Zwilling des Todes
Schon immer wurden Schlaf und Tod miteinander in Verbindung gebracht. Das löst gegensätzliche Reaktionen aus: Für die einen ist der Schlaf der Feind der Lebensfülle, für die anderen ein Zustand glückseliger Ruhe. Darin zeigt sich das grundlegende Dilemma unseres Lebens.
Schlaf und Tod gelten seit jeher als wesensverwandt. In der antiken Mythologie sind Hypnos und Thanatos Zwillingsbrüder. Sie leben in der Unterwelt und sind Söhne der Nyx (Nacht) sowie Geschwister von Philotes (Liebeslust) und Oneiros (Traum). Ovid zufolge lebt der Gott des Schlafs in einer dunklen Höhle, durch die die Lethe fließt, der Fluss des Vergessens. Die Verbindung von Schlaf und Tod setzt sich in der Geschichte in verschiedenen Variationen fort: Augustinus etwa vergleicht in der Spätantike die Auferstehung der Toten mit dem Erwachen, der Aufklärer Immanuel Kant ist der Auffassung, dass uns nachts nur die Träume vor einer völligen Bewusstlosigkeit und damit vor dem Sterben bewahren. Noch heute sprechen wir davon, dass ein Verstorbener „entschlafen“ sei oder die „letzte Ruhe“ gefunden habe. Woher diese enge Verbindung kommt, ist leicht zu verstehen: Der reglos Liegende ist äußerlich kaum von einem Verstorbenen zu unterscheiden, der Zustand der Bewusstlosigkeit und des Weltverlusts gleicht unseren Vorstellungen vom Tod.
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Die neue Sonderausgabe: Der Schlaf. Das unbekannte Drittel unseres Lebens
Philosophen von Heraklit über Hegel bis zu Jean-Luc Nancy haben die vielschichtige Bedeutung des Schlafs ergründet. Der Schlaf, so zeigt dieses Heft, ist das unabdingbare Andere von Bewusstsein, Vernunft und Willenskraft, die ohne Gegengewicht unerträglich und irrational werden. Der Schlaf erhält das Lebendige, lässt uns lernen und träumen. Zeit, das unbekannte Drittel unserer Existenz zu entdecken.
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Die Kraft der Unterschiede
Im Einklang mit einem anderen Menschen zu denken, zu fühlen und zu handeln, beschert uns oft Momente der besonderen Lebensfülle. Doch ist Einheit immer erstrebenswert? Oder liegt der wahre Reiz vielmehr in einem kontrastreichen Miteinander?

Gibt es einen guten Tod?
Es ist stockdunkel und absolut still. Ich liege auf dem Rücken, meine gefalteten Hände ruhen auf meinem Bauch. Wie zum Beweis, dass ich noch lebe, bewege ich den kleinen Finger, hebe ein Knie, zwinkere mit den Augen. Und doch werde ich, daran besteht nicht der geringste Zweifel, eines Tages sterben und wahrscheinlich genauso, wie ich jetzt daliege, in einem Sarg ruhen … So oder so ähnlich war das damals, als ich ungefähr zehn Jahre alt war und mir vor dem Einschlafen mit einem Kribbeln in der Magengegend vorzustellen versuchte, tot zu sein. Heute, drei Jahrzehnte später, ist der Gedanke an das Ende für mich weitaus dringlicher. Ich bin 40 Jahre alt, ungefähr die Hälfte meines Lebens ist vorbei. In diesem Jahr starben zwei Menschen aus meinem nahen Umfeld, die kaum älter waren als ich. Wie aber soll ich mit dem Faktum der Endlichkeit umgehen? Wie existieren, wenn alles auf den Tod hinausläuft und wir nicht wissen können, wann er uns ereilt? Ist eine Versöhnung mit dem unausweichlichen Ende überhaupt möglich – und wenn ja, auf welche Weise?

Landhaus Extrem
In den sozialen Medien inszenieren sich immer mehr Menschen in ländlichen Idyllen. Aufschwung hat die "Cottagecore"-Bewegung zuletzt im Zuge der Coronakrise erhalten. Dabei blenden die Anhänger unser grundlegendes Dilemma im Verhältnis zur Natur aus.

Die Verletzlichkeit der Schlafenden
Ob man mit verkrampfter oder glückseliger Miene schläft, Seufzer oder Wortfetzen von sich gibt – wenn die Wachsamkeit endet, fallen die sozialen Masken.

Braucht mein Leben ein Ziel?
Und, wie lautet Ihr Ziel im Leben? Sie haben doch eins, oder? Kaum ein Mensch, der sich dem Druck dieser Frage entziehen könnte. Sie trifft das Zentrum unserer Existenz, legt tiefste Wünsche und Hoffnungen frei – und nicht zuletzt auch Ängste. Was, wenn ich mein Ziel nicht erreiche? Was, wenn ich mein Ziel noch gar nicht kenne? Und vor allem: Was, wenn es gerade selbst gesetzte Ziele wären, die mein Leben einengen und mich unglücklich machen? In der Frage nach dem Lebensziel prallen zwei menschliche Sehnsüchte aufeinander. Die nach einem tätigen Leben in dauerhaft sinnvoller und zielgerichteter Selbstbestimmung. Und die nach einer tief entspannten Existenz in lustvoller Gelassenheit. Wie sähe wohl ein Leben aus, dessen Ziel darin bestünde, beide Ideale miteinander zu vermitteln?
Ralf Konersmann: „Wir haben die Ruhe um ihren guten Ruf gebracht“
Antike Philosophen verbanden die Ruhe mit Glück. Seit dem Beginn der Neuzeit wurde sie westlichen Kulturen zunehmend suspekt. Ralf Konersmann über die Frage, wie die Unruhe zum Modus der Existenz wurde.

Kann das nicht die Maschine machen?
Schon bald könnten wir digitale Zwillinge von uns selbst für verschiedene Lebensbereiche einsetzen, die für uns verhandeln, flirten und arbeiten. Doch ist das eine wünschenswerte Vorstellung – oder der erste Schritt hin zu einer sterilen Ego-Gesellschaft?
