Der Ursprung der Lebendigkeit
Ein Mensch, der lebendig ist, lebt nicht nur. Er entwickelt sich, schöpft im Scheitern neue Kraft, steht in einer intensiven Beziehung zur Welt. Aber woraus genau ziehen wir Energie? Und was können wir tun, wenn wir innerlich erstarren? Die großen Denker und Denkerinnen der Geschichte haben auf diese Fragen ganz verschiedene Antworten.
Heraklit und der Streit
Für Heraklit (ca. 520 – 460 v. Chr.) ist der grundlegendste Lebensschwung der Streit. Er treibt nicht nur die Individuen an, sondern dynamisiert den Kosmos als solchen. Das Ideal der Harmonie und Versöhnung, wie es die Pythagoreer lehrten, denunziert der Philosoph als statische Zustände. Für den antiken Denker steht der Widerstreit von Gegensätzen im Zentrum des Kosmos und erzeugt so dessen Einheit. „Das Kalte wird warm, Warmes kalt, Feuchtes trocken, Trocknes feucht.“ Das „Widerstrebende“, so erfahren wir aus den wenigen überlieferten Fragmenten, „vereinigt sich, und aus den entgegengesetzten (Tönen) entsteht die schönste Harmonie, und alles Geschehen erfolgt auf dem Wege des Streites.“ Ein und dasselbe offenbare sich in den Dingen als Lebendes und Totes, Waches und Schlafendes, Junges und Altes. Alles, was ist, so Heraklit, ist immer auch durch sein Gegenteil bedingt, da es dieses beinhalte und in Schwung versetze. Ein Gedanke, der zu den folgenreichsten in der Philosophiegeschichte zählt und als dialektisches Denken Generationen von Philosophen umtreiben wird. Der Streit ist somit, folgt man Heraklit, kurzfristig zwar entzweiend, für den Fortschritt insgesamt allerdings unumgänglich. Blickt man auf unsere Gegenwart, lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass nur, wer zu streiten weiß, auch die Chance hat, wahrhaft zueinanderzufinden. Eine Beziehung, in der nur Harmonie herrscht, ist nicht lebendig, sondern erstarrt. Wenn alles bleibt und nichts wird, läuft etwas falsch. So scheinen die polarisierten Positionen zu sensibler Sprache, Ukrainekrieg oder Klimapolitik auf den ersten Blick die Gesellschaft zu spalten. Mit Heraklit allerdings können wir darin schlicht eine notwendige Phase des Streits erkennen, die eine stabilere, weil ausgefochtene Ordnung vorbereitet. Im Streit gab es für Heraklit übrigens auch kein Gut und Böse, sondern lediglich Kräfte, die aufeinanderprallen. Aus Heraklits kosmologischen Überlegungen lässt sich demnach ableiten, dass Zwist zwar zuweilen ärgerlich sein mag, jedoch die einzige Möglichkeit des Fortschritts darstellt.
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Kommentare
Und jetzt ich :P
Vielleicht könnte ein, ein guter "Ursprung" von Lebendigkeit ein Teil eines Prozesses sein: würde man oder frau wahrscheinlich ausreichende Befreiung für sich und ihre Gruppen versuchen, und darüber hinaus wahrscheinlich bestes für alle versuchen, so würde mit der Zeit Lebendigkeit vielleicht dadurch spürbar, dass das Leben tendenziell zunehmend ausreichend befreit und damit eher offen für Lebendigkeit wird und dass das Leben tendenziell zunehmend Sinn bekommt und damit eher berechtigt für Lebendigkeit wird.
Maschine sein als Gegenüber von Lebendigkeit schätze ich aber oft genug auch gut, praktischerweise bringt der Prozess hierüber auch diesen Modus mit sich.
Ich danke für den Text und die Möglichkeit, zu kommentieren.