Thoreau und der amerikanische Traum
Henry David Thoreau, dessen Todestag sich heute zum 160. Mal jährt, ist der amerikanische Philosoph par excellence. Sein Denken sucht den Widerstreit mit seinem Land. Dieter Thomä legt frei, inwieweit Thoreaus patriotische Kampfschrift Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat jedem wahren Amerikaner aus der Seele sprechen muss.
Henry David Thoreau ist vor allem durch drei Texte weltberühmt geworden: durch seine Schrift Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat, durch Walden, seinen Bericht über sein Leben in einer kleinen Hütte in einem Waldstück in Massachusetts, und durch seinen posthum veröffentlichten Essay Walking, deutsch: Vom Spazieren. Wollte man diese sehr verschiedenen Texte auf eine Formel konzentrieren, so könnte sie lauten: Folge deinem Begehren und beschränke deine Bedürfnisse.
In ihrer abstrakten Allgemeinheit könnte diese Formel allerdings leicht dazu führen, das Spezifische an Thoreaus Vorhaben zu übersehen. Thoreau ist nämlich sehr bewusst und emphatisch Amerikaner und arbeitet an etwas, das er mitbegründen wird: an einem spezifisch amerikanischen Schreiben, einer spezifisch amerikanischen Sensibilität. Sie bildet die Grundlage für eine amerikanische Kunst und ein amerikanisches Denken, das Thoreau in seiner Zeit neben anderen Autoren wie Ralph Waldo Emerson, James Fenimore Cooper oder Walt Whitman erschaffen hat.
Thoreaus existenzielles Begehren ist das Schreiben. Dieses Schreiben soll so neu sein wie das unabhängige, sich von dem alten Europa emanzipierende Amerika. So neu, dass es buchstäblich zu einem neuen Sehen und Hören führt. Zu einer Weise, auf der Welt zu sein. Wie weit Thoreau dabei gekommen ist, kann man unter anderem daran ermessen, dass sich spätere Freiheitskämpfer wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Nelson Mandela auf seine Schrift vom zivilen Ungehorsam gegen den Staat berufen haben. Wobei die Wirkkraft dieses Textes bis heute weniger in seiner konkreten Argumentation liegt als vielmehr in dem Schwung und Enthusiasmus für den Freiheitskampf, den der Text weiterzugeben in der Lage ist.
Der Traum von der eigenen Hütte
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