Jean-Luc Mélenchon: „Die neue Linke darf den Menschen nicht vorschreiben, was sie mit ihrer freien Zeit tun sollen!”
Überraschend gewann die linke Neue Volksfront gestern die zweite Runde der Parlamentswahl in Frankreich. Doch was will die Linke unter Jean-Luc Mélenchon? 2022 sprach er mit dem Philosoph Michaël Fœssel über die Relevanz des Vergnügens.
Mitten im Wahlkampf für die französischen Präsidentschaftswahlen haben wir Jean-Luc Mélenchon, dem Kandidaten von La France insoumise, vorgeschlagen, mit dem Philosophen Michaël Fœssel in einen Dialog zu treten. Fœssel hat jüngst ein Buch über das Verhältnis der französischen Linken zu Lust und Vergnügen veröffentlicht („Le plaisir et la gauche“; Quartier Rouge, 2022) und richtet an Mélenchon die Frage, ob die Linke in ihrem Kampf für Gleichheit und gegen Ausbeutung, in ihrem Werben für eine Form von klimabewusster Askese und ihrer Kritik an geschlechter- oder rassespezifischen Privilegien vergessen habe, sich auf das unvorhersehbare und unmittelbare Vergnügen zu stützen. Was könnte letztlich Lust darauf machen, die Linke wieder ins Herz zu schließen?
Michaël Fœssel: Ich möchte aus dem Vergnügen kein politisches Programm machen, sondern eher die Ursachen für die Abkehr der Wähler*innen von der Linken und, in einem weiteren Sinn, von der Politik überhaupt untersuchen. Die Motive für diesen Liebesentzug sind zunächst historisch. Sie entspringen dem Scheitern von Kommunismus und Sozialdemokratie. Es kommt mir allerdings so vor, als gäbe es eine affektive Spielart dieser Entzweiung zwischen den Parteien der Linken und ihrer Wählerschaft. Die Linke stellt – aus verständlichen Gründen – das Leiden in den Vordergrund, das Anprangern der ökonomischen Ungerechtigkeit, die Ablehnung der Herrschaftsformen. Das Vergnügen wird hingegen oft als suspekt angesehen, weil es wie ein fauler Kompromiss mit der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung erscheint. Für zahlreiche kritische Geister hat das Vergnügen einen schlechten Ruf. In letzter Zeit haben sich in einer Welt, die wegen der Klimakrise vor dem Zusammenbruch steht, Genügsamkeit und Mäßigung als Imperative des Überlebens durchgesetzt. Allerdings wird diese ökologische Besorgtheit vor allem bei den unteren Schichten der Bevölkerung auch als Bestrafung oder Aufruf zur Askese erlebt. Wenn die Ökologie eine Förderung des Lebendigen ist, müssen wir uns fragen, auf welcher Ebene sie die Aufwertung des Vergnügens impliziert. Das Lebendige ist nicht nur eine Norm. Es kann in der Freude noch an Intensität gewinnen. Ausgehend von einer Kritik der Konsumgesellschaft hängt die Linke ebenfalls sehr oft der Idee an, dass der Kapitalismus sich so weit verallgemeinert und so sehr die Körper vereinnahmt habe, dass unsere Empfindungen jubelnder Freude, unsere Momente glücklicher geschwisterlicher Verbundenheit und selbst unsere gewöhnlichsten Vergnügen verdächtig wären. Wie könnte man auch in einer so ungerechten Welt Freude genießen? Mir kommt es nun so vor, als ob es durchaus eine emanzipatorische Dimension des Vergnügens gäbe, insbesondere, wenn dieses Vergnügen nicht individualistisch ist, sondern geteilt wird. Etwas in dieser Art ist bei der Bewegung der „Gelbwesten“ passiert. Diese haben sich an Plätzen versammelt, die sie umgaben, Orten der gewöhnlichen sozialen Tristesse, der Verdrossenheit: Kreisverkehre, Autobahn-Mautstellen ... Sie haben diese Orte vereinnahmt, um sie zu verfremden und aus ihnen Orte ausgelassener Freude und glücklicher Geselligkeit zu machen. Sie haben sie verwandelt in Orte der Agora, an denen man sich politisch ausdrückt, und zugleich in Partyzonen, in denen Grillfeste organisiert werden. Das hat mir einen Text von Simone Weil zu den Streiks von 1936 in Erinnerung gerufen. Sie erzählt, dass direkt am Ort des Leidens und der Mühsal der Arbeiter, in den besetzten Fabriken, plötzlich eine „reine Freude“ aufgekommen sei. Die Philosophin hat darin einen Sieg gesehen, noch bevor die Gehaltsforderungen erfüllt worden wären. Das Vergnügen nimmt man sich da, wo man es findet, selbst im Bereich eines bedrückenden gesellschaftlichen Systems, dessen Parameter man gerade ändert. Das hat in mir die Idee geweckt, das politische Engagement nicht nur anhand von Programmen in den Blick zu nehmen, sondern auch anhand der positiven affektiven Energien, die es motivieren.
Jean-Luc Mélenchon: Für mich ist die Linke nicht zusammengebrochen, weil sie das Vergnügen vernachlässigt hätte, sondern weil sie das Volk aufgegeben hat. Die Ursache der Entzweiung zwischen der Linken und dem Volk liegt vollständig im Inhalt des politischen Programms der Linken. Sie hat aufgehört, die Forderungen der unteren Schichten der Bevölkerung und der Arbeitswelt zu repräsentieren. Sie hat sich den Imperativen des herrschenden Kapitalismus angepasst. Und die Sozialdemokratie hat das ganz aus freien Stücken getan! Sie dachte, wenn es dem System gut ginge, dann würde sie in ihm Verbesserungen verwirklichen. Keine Rede mehr davon, es umzustürzen oder es überwinden zu wollen. Dieses „reformerische“ Modell (mit dicken Anführungszeichen) stand seit jeher außerhalb der Tradition der französischen Linken. Diese entsteht 1789. Ihre ursprünglich revolutionäre inhaltliche Ausrichtung markiert überdeutlich ihre gesamte Geschichte. Léon Blum ist die Bestätigung dafür. Und vergessen wir nicht, dass die Parti Socialiste der 1970er Jahre sich als antikapitalistisch bezeichnete und auf Karl Marx berief. Nichtsdestotrotz hat die französische Sozialdemokratie mit ihrer Geschichte gebrochen, indem sie sich auf den Finanzkapitalismus und die Politik von Angebot und Nachfrage eingelassen hat. Sie ist daran gestorben. Was den Staatskommunismus betrifft, so ist er zusammengebrochen, ohne dass ihre Erben imstande wären, eine neue Idee des Kollektivismus zu formulieren. Diese überholten Programme müssen ersetzt werden. L'avenir en commun [„Gemeinsame Zukunft“], mein Programm für die Präsidentschaftswahlen, ist ein Programm des Übergangs. Es unterbreitet den Vorschlag für einen Übergang von einer Gesellschaft des Finanzkapitalismus zu einer Gesellschaft der Harmonie zwischen Mensch und Natur. Doch kommen wir auf Ihr Buch zurück. Es trifft viele wunde Punkte. Es schaut wie mit dem Vergrößerungsglas auf das, was die traditionelle Linke verdrängt und verleugnet. Das tut sie sicherlich nicht bewusst, doch es funktioniert wie eine unveränderliche Größe in den letzten Zeiten. Es sieht ganz so aus, als ob diese Linke durch den Kapitalismus über die Frage des Vergnügens hinterrücks überrumpelt worden wäre. Dabei war der Feind von Vergnügen und Unvernunft anfangs ja der Kapitalismus! Er sagte den Leuten, an ihrem zugewiesenen Platz zu bleiben, er dressierte die Körper, um sie stundenlang in schmerzhaften Haltungen arbeiten zu lassen, ohne irgendeine Belohnung für ihr Tun. Es liegt ja nun keinerlei Vergnügen darin, mechanisch immer die gleiche Geste auszuführen oder sich die ganze Zeit wehzutun. Der Sozialismus dahingegen verstand sich als Befreier. Er versprach Emanzipation und das Vergnügen, über sich selbst zu verfügen, insbesondere dank der Kultur.
M. F.: Zudem ist ja in vielen Programmen der Linken die Frage der freien Zeit wesentlich und schließt damit die Vorstellung des Vergnügens mit ein.
J.-L. M.: Die Frage nach dem Eigentum der Zeit ist historisch gesehen das Herz des Kampfes der Arbeiterbewegung. Der Kapitalismus eignet sich die Zeit in zweierlei Hinsicht an: auf kurze Sicht hin als Zeit, in der man zur Arbeit gezwungen ist, auf lange Sicht hin in Form der Schulden als eine Zukunft unter Zwang. Wenn das Vergnügen an die Freiheit geknüpft ist, über sich selbst verfügen zu können, dann ist heute die beste Form, Vergnügen einzufordern, sicherlich die Rückeroberung der freien Zeit. Die neue Linke darf den Menschen aber nicht vorschreiben, was sie mit ihrer freien Zeit tun sollen! Tu was du willst – male Bilder, kümmere dich um deine Familie, oder, wenn dir das lieber ist, tu gar nichts ... Das geht mich nichts an! Das Vergnügen, sagen Sie, könne nicht frei sein, wenn es die Erfüllung eines Begehrens sei, weil dieses immer das Ergebnis einer sozialen Weisung sein wird. Für Sie besteht das Vergnügen darin, aus dem von der Gesellschaft vorherbestimmten Rausch der Begierden auszubrechen. Ich bin da libertärer. Wenn Leute fordern: „Lasst uns verdammt noch mal in Frieden! Lasst uns in Ruhe! Sagt uns nicht, was wir tun müssen oder was wir nicht tun dürfen. Gebt uns einfach die Möglichkeit, frei zu sein in diesem unbestimmten Bereich, von dem wir nicht recht wissen, was wir mit ihm anstellen werden“, dann haben sie absolut das Recht dazu.
M. F.: Bei den Maßnahmen, die Sie vorschlagen und die zunächst darauf abzielen, dort, wo Hierarchien herrschen, wieder Gleichheit herzustellen, könnten wir ins Detail gehen. Mir kommt es aber so vor, als gebe es innerhalb von La France insoumise die Vorstellung einer unabdingbaren Abzweigung vom bisherigen Weg, wenn die Welt nicht in die Katastrophe steuern will. Jetzt müssen die Leute nur noch überzeugt werden, dass diese Abzweigung glücklich und freudvoll sein kann, dass sie nicht nur neue Zwänge mit sich bringt.
J.-L. M.: Die Ablehnung des Vergnügens hat eine sehr lange Geschichte, die viel weiter zurückreicht als die Geschichte der Linken. Die Bibel zum Beispiel präsentiert eine geschlossene Welt, in der wir uns ständig kasteien müssen. Das Leben wird dort als Jammertal betrachtet, wo wir unser Heil im Leiden erlangen. Der Messias leidet, um die menschliche Würde der Sünder zu erlösen, die ihn mit Schmutz bewerfen! Das ist ein ganzes Programm permanenter Selbstkasteiung!
M. F.: Und er lacht nicht. Jesus weint, aber er lacht niemals.
J.-L. M.: Sie werden feststellen, dass in der gesamten abendländischen Bildhauerei des Mittelalters, romanisch oder gotisch, niemand lächelt, außer der Engel der Kathedrale von Reims. Doch am Ende des 15. Jahrhunderts erscheint ein „Prophet“ neuer Art: Pico della Mirandola. Er behauptet, die Würde des Menschen bestehe darin, Schöpfer seiner eigenen Geschichte zu sein. Der Humanismus entsteht. Hier in Frankreich versichert Rabelais, das Lachen sei des Menschen Eigenart. Und La Boëtie animiert uns gegen unsere freiwillige Knechtschaft zur Freiheit, indem er argumentiert, dass selbst die Tiere an ihrer Freiheit hängen.
M. F.: Dieser Kampf setzt sich während des Jahrhunderts der Aufklärung fort. Zu jener Zeit beginnen sich zwei linke Strömungen gegenüberzustehen. In Frankreich liegen eine Partei der Enzyklopädisten und Voltaire im Streit mit Rousseau. Erstere sind liberal und hedonistisch, sie finden Rousseaus strengen Egalitarismus nur schwer erträglich. Diese Trennlinie findet sich während der Französischen Revolution wieder, mit dem Genießer Danton gegen den gestrengen Robespierre. Auf der einen Seite gäbe es eine liberale, vergnügungsfreudige Linke, die jedoch die Ausbeutung der Körper nicht infrage stellt. Auf der anderen Seite stünde eine revolutionäre, aber trübselige Linke. Diese klassische Konfiguration wollte ich hinterfragen, indem ich daran erinnerte, dass man ohne Weiteres dem entfesselten Kapitalismus feindlich gegenüberstehen kann, ohne ein Feind sinnlicher Freuden zu sein.
J.-L. M.: Ja, Robespierre ist jemand mit einem Weltbild. Er verbringt seine Zeit damit, dieses auf alle Situationen anzuwenden. Mirabeau, der zu denen gehört, die Sie die liberale Linke nennen, sagt von ihm: „Man kann nicht mit ihm reden, er glaubt alles, was er sagt.“ Er nennt ihn auch eine „wandelnde Menschenrechtserklärung“. Den Erschaffern von Weltbildern, in denen es keinen Platz für das Unerwartete gibt, ist so etwas eigen. Nun stimmt es aber, dass das Vergnügen aus dem Unerwarteten, dem Ungewohnten hervorgeht. Es ist selten die Verwirklichung eines vorherbestimmten Plans.
M. F.: Außerdem verdrehen Mirabeau und die anderen jedes Mal, wenn Robespierre das Wort ergreift, verärgert die Augen: „Gleich wird er wieder von den Armen reden ...“ Anders gesagt: „Gleich wird er uns wieder mit Trübsinn überschütten, während wir doch in uns den Jubel des Neubeginns verspüren.“
Michaël Fœssel (Bild: Manuel Braun)
J.-L. M.: Ich habe mich immer gefragt, warum so viele Leute kamen, um Robespierre zuzuhören; er war nach der Mode des Ancien Régime gekleidet, hatte eine Fistelstimme, war überhaupt kein großer Redner. Seine Kraft kam von dem, was er erklärte: Er gab Sinn, brachte Ordnung ins Chaos des Realen, um zu zeigen, in welche Richtung er ging. Es stimmt, dass dieser Versuch einer allumfassenden Erklärung oft zulasten der freudvollen Affekte gegangen ist. Der kapitalistische Diskurs verkündet seinerseits keine Wahrheit über das menschliche Sein, außer vielleicht einen angeblichen Naturzustand, den des Marktes. Der Sozialismus aber durchaus! Der jakobinische Republikanismus ebenfalls: die Wahrheit des emanzipierten Seins. Und dieser Emanzipationsdiskurs brauchte lange, um mit dem christlichen Prophetismus und der Idee der Offenbarung zu brechen. Selbst Marx sagt: „Die Arbeiterklasse ist revolutionär oder sie ist nichts“, als ob diese nicht zunächst aus einem gesellschaftlich-materiellen Zusammenhang hervorgegangen wäre. In jenem Moment befindet sich Marx im reinen philosophischen Idealismus. Laut ihm befreien sich die Proletarier aus ihrer Ausbeutung in den Produktionsverhältnissen, indem sie zum Verständnis ihrer Natur gelangen. Dieser Mechanismus ähnelt der Offenbarung. Der Vorgang ist vollkommen auf die Vernunft, auf die kalte Argumentation und demnach auf das Beiseitelassen der Affekte gegründet. Das wäre der Preis, der für ein gelingendes Verstehen der Welt zu zahlen ist. Jene Linke, die sich im Namen der wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit ihrer Methode dem Vergnügen und den Affekten widersetzt, ist in der Geschichte der kommunistischen Parteien wiederzufinden. Von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zu den 1970er Jahren lasen die Redner ihre Reden nur vom Blatt ab. In erster Linie, damit der Inhalt unter Kontrolle bleiben konnte. Aber auch, um im sakralen Moment des Kontakts, dem des offiziellen Sprechens, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die wirkliche Umkehrung in unserem politischen Verhältnis zum Vergnügen vollzieht sich aber, wenn plötzlich der Kapitalismus auftaucht, um die Individuation „anzustacheln“: „Bevorzugen Sie eher Heidelbeer- oder Bananenjoghurt? Ich kümmere mich um Sie, und Ihre Auswahlentscheidungen werden an Feinheit gewinnen.“ An diesem Punkt bäumt sich die traditionelle Linke auf und prangert eine teuflische List an. Sie muss das durch die Kritik der im Kapitalismus im Mittelpunkt stehenden Konsumwelt tun. Diese Welt schafft Bedürfnisse, die zuvor nicht existierten, um dadurch neue Produktionen hervorzurufen. Allerdings sind das dem Empfinden nach wahre Bedürfnisse. Nur fällt es der Linken oft schwer, dem Rechnung zu tragen. Das kapitalistische Angebot ist frohlockend wie ein entspanntes Loslassen, und der moralische Anspruch der Linken erscheint wie eine Selbstkasteiung.
M. F.: Den Gleichheitsanspruch und das Vergnügen miteinander zu verbinden ist schwierig. Wie kann ich die Sinnesfreude und die Frage der Körper in den Blick nehmen und dabei über das konservative Modell der Distinktion hinausgehen, das voraussetzt, dass ich nur genießen kann, wenn ich als Einziger genieße? Für den ökonomischen Liberalismus gehört der Körper dem Individuum, aber seine hauptsächliche Freiheit besteht darin, ihn in die Arbeit einzubringen. Heute akzeptiert der Konsumismus, dass wir unseren Körper zwischen Arbeit und Freizeit aufteilen. Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass die Individuen mehr als einen einzigen Körper haben. Es geht nicht mehr nur darum, sich zwischen einem zur Arbeit bestimmten Körper und einem der Freizeit vorbehaltenen Körper aufzuteilen, sondern darum, das Vergnügen ins Innere der Arbeit selbst einzuführen. Ein wirklich linkes Programm könnte der Logik des Kapitals widersprechen, indem es die Freude dem Arbeitsplatz einschreibt, selbst wenn das auf eine Tradition verweist, die in früheren Zeiten dem utopischen Sozialismus zugerechnet wurde, insbesondere dem von Charles Fourier.
J.-L. M.: Im Kapitalismus beginnt die Entfremdung am Arbeitsplatz. Der Person wird das Eigentum an ihrem Körper verwehrt. Sie ist da, um dieselben Gesten zu wiederholen. Man bemächtigt sich ihrer Zeit und des Produkts ihrer Arbeit. Das ist die Entfremdung. Darum gibt es ein unmittelbares Vergnügen in der kollektiven Aktion. Die Orte zu besetzen, bedeutet auch, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Man besetzt und kontrolliert, und seien es nur Kreisverkehre. Dieses Vergnügen ist der zentrale Antrieb der Bürgerrevolutionen, die ohne Vorwarnung allenthalben in der Welt aufkommen. Was bei diesen Ereignissen hauptsächlich auf dem Spiel steht, ist wohlgemerkt das Überleben. Hier tritt das Unerwartete aus der totalen Erstarrung hervor, wenn den Menschen das Wenige, was ihnen noch an Kontrolle geblieben war, genommen wird. Doch um das zu verstehen, müssen diese Revolutionen in ihrem konkreten Ablauf betrachtet werden. Jene, die ständig den revolutionären Prozess herunterleiern, sehen nie die Revolution, wenn sie stattfindet. In ihrer Vorstellung veranstalten die „Gelbwesten“ keine Revolution. Bestenfalls einen Aufruhr. Der traditionellen Linken graut es vor dem Informellen und der Selbstorganisation. Außerhalb der streng kanalisierten und kontrollierten Bahnen hat nichts Gültigkeit. Das Vergnügen der revolutionären Aktion existiert nicht. Schon darüber zu sprechen wäre obszön.
M. F.: Ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass in Momenten des sozialen Überlebens, der Angst, der Drangsal, wenn das Morgen nicht garantiert und gesichert ist, die Apologie des Ereignisses schwierig wird. Aber die Rolle der Linken ist es ja gerade, zu bewerkstelligen, dass das Morgen aufhört, furchteinflößend zu sein. Ich werbe nicht für das Unerwartete um seiner selbst willen. Alles in allem ist ja auch der Tod unerwartet. Indessen darf man das Unvorhersehbare nicht reduzieren auf die angekündigte Katastrophe, die man aktuell aus dem Blickwinkel von Krise und Zusammenbruch denkt. Nicht nur, weil das Angst erzeugt, sondern weil das Katastrophendenken das symmetrische Gegenstück zu den dogmatischsten Zügen eines bestimmten Progressivismus ist. Das sind Diskurse, die behaupten, die Zukunft zu kennen, bevor sie eintritt, entsprechend dem Gesetz der Geschichte oder dem des Niedergangs. Ich misstraue dem Katastrophendenken von links, das eher ökologischer Natur ist, ebenso wie dem von rechts, das den Untergang des Abendlands vorhersagt.
J.-L. M.: Es gibt eine weitere Schwierigkeit, die einer linken Wiederaneignung des Vergnügens im Weg steht: seine Unaussprechlichkeit. Es gibt tausende Worte, um das Leiden zu beschreiben, doch beschreiben Sie mal das Vergnügen! Sehr schnell ist man da am Ende seines Lateins. Man weiß nicht einmal, wie man es überhaupt mit Worten ausdrücken soll. Nicht umsonst nennt man den Orgasmus den „kleinen Tod“.
M. F.: Es stimmt, dass ein Vergnügen, das größer ist als das Begehren, das ihm vorhergeht, sich nicht in Worte fassen lässt. Doch es lässt sich verstehen, warum das so ist. Ich nenne das das Vergnügen als Ereignis (plaisir-événement). Ich stelle es dem Vergnügen als Bestätigung (plaisir-confirmation) gegenüber, das darin besteht, sein Glück in der Verwirklichung des Vorhergesehenen zu finden. Wenn ich in einem Restaurant eine Pizza Quattro Formaggi bestelle und sie meinen Erwartungen entspricht, dann befriedigt mich das einfach. Ein solches Vergnügen lässt sich beschreiben, doch es ist sehr weit entfernt von dem Vergnügen, das dich umwirft und deine Identität ändert. Das Vergnügen als Ereignis erschafft neues Begehren; es ist interesselos in der Art, wie es Kant über das ästhetische Vergnügen sagt.
J.-L. M.: Und gerade dieses Vergnügen wird oft als unschicklich angesehen. Ich werde manchmal dafür kritisiert, dass ich mit meinem Körper spreche. Ich bin mir bewusst über den Anteil Obszönität, den der Körper in unserer Gesellschaft sehen lässt. Das macht es einer Frau sehr schwer, als Rednerin aufzutreten – und deshalb bin ich stolz, dass La France insoumise mehrere von ihnen hervorgebracht hat. Doch ich muss zugeben, dass Sie Recht haben, wenn Sie sagen, dass ein Teil der Linken das Vergnügen als treibende Kraft der politischen Aktion verleugne. Es ist dahin gekommen, dass das Vergnügen zunehmend als ein Anhängsel provinzieller Grobschlächtigkeit angesehen wird. Dieser allgemeine Abscheu vor dem Körper ist eng mit den offiziellen Codes der oberen Mittelschicht verknüpft. Es ist trotzdem kurios, dass die Erben einer Periode, in der von „ungehemmter Lust“ die Rede war, so puritanisch geworden sind. Dementsprechend ist der Raum der Sinnesfreude, der Freiheit, des unerwarteten Vergnügens auf die liebenswerte Folklore bestimmter Bevölkerungsgruppen beschränkt. Er ist kein zentraler Gegenstand der Politik mehr.
M. F.: Dahingegen stellt sich die Frage, welches die Affekte sind, die uns zum Protest bewegen. Traditionell ist der Ort der Offenbarung natürlich mit dem Leiden assoziiert – dem eigenen und dem, das den anderen zugefügt wird. Doch in der Offenbarung dessen, was uns empört, bedürfen die produktivsten Momente eines Raumes oder einer Erfahrung, wo das unglückliche Bewusstsein eben nicht mehr im Unglück liegt. Ich teile nicht die Ansicht einer generellen linken „Opferhaltung“, aber manchmal wird das Bild eines völlig mittellosen Subjekts konstruiert. Für Marx muss der Proletarier „alles“ werden, weil er „nichts“ ist. Das ist aus rhetorischer Sicht freilich sehr nützlich: Man zeigt die Armen in Lumpen, um die Ungerechtigkeit des Systems zu beweisen. Allerdings nimmt es auch den Subjekten, für die man sich engagiert, etwas von ihren Fähigkeiten – von dem, was für sie in der Hölle des Kapitalismus keine Hölle ist. Walter Benjamin hat von der Melancholie der Linken geschrieben, weil diese die Geschichte aus der Perspektive der Besiegten erzähle. Ich meinerseits engagiere mich für das Lachen der Linken. Das sagt im Übrigen Benjamin ebenfalls: Man kann über die Sieger auch lachen, darüber, was sie aus ihren Siegen gemacht haben und was nicht immer glorreich ist. Was zum Beispiel sind Leute, die sich auf einem Platz versammeln? Es sind Personen, die anfangen, sich imstande zu fühlen, aus ihrer Routine auszubrechen. Genau das sagte Gilles Deleuze über den Mai '68. Es handle sich nicht um eine Revolution, sondern um „Revolutionär-Werden“: ein Typ nimmt die Metro, kommt an einem Platz vorbei und beginnt, mit Demonstranten über Probleme zu reden, die er sonst nicht im Blick gehabt hätte. Das ist wertvoll. Es gibt in Frankreich eine Menge Leute, die links leben, aber nicht links wählen. Sie leben links, weil sich ihre Existenz um glückliche Gleichheit organisiert. Sie engagieren sich in Vereinen, helfen Geflüchteten, haben Freude beim großzügigen Teilen, das heißt, sie sind nicht der Ansicht, dass ihr Vergnügen größer ist, wenn es privatisiert wird. Doch oft gehen sie nicht wählen, weil sie finden, dass die Reden der Kandidat*innen nichts mit ihren konkreten Engagements zu tun haben. Wenn die Linke diese Vergnügen aufgibt, überlässt sie diese der Rechten. Eine bestimmte hedonistische, maskulinistische, karnivore Rechte erstarkt wieder und bemächtigt sich des Themas Vergnügen. Ihr Verhältnis zum Vergnügen folgt der Ansicht, dass es sich steigere, wenn es privatisiert werde. Das entspricht dem VIP-Bereich, der First-Class-Lounge, dem Separee, sich nicht hinten anstellen, am Flughafen die Wartenden in der Schlange überholen. So gesehen sind wir alle in dem einen oder anderen Moment in unserem Leben „rechts“. Es ist schwieriger, das Vergnügen im Zeichen des Teilens zu betrachten – was du mir gibst, werde ich dir nicht vorenthalten.
J.-L. M.: In unserer Zeit muss die Verbindung zwischen Einzelnem und Kollektiv neu durchdacht werden. Die Frage der Singularität der Person ist im Laufe der Geschichte aufgetaucht und hat sich durchgesetzt. Wir navigieren zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite steht Margaret Thatcher, die meint, dass Gesellschaft nicht existiere und es nur eine Ansammlung von Individuen gebe. Auf der anderen Seite wird manchmal behauptet, dass allein die Gesellschaft existiere und die Person nur deren Abbild sei. Das ist grob vereinfachend, mechanistisch, einengend deterministisch. Stattdessen muss die Person als Einzelwesen gedacht und in ihren Interdependenzbeziehungen mit der Gesellschaft beschrieben werden. Was die Affekte anbelangt, bin ich persönlich libertär eingestellt: Glück ist eine Angelegenheit, die wir uns selbst aufbauen. Die Bedingungen dafür, dass das Glück nicht unmöglich gemacht wird, sind sicherlich kollektiv konstruiert, doch es ist ein individuelles und streng singuläres Rezept – selbst wenn sich das Glück natürlich aus gemeinsamen Zutaten und Gewürzen speist. Mir graut es vor Besserwissern, die einem Lektionen erteilen, einschließlich der Anweisung zum Genießen. Vor allen graut es mir gleichermaßen, vor denen, die mich davon abhalten wollen, ebenso wie vor den anderen, die es mir überhelfen. Auf politischer Ebene versuche ich, bei der Darlegung politischer Sachverhalte dem Sinn der Affekte wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Das Gedächtnis funktioniert zu großen Teilen über die Affekte, Riechen, Sehen, Hören, Schmecken ... Hugo Chávez in Venezuela und Lula in Brasilien sind Meister in dieser Hinsicht. Lula braucht nur die linke Hand zu heben, und man sieht, dass ihm ein Finger fehlt. Man versteht sofort, dass er ein ehemaliger Metaller ist, dem die Hand in eine Maschine geraten ist. Er trägt das Affektsignal am eigenen Körper. Chávez zeigte sich seinerseits mal mit Sombrero und gitarrespielend, mal beim Erklären eines Küchenrezepts ... Das war keine Manipulation, sondern eine Art und Weise, ohne das Hindernis gelehrter Worte in Beziehung zu treten; die Worte würden dann später hinzukommen, bei der Erklärung. Ich halte das für eine exzellente Schule der Einfachheit. Es ruft in Erinnerung, wie sehr die Person, die ein Redner anspricht, seinesgleichen ist. Er kommt nicht daher, um sie zu beherrschen, zu verblüffen, mit Wissenschaft zu erschlagen. Ich kannte jede Menge sehr intelligente Redner, die auf alle Welt eine derart erschlagende Wirkung hatten. Wenn sie fertig waren mit Reden, sagte man sich: „Das ist gut, aber was hat er gesagt?“ Keiner konnte sich daran erinnern. Wie oft haben mir Menschen zugerufen: „Gut gesprochen!“ Worüber? Sie konnten sich ebenfalls nicht mehr daran erinnern. Doch mein physisches Auftreten hatte eine deutliche Erinnerung hinterlassen: „Du hast dir nicht alles gefallen lassen.“ Das war nun genau der wesentliche Kern meiner Botschaft gewesen: „Lasst euch nicht alles gefallen! Schlagt nicht die Augen nieder!“ Das ist nämlich eine Kardinaltugend in den unteren Gesellschaftsschichten. Man will mir ständig einreden, ich solle mich schämen, weil ich meiner Leidenschaft freien Lauf lasse, etwa indem man mir entgegenhält: „Wie das, Sie regen sich auf?“ Doch wer regt sich nicht auf? Diese Vorhaltung kommt zuallererst daher, dass ich nicht aus ihrer Welt stamme und sie das wissen. Über die Protestanten hieß es früher: „Ihr könnt machen, was ihr wollt, der Hering riecht immer nach dem Heringsfass, ihr auch. Ihr riecht nach Tonne, nach Fass, man sieht eben, woher ihr kommt. Und außerdem sieht man euch nie bei den Dinnerpartys in der Stadt.“ Genau das bekomme ich auch immer zu hören.
Jean-Luc Mélenchon (Bild: Manuel Braun)
M. F.: Wenn ich mich für ein egalitäres Verhältnis zum Vergnügen ausspreche, dann deshalb, weil ich im Grunde ein zweifach „linkes“ Verhältnis zur Welt habe, links und linkisch. Ich befinde mich in dauerndem Krieg mit den Gegenständen. Die Linke bezeichnet zunächst einmal eine Form, sich nicht wohlzufühlen, sich im Bereich des Realen nicht wiederzufinden. Es heißt zum Beispiel, das, was mit völliger Selbstverständlichkeit in den herrschenden Medien angenommen wird, für besonders unwahrscheinlich zu halten. Mit der „Zemmourisierung“ haben wir es genau damit zu tun! Die Tatsache nun, im Umgang mit der Welt ungeschickt zu sein, hat direkt mit dem Körper zu tun. Jemand, der sich vollkommen wohl fühlt, der ganz und gar kalkuliert an seine Vergnügen und Begierden herangeht und sich dem Leistungsprinzip unterwirft, würde dann ganz natürlich rechts wählen. Ich habe dem nichts entgegenzuhalten, außer dass es meiner perzeptiven Erfahrung widerspricht. Links zu sein bedeutet zunächst einmal, sich in der Welt und ihren Hierarchien nicht zurechtzufinden, nichts Berechenbares oder kein Vergnügen in ihr zu finden. Irgendwann sagt sich das linke/linkische Subjekt, dass es nicht zwangsläufig seine Schuld ist, wenn es sich mit dem Realen nicht wohlfühlt, sondern dass es das Reale ist, was nicht in Ordnung ist. Die dem Neoliberalismus entsprechende Theorie des Vergnügens ist der Utilitarismus. Das ist im Übrigen nicht nur eine Theorie, sondern auch eine Praxis, die des Kalküls. Politisch interessanter erscheint mir die Verteidigung der Vergnügen, die aus dem Unberechenbaren und Unvorhersehbaren entstehen. Deshalb bin ich auch ein wenig wütend auf einen Teil der moralischen Linken, die uns aufträgt, damit zu beginnen, eine Liste unserer individuellen Privilegien aufzustellen – Vorrecht, weiß zu sein, männlich usw. Ja, es gibt Privilegien, und sie müssen abgeschafft werden. Doch was sollen wir mit dieser Liste, wenn sie einmal aufgestellt ist, machen, außer uns zu sagen, dass wir auf der guten Seite der sozialen Schranke stehen? In den Vereinigten Staaten werden übrigens die Sensibilisierungsübungen zur eigenen Privilegiertheit in der Armee oder in der Firma organisiert. Solange es nur darum geht, die individuellen Privilegien anzuprangern, ist man eher im Bereich der Moral als dem der Politik.
J.-L. M.: Die Studien zur Intersektionalität sind die wissenschaftliche Bestätigung für das gleichzeitige Wirken mehrerer Diskriminierungskategorien. Das ist kein Projekt. Legt das den Grund für eine Strategie? Es kann andere Verhaltensweisen herbeiführen, doch wir dürfen die Verhaltensweisen nicht mit den Mitteln verwechseln, die es erlaubt haben, zu ihnen zu gelangen. Das ist ein wenig so, als würde ich sagen: „Jetzt, da ich das Gravitationsgesetz kenne, steige ich keine Treppe mehr hinauf.“ Dass ich ein Mann bin und dass meine maskulin ausgerichtete Kultur mein Privileg als Mann begründet, habe ich verstanden. Aber akzeptieren kann ich das nicht. Und, was nun? Besser wäre, auch gleich die Schlüssel für einen emanzipatorischen Prozess mitzuliefern, der nicht durch ein fortwährendes Schuldgefühl bedingt ist. Ich glaube eher an den Lehrer, der ermutigt, als an den, der Angst macht.
M. F.: Alles, was bleibt, wenn wir darauf verzichtet haben, die Welt zu ändern, ist Scham. Aus moralischer Sicht ist es natürlich besser, Scham zu empfinden, als gänzlich ungeniert zu leben. Das Problem ist nur, was wir mit unserer Scham anstellen sollen. Die moralisierende Individualisierung führt zu Konflikten, die ein wenig ins Leere laufen: „Warum machst du es nicht so wie ich? Warum isst du Fleisch, während ich mich von Quinoa ernähre?“ Usw.
J.-L. M.: Wir schließen täglich Kompromisse mit dem Kapitalismus. Doch wenn wir fortwährend in einem Schuldgefühl leben, warten wir nur noch auf unsere Erlösung. Und was wird sie herbeiführen? Die Selbstkasteiung. Wir geißeln uns, wir leben in ständiger Scham über unsere Unreinheit im Verhältnis zur Welt. Das ist ausweglos.
M. F.: Es ist eine Religion, aber ohne Gott. Es ist das Heil ohne Paradies. Da verlieren wir also auf allen Ebenen.
J.-L. M.: Sie weisen auf den selbstkasteienden Charakter der Gegenwart. Alles läuft schlecht, und wir wären individuell daran schuld. Das ist die List des Kapitalismus. Wer ist verantwortlich für die Arbeitslosigkeit? Der Arbeitslose. Und wer für die Armut? Der Arme, weil er nichts dafür getan hat und nichts dafür tut, um sich aus der Klemme zu helfen. Mit Covid-19 sind wir sogar an einen Punkt gelangt, den wir uns niemals hätten vorstellen können: Wer ist verantwortlich für die Krankheit? Der Kranke, weil er sich nicht impfen lassen will. Letzter Akt: Wir sehen zunehmend Leute auftauchen, die sagen: „Man könnte sich die Frage stellen, ob man jene, die sich nicht haben impfen lassen wollen, überhaupt behandeln muss.“ An diesem Punkt ist man dann definitiv ins Unmenschliche gekippt ... Wogegen ich kämpfe, ist die Resignation. Sie geht aber aus dem Gefühl hervor, dass die Welt verloren ist und wir nichts mehr ausrichten können. Außer den Kolibri spielen und sein winziges Wassertröpfchen auf den Brand gießen ... Unterdessen ist die strukturelle Ursache, der Kapitalismus, in Sicherheit. Aus diesem Grund lässt Ihr Vorschlag ein bald kommendes intellektuelles Moment erahnen. Es lässt sich in der Tat fragen, wie wir von der Anweisung zum „ungehemmten Genuss“ in eine Welt gelangen konnten, in der wir unablässig noch für die kleinste Emotion Rechenschaft ablegen müssen. Werden wir endlich wieder zu Rabelais' Lachen oder zu Spinozas Prinzip der Freude zurückkommen? •
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Der schreckliche Mord an dem Geschichts- und Geografielehrer Samuel Paty beschäftigt das Lehrpersonal Frankreichs auf ganz besondere Weise. Wir haben drei Philosophielehrer interviewt, um ein Stimmungsbild der Lage zu bekommen: Sehen sie sich in ihrer freien Meinungsäußerung beschnitten? Wie ist es um die Toleranz der Schüler untereinander bestellt? Auf welche Weise kann Religion im Unterricht thematisiert werden?

Sie ist wieder da. Die Frage nach der Identität.
In der gesamten westlichen Welt kehren Identitätsfragen ins Zentrum des politischen Diskurses zurück. Donald Trump stilisierte sich erfolgreich als Anwalt des „weißen Mannes“. Marine Le Pen tritt in Frankreich mit dem Versprechen an, die Nation vor dem Verlust ihrer Werte und Eigenheiten zu bewahren. Auch in Deutschland wird das Wahljahr 2017 von kulturellen Verlustängsten dominiert werden. Das Projekt der Europäischen Union droht derweil zu scheitern. Terrorangst schürt Fremdenfeindlichkeit Wie lässt sich diesen Entwicklungen gerade aus deutscher Sicht begegnen? Mit einem noch entschiedeneren Eintreten für einen von allen nationalen Spuren gereinigten Verfassungspatriotismus? Oder im Gegenteil mit neuen leitkulturellen Entwürfen und Erzählungen? Bei all dem bleibt festzuhalten: Identitätspolitik war in den vergangenen Jahrzehnten eine klare Domäne linker Politik (u. a. Minderheitenrechte, Genderanliegen). Sind bestimmte Kollektive schützenswerter als andere? Was tun, damit unsere offene Gesellschaft nicht von Identitätsfragen gespalten wird?
Kommentare
Kapitalismus ist ein Vorhang, fast ein Schutzwall, um das Natur des Menschen zu verbergen. Das hat das Kapitalismus mit allen anderen Formen von Ideologien, Mythen und Glaubens-Vorstellungen gemein. Rechts, Mitte, Links und dessen Radikale sind Formen des Vermeidung und des Ahnung, was dieses Un-Anerkannte, das ängstlich verborgene an Wirklichkeit ist. Ein Vorhang aus Angst (UnWissenheit) und Überhebung (Überlebens-Trieb). Vollkommen natürlich. Das Mensch ist vollkommen erdmondliches Natur, darin in Millionen und Milliarden Jahren erschaffen und geprägt. Jedes LebeWesen, jedes Spezies ist gezwungen {Trieb!} sich gegen alle MitLebeWesen und andere Spezies zu behaupten, sonst Auslöschung (natürliche Überhebung gegen Fremde/s). Wir sind vollkommen natürliche LebeWesen, geprägt in einem UmWelt, das nie freundlich und harmonisch und rücksichtsvoll, gar elterlich liebevoll war. Nie! Was also hat dieses soSein (Verhalten) des erdmondlichen Natur auch in uns bewirkt? In Milliarden Sonnenumellipsungen des Erde-Mond. Ein Spezies zum Vernunft und Klugheit fähig. Fähig nur. Bis jetzt. Immerhin. Das Mensch erkennt langsam sein Natur-daSein, sein Tier-daSein, sein Gleichheit - NICHT dasSelbe - mit allen anderen LebeWesen und sein vollkommenes Integration in das erdmondliche Geschehen. Langsam. Viel zu langsam. Auch dieses "philosophische" Gespräch findet noch vor dem Vorhang statt, ist unbewusstes Vermeiden des längst vorhandenen aber fein verteilten Wissens, von unserem Natur-daSein. Natur ist ein Handeln ohne Anzuklopfen und Vorwarnung, ist fast nur Gewalt. Natur fragt nicht, stellt nicht zum Wahl, sondern drängt rück- und umsichtslos auf Veränderung. So wir. Unsere "Wahlen" sind bei jeglichem näheren und tieferen, wie weiterem Analyse niemals Wahl, wirkliches Vorlage zum unabhängigen und vorbehaltlosen und voraussetzungslosen, also wirklich "freien" Entscheiden oder zumindest mit-Entscheiden. Warum ist "freien" und "Freiheit" in "..."? Welchen Inhalt an Lebendigkeit und Möglichkeiten geben Sie dem Wort Freiheit, ohne die Begrenzungen und irrigen Vorstellungen, die wir darin bisher zwanghaft unterbringen (!)? "Freiheit" als Gewalt gegen ander-Es (Mensch|en) und die MitLebeWesen, ist aktuelles Inhalt. Freiheit ohne "..." ist ohne Gewalt. Ideologien, wie auch die oben erwähnten, Heils-Erwartungen und all die zauberhaften Mythen und Philosophien und Glaubens-Vorstellungen sind voll von Gewalt, also vollkommen Natürlich. Was für ein Richtung ist das Natur, speziell das erdmondliche Natur? Wohin drängt es auch uns, wohin werden auch wir Natürlichen entwickelt und verändert, ohne je ein Wahl zu haben? Seit Jahrhunderten arbeiten wir verstärkt daran auch unsere Lebens-Grundlagen zu zerstören und MitLebeWesen in Massen zu vernichten. Das ist Fakt. Wozu? Welches Richtung ist das Natur? Kein kluges, kein freundliches, keines, das auch nur annähernd als zum Freiheit hin, zeigt, eher weiterhin das Gegenteil. Mit allem Gewalt. Was auch wir bräuchten, wäre ein Weiter-Entwicklung des Natur, ein "Emanzipation" aus dem, was uns die Milliarden Jahre angetan und anerzogen haben. Aber das wird uns nicht mehr gelingen. Wir sind längst dabei uns zu verdummen und ein künstliches "Gottheit" zu erschaffen, also weitere Unterwerfung und "Freiheit", bis ...