Joachim Ritter – Der Philosophenkanzler
Die geistige Hauptstadt der frühen Bundesrepublik hieß nicht Frankfurt oder Berlin, sondern Münster. Hier entwickelte Joachim Ritter einen Liberalkonservatismus, der bis heute nachwirkt. Vor 50 Jahren ist er gestorben.
Die alte Bundesrepublik war ein polyzentrisches Gebilde. Ihr politisches Herz schlug in Bonn, wo die Gesetze entstanden. Kontrolliert wurden sie vom Verfassungsgericht aus Karlsruhe, das so mächtig war, dass manche von einer „Karlsruher Republik“ sprachen. Daneben gab es zahlreiche inoffizielle Gewalten, die von verschiedenen Orten aus ebenfalls Einfluss auf die Politik nahmen: Die Medien residierten in Hamburg, die Kunst in Köln, Düsseldorf, München, Kassel und West-Berlin. Und das politische Denken war noch bunter über die Landkarte verstreut. Es kam aus Heideggers Freiburg, Carl Schmitts Plettenberg, Luhmanns Bielefeld sowie aus Paris und Amerika.
Aus dem Gewimmel der partikularen Denkgewalten stechen jedoch zwei Schulen heraus, die das politische Selbstverständnis Westdeutschlands mehr als alles andere geprägt haben: Frankfurt als Zentrum der spätmarxistischen Kritischen Theorie. Und, als dessen Gegenpart: Münster. Der Fall Frankfurt ist hinlänglich bekannt und mit Legenden über Adorno, Horkheimer und Habermas ausgeschmückt, die als erfolgreiche Exportartikel weltweit Karriere gemacht haben. Zu Hause in Deutschland war jedoch Münster das eigentliche Kraftzentrum. Hier entstand in der Nachfolge Joachim Ritters eine neue Art des Konservatismus, der die Gemütslage der jungen Republik spiegelte. Mit seiner Theorie der „Entzweiung“ übertrug Ritter die staatliche Situation Deutschlands auf die Philosophie und packte das westdeutsche Mindset in hegelsche Begriffe. Wer Bonn verstehen will, muss Ritter lesen.
Das Leben des Geistes
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Kommentare
Es ist wohl Ernst Tugendhat gemeint — der wohl auch tugendhaft war ...