine stellt für die deutsche Außenpolitik eine Zeitenwende dar. Dass dies jedoch zu militärischer Aufrüstung führt, ist eine vertane Chance. Es wäre Zeit, die Idee von Nationalstaaten als Friedensversicherung zu verabschieden.
Seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffs der Russischen Föderation auf den Nachbarstaat Ukraine spricht man in Deutschland von einer außenpolitischen „Zeitenwende“. Tatsächlich aber hat das Bekenntnis zu mehr militärischer Wehrhaftigkeit herzlich wenig mit einem grundsätzlichen Sinneswandel zu tun. Ein solcher wäre erst dann zu verzeichnen, wenn sich politische Entscheider von der Idee verabschiedeten, robuste Nationalstaaten seien ein verlässlicher Friedensgarant. In der Praxis erweisen sie sich nämlich häufig als unkalkulierbare Zeitbomben.
Das hat historische Gründe. Einer ist der Zerfall von Imperien, die nach Selbstbestimmung verlangende Nationen unterdrückten. Beispiele sind das Osmanische Reich und die Sowjetunion. Aus der Konkursmasse dieser Vielvölkergebilde ging eine Vielzahl neuer Nationalstaaten hervor, in denen sich wiederum ethnische und religiöse Minderheiten um ihr Recht auf Selbstbestimmung gebracht sahen.
Zugespitzt könnte man sagen: Aus einigen wenigen großen „Völkergefängnissen“ wurden immer wieder viele kleine. Hier waren Konflikte ebenso vorprogrammiert wie bei jenen Nationalstaaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus antikolonialen Befreiungsbewegungen hervorgegangen waren. Denn die von den Kolonialmächten quer durch ethnische und religiöse Kommunikations- und Solidargemeinschaften gezogenen Grenzen wurden dabei beibehalten.
Die Kraft lokaler Gemeinschaften
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