Rahel Jaeggi: „Ideologien sind nur praktisch zu überwinden“
Noch immer leben wir im Kapitalismus. Ist Marx’ Geschichtsbild damit widerlegt? Nein, meint die Philosophin Rahel Jaeggi im Gespräch. Denn bereits Marx sah, dass gesellschaftliche Krisen unterschiedliche Ausgänge nehmen können.
Marx lebte zu einer Zeit großer politischer und sozialer Umbrüche. Wie blickten die Menschen damals auf Geschichte und Fortschritt?
Mit Angst und Schrecken, aber auch voller Hoffnung. Geschichte wurde – wie der Historiker Reinhart Koselleck es formuliert – als eine unwiderstehlich erscheinende Bewegung verstanden, die sich hinter den Rücken der Individuen vollzieht. Es herrschte die Vorstellung vor, dass mit der Veränderung in Wissenschaft und Technik sich auch die Ideale der Aufklärung von Freiheit und Gleichheit durchsetzen und die Lebensverhältnisse sich letztlich für alle verbessern würden. Diese überindividuelle Tendenz eines historischen Verlaufs hin zum Besseren war ein prägendes Gefühl der Zeit, das selbst die Leute teilten, die unter den Veränderungen litten und gegen die Verhältnisse aufbegehrten. Marx ist in dieser Hinsicht Kind seiner Zeit.
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