Richard David Precht: „Man tut den Menschen keinen Gefallen, wenn man ihnen die Pflicht nimmt“
Die Digitalisierung der Arbeitswelt wird durch die Corona-Pandemie zusätzlich befeuert. Viele Jobs werden zukünftig überflüssig, Künstliche Intelligenz ersetzt den Menschen. Im Interview spricht der Philosoph Richard David Precht über die Ambivalenz dieser Entwicklung - und die große Herausforderung, Sinn auch jenseits der Arbeit zu finden. Sein Buch „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ (2020) ist bei Goldmann erschienen.
Herr Precht, die Digitalisierung der Arbeitswelt nimmt in Zeiten von Corona massiv zu. In Ihren Augen eine gute Entwicklung?
Es ist eine zweischneidige Entwicklung. Manche Fortschritte in der Digitalisierung haben sich durch Corona beschleunigt, wie beispielsweise Videokonferenzen, die eine sehr positive CO2-Bilanz haben, was für sich genommen großartig ist. Ein anderes, problematisches Beispiel ist die rasant vorangetriebene Digitalisierung der Schule: Man kann nicht die Hardware auswechseln ohne die Software zu berücksichtigen. Ich meine das im übertragenen Sinne: Die Tatsache, dass wir alle Schüler mit Laptops ausstatten und den Unterricht digitalisieren können, führt nicht zwangsläufig zu einem besseren Unterricht! Wenn wir das richtig umsetzen wollen, muss zugleich genauer darüber nachgedacht werden, wie Lernen funktioniert. Man kann eine inhaltliche Frage nicht durch eine technische Frage ersetzen. Auf diesem Gebiet wurde bisher leider wenig dazugelernt.
Arbeit, auch geistig anspruchsvollere, wird immer häufiger von Maschinen erledigt. Im Zuge der Corona-Krise hat sich auch dieser Trend hin zur Automatisierung von Arbeitsabläufen nochmals beschleunigt, immerhin sind Maschinen nicht ansteckend. Wie ist dieser Trend zu bewerten?
In der Zeit von der ersten industriellen Revolution bis heute war es ein großer Fortschritt, dass die knochenharte, schwere körperliche Arbeit, die Menschen als Bauern auf dem Feld oder als einfache Arbeiter verrichten mussten, durch technische Errungenschaften größtenteils abgeschafft werden konnte. Ich sehe es auch als menschheitsgeschichtlich großen Fortschritt, wenn einförmige geistige Tätigkeiten künftig von Maschinen erledigt werden können. Individuell hingegen wird dieser Prozess viele Opfer kosten. Wer bei einer Versicherung oder einer Bank arbeitet, kann seinen Job ja durchaus gerne machen, weil mit dem Arbeitsplatz ein bestimmtes soziales Umfeld verbunden ist, das als angenehm empfunden wird. Der Trend zur Automatisierung schafft natürlich viele soziale Umfelder des Berufslebens ab, macht viele Menschen entweder arbeitslos oder isoliert sie stark in ihrer beruflichen Tätigkeit.
In Ihrem neuen Buch sehen Sie die Austauschbarkeit des Menschen durch Künstliche Intelligenz kritisch. Warum?
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III - Sind wir zu faul?
Ob sich der Mensch durch Arbeit befreit oder die Freiheit genau da beginnt, wo die Arbeit aufhört, darüber waren bereits G. W. F. Hegel und Paul Lafargue uneins. Heute entzündet sich dieser Streit neu: Brauchen wir, da viele Arbeiten bald durch intelligente Maschinen ersetzt werden könnten, ein bedingungsloses Grundeinkommen? Lesen Sie dazu den Dialog zwischen Richard David Precht und Christoph Butterwegge auf den folgenden Seiten
Was ist die Aufgabe der Philosophie, Herr Precht?
Am 2. September vor 10 Jahren startete die Fernsehsendung Precht. Ein Gespräch mit Richard David Precht über das Verhältnis von Philosophie, Öffentlichkeit und Politik.

Muße als Möglichkeit
Weniger arbeiten, mehr freie Zeit: eine Utopie, die mit der Digitalisierung in greifbare Nähe rücken könnte. Müssen wir die Chance nur beim Schopfe packen? Und wenn ja, wie? Richard David Precht streitet mit Christoph Butterwegge über das bedingungslose Grundeinkommen, neoliberale Fallstricke und die Zukunft der Arbeit
Die neue Sinnlosigkeit des Homo fluxus
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Warum machen wir nicht mehr aus unserer Freiheit?
Wir sind so frei wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Und doch fühlen wir uns oft gefangen, erdrückt von Anforderungen, getrieben durch inneren Leistungszwang. Was wäre das für ein Dasein, könnten wir es auskosten. Den Augenblick genießen, anstatt ihn zu verpassen. Aus schalen Routinen ausbrechen, weniger arbeiten, Neues wagen – im Zweifelsfall auch gegen gesellschaftlichen Widerstand. Mehr Muße, mehr Lebendigkeit, mehr Spontaneität: Warum packen wir Kairos nicht beim Schopfe, wagen den entscheidenden Schritt? Sind wir zu feige? Zu vernünftig? Zu faul? Christoph Butterwegge, Claus Dierksmeier, Nils Markwardt, Robert Pfaller, Richard David Precht und Nina Verheyen über Wege in eine freiere Existenz.
Die Würde, die wir meinen
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Kommentare
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Verstand, Vernunft, Weisheit: Der Mensch der Zukunft ist ein Algorithmus aus Fleisch und Blut
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Die Feststellung, dass KI gewisse menschliche Eigeschaften nicht besitzt, ist irreführend. Vielmehr verkümmert die Conditio humana zur KI: Der Mensch verliert in der Verflechtung mit Technologie all das, was ihn bis dato als Menschen definierte. Der Begriff der Weisheit beispielsweise, ist "voll out". Kein Mensch des digitalen Zeitalters interessiert sich noch dafür. Der Begriff ist eine Reliquie aus einer alten Welt, der der dekonstruktivistischen Entzauberung der Moderne erlag.
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Das Verwachsen mit Technologie
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Herr Precht und ich werden sicher keine Spitzeninformatiker mehr. Aber der Mensch ist seit jeher anpassungsfähig. Unsere Kinder verwachsen schon früh mit dem Digitalen, den Fluten an Informationen und der Komplexität. Schon Kleinkinder swipen und scrollen heute in den Smartphones der Eltern mit erstaunlicher, vielleicht erschreckender Souveränität. Für sie ist das etwas Selbstverständliches und "Natürliches".
Damit einhergehend verändert sich die psychische Konstitution des Menschen. Während autistische Züge in der Vergangenheit pathologisiert wurden, sind sie heute charakteristischer Teil des durchdigitalisierten Zukunftsmenschen: Im sozialen Umgang verkümnmert, aber souverän im Umgang mit Komplexität. Weisheit spielt hier gar keine Rolle mehr.
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Datenschutz, Privatsphäre, digitale Überwachung
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"Und die Sonnenbrille, sie ist am Start, Baby / Sie ist der letzte Rest Privatsphäre"
- Beginner, "Ahnma", 2016
Dieses Zitat - diese Zeit - symbolisiert für mich das eigentliche Ende der Privatsphäre. Ab dann wurde der Zenit der Debatten rund um Privatsphäre überschritten, ja geradezu von der rasanten Digitalisierung überrannt. Seitdem wurden sie künstlich am Leben gehalten von Experten (heute heißt es Datenschutz), während der Durchschittsbürger im Jahre 2023, lediglich 7 Jahre später!, sich nicht mehr wirklich Gedanken macht und genervt die Cookie-Fenster in seinem Browser wegklickt. Vergleicht ein jeder von uns sich selbst, im Jahre 2016 und im Jahre 2023, wird jedem klar, wie wenig von diesen Begriffen wirklich übrig geblieben ist, wie viel davon weggebröckelt ist.
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Wohlstand ist nicht automatisierbar
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Als Faulpelz, ähm ich meine Müßiggänger, begeistert mich die Idee, dass irgendwann meine Arbeit wegautomatisiert sein wird. Aber sobald etwas automatisierbar wird, kann es sehr bald jeder auf der Welt. Unser Wohlstand basiert auf ökonomischem Fortschritt und der bedingt (leider!) Arbeit und daraus entstehende Innovationen. Wenn wir nicht mehr besser sind als andere Länder, war es das mit unserem Wohlstand und süßer Müßiggang verwandelt sich in existenzielle Not.
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Das Degenerative an der "reichen inneren Welt"
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Als kreativer Müßiggänger ziehe ich viel Kraft aus meiner inneren Welt und verstehe jeden, der sich mehr danach sehnt. Aber wenn wir ehrlich sind, man kann auch dort versacken und versauern. Wie Hannah Arendt sagte, braucht es Mühsal im Leben, äußere Zwänge - Arbeit! Nur in der Wechselwirkung bleibt man - freudianisch gesprochen - lustfähig.
Gruß, tomhelman.de