Susan Neiman: „Wir dürfen es der Hamas nicht erlauben, die Vernunft zu ermorden“
Für die Philosophin Susan Neiman steht fest, dass das Festhalten an der Würde aller Menschen die einzig richtige Antwort auf die Situation in Israel ist. Das bedeute, das Leid aller ernst zu nehmen. Zugleich dürfe erfahrenes Leid nicht zur Richtschnur eines politischen Handelns werden, das von Rachewünschen getrieben ist.
Frau Neiman, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie vorletztes Wochenende von den schrecklichen Nachrichten aus Israel erfahren haben?
Ich war zunächst einfach sprachlos. Das Wochenende habe ich damit verbracht, jüdische und israelische Freunde zu kontaktieren und die Nachrichten zu verfolgen. Interessanterweise ging mir immer wieder ein hebräisches Lied durch den Kopf, das Shir LaShalom, Song for peace, heißt. Ich kannte natürlich das Lied und habe dann dazu recherchiert – es wurde bald nach dem Sechstagekrieg geschrieben, was es noch radikaler macht. Das Lied ist aus der Perspektive der getöteten Soldaten geschrieben, die sich an die Lebenden richten und singen: „Hört auf zu beten, das wird uns nicht zurückbringen, vergesst die ganze Helden-Geschichten, vergesst uns! Ihr sollt nur für den Frieden arbeiten.“ Das Lied wurde in Israel eine Zeitlang zensiert. Jitzchak Rabin, der vor seiner Zeit als Ministerpräsident Generalstabschef des israelischen Militärs war, hat dann den Friedensprozess so weit vorangebracht, dass er das Lied öffentlich gesungen hat, und zwar an dem Abend, an dem er ermordet wurde. Man hat in seiner Tasche den Text gefunden, voller Blut. Auf seiner Trauerfeier und in den Wochen danach wurde das Lied immer wieder gesungen. Heute denkt man natürlich, die Hoffnung auf Frieden ist unendlich weit weg.
Wenn man versucht, die Ereignisse einzuordnen, dann besteht ja schon ein Konflikt darüber, wie man überhaupt benennen sollte, was gerade passiert. Wie würden Sie die Ereignisse beschreiben?
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