Richard David Precht: „Die freiheitliche Gesellschaft begrenzt die freiheitliche Entfaltung ihrer Bürger"
Unsere Meinungstoleranz schwindet, weil wir zu gefühlig geworden sind, meint Richard David Precht. Worin sich dies zeigt, warum unser Fokus auf Unterschiede problematisch ist und worüber wir eigentlich sprechen sollten, erklärt er im Interview mit Timm Lewerenz. Ein Gespräch über die Infantilisierung der Gesellschaft und die Gefahren des Kulturkampfs.
Herr Precht, für die freie Rede gibt es – vom Megafon bis zum Protestschild – viele Symbole. Warum blickt uns vom Cover Ihres neuen Buches „Angststillstand. Warum die Meinungsfreiheit schwindet“ ein Axolotl, ein mexikanischer Schwanzlurch entgegen?
Der Axolotl ist ein Lurch, der nicht erwachsen wird. Er verharrt sein ganzes Leben lang im Larvenstadium, was man Neotenie nennt. Ich spreche von kultureller Neotenie und meine damit, dass unsere Gesellschaft in bestimmten Aspekten nicht mehr reift.
Welche Aspekte sind das?
Emotionalität wird als so legitim betrachtet, dass Gefühle zunehmend ausreichen, um auf ihnen Meinungen aufzubauen. In der abendländischen Kulturgeschichte hat es das noch nicht gegeben. Die Vorteile, freier über Gefühle sprechen zu können, sind offensichtlich. Doch der Sensibilisierungsprozess, der eigentlich zu begrüßen ist, zeitigt negative Folgen. Wir sind gefühliger, ertragen weniger Widerspruch, halten uns häufiger für Opfer und beschränken dadurch die Meinungsfreiheit.
Wen zählen Sie zu diesem Wir? Das politische Spektrum von Links bis Rechtsaußen?
Ja, das ganze Spektrum. Diese hohe Empfindlichkeit gibt es Links, Rechts und in der Mitte.
Anders als ein Frosch, der nicht ein Leben lang Kaulquappe bleibt, kann sich der Axolotl leisten, eine Larve zu bleiben, weil seine Heimatgewässer nicht austrocknen. Welches sind denn – um im Bild zu bleiben – unsere Gewässer, die nicht austrocknen, und uns die nächste Entwicklungsstufe ersparen?
Die Gewässer, in denen sich die kulturelle Neotenie ausbildet, sind anhaltender Wohlstand und die Abwesenheit existenzieller Bedrohungen wie Krieg. Sensibilität gedeiht in Zeiten des Friedens und wirtschaftlicher Stabilität. Aber unsere Wirtschaft stagniert und vor den Grenzen der NATO wird Krieg geführt…Weshalb es gut sein kann, dass mein Buch in zehn bis zwanzig Jahren ein historisches Dokument ist, das eine Entwicklung beschreibt, die bis dahin aufgehört hat, zu existieren. Die Axolotlisierung wird nicht ewig anhalten.
Das heißt, wir werden als Gesellschaft bald gezwungen sein, an Land zu gehen, über die Lunge zu atmen, statt auf unsere Kiemen zu vertrauen?
Zumindest sind die gesellschaftlichen Konflikte, die jetzt aufbrechen, die ernstesten, die wir in der Bundesrepublik bisher erlebt haben: der Verlust von internationaler Geltung und der schrumpfende Wohlstand. In Gesellschaften, in denen der Wohlstand schrumpft, wird es schnell ungemütlich und der Ton wird rauer.
Ein Aspekt der Axolotlisierung sehen Sie in der „Allbewertungskultur“, dem Drang, sich auch zu Dingen außerhalb der eigenen Expertise zu äußern. Aber leben Sie selbst diese Kultur nicht sehr prominent aus, in jedem Podcast und jedem Talkshowbesuch? Sind Sie selbst ein Axolotl?
Es geht mir nicht um die Äußerung außerhalb der eigenen Expertise. Was wäre denn auch die Expertise des Philosophen, den man höchstens als Spezialisten für das Allgemeine bezeichnen kann? Was war die Expertise von Günter Grass und Heinrich Böll, die sich zu Gesetzen, Kriegen und zur Wirtschaft äußerten, ohne Juristen, Militärs oder Ökonomen gewesen zu sein? Ich kritisiere den Anspruch, allein auf Gefühlsbasis eine Meinung zu gründen und ungefiltert kundzutun. Ich positioniere mich zu vielen Dingen, aber Äußerungen allein auf Basis meiner Gefühle werden Sie bei mir nur wenige finden.
Deutschland, schreiben Sie, habe eine große Meinungsfreiheit aber eine sehr geringe Meinungstoleranz. Worin liegt der Unterschied?
Die Möglichkeiten, sich öffentlich zu äußern, sind durch unsere Grundrechte und die Sozialen Medien so groß wie nie. Es herrscht auch kein Mangel an Meinungsfreude. Kritisch ist bloß, dass der Rahmen des Tolerierbaren immer kleiner geworden ist. Intellektuelle wie Grass und Böll haben zwar auch andauernd angeeckt, doch sie wurden dadurch keine gesellschaftlichen Außenseiter. Von rechts wurden sie verabscheut, von links unterstützt, selbst wenn sie sich im Ton vergriffen hatten. Wer sich aber heutzutage vom ‚Cursor des gefühlten Anstandes‘ entfernt, findet kaum noch jemanden, der ihn verteidigt.
Um unsere Gesprächskultur zu beschreiben, formulieren Sie das Seerosen-Dilemma. Was meinen Sie mit diesem Bild
Wie eine Seerose entfalten wir uns, nehmen mit unseren zarten Gefühlen und individuellen Bedürfnissen mehr Raum in Anspruch, den wir von anderen respektiert wissen wollen. Doch je weiter wir uns ausbreiten, umso mehr kollidieren wir mit den Gefühlen und Bedürfnissen Anderer. Es ist viel leichter, etwas Falsches zu sagen als früher, schnell fühlt sich die angrenzende Seerose unangenehm betroffen. Der Schwimmraum zwischen den Seerosen ist der öffentliche Raum, der umso stärker schwindet, je mehr sich ein Individuum ausbreitet – bis eines Tages der ganze Teich umkippt.
Nun ist ein Dilemma eine Situation, in der jeder Ausweg unerwünschte Konsequenzen mit sich bringt. Worin besteht hier genau das Dilemma?
Das Dilemma besteht darin, dass wir die Entwicklung, die zur Ausbreitung unserer emotionalen Seerosen führt, eigentlich begrüßen. Die Entfaltung der eigenen Individualität war schon ein Ideal meiner Eltern. Auch sensible Kommunikation ist ein Fortschritt, ich möchte nicht zurück in eine Zeit des Rassismus und des Chauvinismus. Ich begrüße diese Entwicklung – nur sehe ich eben auch ihre Schattenseiten.
Zu diesen Schattenseiten rechnen Sie den allmählichen Verlust der Meinungsfreiheit, den Sie als „historisch einmalig“ bezeichnen. Aber wurden nicht bereits vor rund 2500 Jahren die antiken Philosophen Sokrates und Anaxagoras für unliebsame Meinungen gesellschaftlich geächtet?
Die historische Einmaligkeit besteht darin, dass ein freiheitsfördernder Sensibilisierungsprozess zu einer Einschränkung der Freiheit führte. Wir haben weniger strenge Normierungen als zu Zeiten Sokrates‘, unsere Moral- und Glücksvorstellungen sind Sache des Individuums. Das ist eine positive Entwicklung, doch dieselbe Entwicklung führte zur Reduzierung der Toleranz. Die freiheitliche Gesellschaft begrenzt die freiheitliche Entfaltung ihrer Bürger – eine soziale Eigendynamik, die gar keiner autokratisch-staatlichen Zensur mehr bedarf.
Prägt sich diese soziale Dynamik nur auf die politische Meinungsfreiheit aus?
Ich habe letztens eine Reportage darüber gesehen, dass junge Menschen immer weniger tanzen. Und selbst wenn sie auf der Tanzfläche sind, wippen sie meist nur rhythmisch hin und her – kein Vergleich zur Ekstase früherer Zeiten. Und warum? Weil sie Sorge haben, ein Video davon landet in den Sozialen Medien und könnte zu sozialer Ächtung führen.
Für soziale Ächtung bedarf es gesellschaftlicher Normen, gegen die verstoßen wird. Gibt es denn in unserer individualisierten Gesellschaft überhaupt noch Normen, die übergreifend geteilt werden?
Ich bin sehr davon überzeugt, dass wir deutlich mehr Normen teilen, als dass sie uns trennen. Dass Anstand, Respekt, Toleranz, Freundlichkeit, Verständnisbereitschaft gute Normen sind, bestreiten nur sehr wenige. Die Demokratie und die Meinungsfreiheit werden von der großen Mehrheit der Bevölkerung geschätzt. Gleichwohl legen wir den Fokus stets darauf, was uns unterscheidet. Davon nährt sich der Kulturkampf, den wir hierzulande erleben, der uns völlig davon ablenkt, was uns wirklich droht.
Und das wäre?
Die Abschaffung der liberalen Demokratie durch den Technofeudalismus. Die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer Gewaltenteilung, dem Rechtsstaat und der Volkssouveränität ist ein Kind der ersten industriellen Revolution. Sie passte in dieses Zeitalter. Doch das ist nun vorbei, denn ich fürchte, zum zweiten Maschinenzeitalter passt eine autokratisch-oligarchische Regierungsform nach dem Vorbild Elon Musks und Peter Thiels. Statt darüber zu reden, verstreiten wir uns in marginalen Fragen wie dem Gendern.
Warum haben Sie dann kein Buch über den Technofeudalismus geschrieben?
Mir ging es darum, die Mechanismen aufzuzeigen, die uns davon abhalten, die wirklich relevanten Debatten zu führen. Außerdem habe ich bereits drei Bücher über Digitalisierung geschrieben, in denen ich mich kritisch zur wachsenden Machtfülle von Tech-Konzernen äußere, auf die ich auch in Vorträgen hinweise. Wir stehen vor enormen Herausforderungen, wenn wir versuchen wollen, unsere freiheitlich-demokratischen Strukturen in die Zukunft zu retten. Das bisschen Marxist in mir ist sich bewusst, dass sich die Gesellschaftsformen in der Geschichte der Menschheit ausnahmslos nach der Ökonomie gerichtet haben.
Das müssen Sie auch den Nicht-Marxisten verständlich machen.
Die Agrargesellschaft war ungleich, weil das Land ungleich verteilt war. Der Adel regierte, weil er das Land besaß, nicht andersherum. Im Maschinenzeitalter gewannen die Eigentümer der Maschinen an Macht und überflügelten den Adel. Nun leben wir in der Zeit, in der die Herren über die Daten mächtiger sind als die Herren der Maschinen. Diese Veränderung führt automatisch zu einer Machtkonzentration. Diese Konzentration aufzuhalten, würde eine enorme internationale Kraftanstrengung bedeuten, zu der keine Politik bereit ist.
Die Frage, welche Themen in gesellschaftlichen Debatten diskutiert werden und welche nicht, hat damit zu tun, was Sie mit dem Soziologen Pierre Bourdieu Doxa nennen. Was ist darunter zu verstehen?
Doxa meint in diesem Zusammenhang Selbstverständlichkeiten, Überzeugungen, die einen vermeintlichen Grundkonsens ausmachen, auf dessen Grundlage die Debatten stattfinden. Wer diese Doxai in Zweifel zieht, disqualifiziert sich für die Debatte.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Derzeit erleben wir das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte unseres Landes. Der Wehretat soll in den nächsten vier Jahren auf 150 Milliarden Euro steigen. Zählen Sie mal in den Talkshows, wie viele Gäste dort grundsätzlich daran zweifeln, dass wir eine solche Aufrüstung nötig haben. In den meisten Sendungen werden Sie keinen einzigen finden, ebenso wenig in den Kommentarspalten der Leitmedien. Und selbst, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung ebenfalls dafür ist, sind es – wie Umfragen zeigen – mit Sicherheit nicht annähernd 100 Prozent. Einen solchen Grundkonsens, wie ihn uns die Medien präsentieren, gibt es nicht.
Aber brauchen wir nicht manche Doxai, Grundüberzeugungen wie den menschengemachten Klimawandel, auf denen wir als Gesellschaft aufbauen können, ohne sie jederzeit wieder in Zweifel zu ziehen?
Es stimmt, dass Sie kaum jemanden in den Talkshows finden werden, der den menschengemachten Klimawandel bestreitet. Trotzdem leugnen ihn rund zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung und auch dieser Anteil sollte in der Öffentlichkeit repräsentiert werden.
Bereitet das nicht den Falschen eine Bühne?
Nur so können sie ihre Argumente vortragen und offenbaren, dass diese Argumente keine guten sind. Alle Argumente und wissenschaftlichen Beobachtungen sprechen für den menschengemachten Klimawandel. Erheben wir ihn aber zum unbestreitbaren Grundkonsens, drängen wir gerade diese Argumente in den Hintergrund.
Wer den öffentlichen Doxai widerspricht, dem droht der Ausschluss aus bestimmten Diskursen. Kürzlich bezeichneten Sie im Gespräch mit ZEIT-Redakteur Ijoma Mangold Cancel Culture als „Faschismus“ und Shitstorms als modernes Wort für „Pogrome“. Ist das nicht ein bisschen übertrieben?
Moment, ich habe hier nichts gleichgesetzt, anders als manche Schlagzeilen vermuten lassen. Ich habe gesagt, dass der psychosoziale Mechanismus, der Menschen dazu bringt, einen Shitstorm zu betreiben, derselben Logik folgt, wie früher die Pogrome. Diejenigen, die sich aufgrund des öffentlichen Drucks selbst zurückhalten, entladen ihre dadurch aufgestaute Wut gegen andere. Canceln ist eine klassische Waffe der Rechten, wie sie schon der Faschismus anwendete – was wiederum nicht heißt, dass jedes Canceln faschistisch ist.
Nicht nur der Zustand der Freiheit, sondern auch jener der Brüderlichkeit macht Ihnen Sorgen. Diese sei, schreiben Sie, der Dünger und Nährboden unserer freiheitlichen Gesellschaft. Wie machen wir diesen Boden wieder fruchtbar?
Durch Resilienz. Man kann nur dann brüderlich sein, wenn man mit jemandem klarkommt, auch wenn er oder sie andere Meinungen hat. Alles andere ist nicht Brüderlichkeit, sondern Bubble. Meine Angst ist, dass wir uns in Bubbles so sehr zerstreiten, dass die Herren des Technofeudalismus keine Schwierigkeiten haben, das morsche System abzureißen. Wir verzanken und verstreiten uns in jeden Mist. Der große Strukturwandel aber, der unsere liberale Demokratie abschafft, gegen den kämpfen wir nicht. Das muss sich ändern.•
Richard David Precht ist Philosoph, Autor und Publizist. Sein Buch „Angststillstand. Warum die Meinungsfreiheit schwindet" ist kürzlich bei Goldmann erschienen.
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