Hannah Arendt in New York
Hannah Arendt fand nach Jahren auf der Flucht eine neue Heimat in New York. Wie sah Arendts Leben in der amerikanischen Metropole aus? Eine Reportage von Helena Schäfer über „das Mädchen aus der Fremde“, das in New York zu einer Philosophin von Weltrang wurde.
Fünf Jahre nach ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten schrieb Hannah Arendt in einem Gedicht: „Wohl dem, der keine Heimat hat; er sieht sie noch im Traum.“ Die jüdische Theoretikerin floh 1933 aus Deutschland. Mehrere Jahre lebte sie im Exil in Frankreich. Hier wurde sie schließlich in das Internierungslager Gurs gesteckt, doch ihr gelang die Flucht. 1941 konnte sie mit ihrem Mann Heinrich Blücher in die USA übersetzen, wo sie bis an ihr Lebensende wohnte. Nach 14 Jahren Staatenlosigkeit erlangte sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Den größten Teil ihrer Zeit in den USA lebte sie in New York, der Stadt, die noch immer die Suchenden und Rastlosen, Denkerinnen und Künstler aus aller Welt anzieht. New York ist eine Stadt, in der Arendts Idee der „Natalität“ jeden Tag zu beobachten ist: Wer nach New York kommt, kann neu anfangen. Kann sich neu erfinden, muss sich neu erfinden, seine Einzigartigkeit durch Worte und Taten zur Schau stellen. Auch Arendt musste sich hier ein neues Leben aufbauen und die englische Sprache lernen. Hier schuf sie ihre bekannten Werke wie Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft und Vita activa.
Nr. 1: 95. Straße, Upper West Side
Als Hannah Arendt und Heinrich Blücher 1941 mit dem Schiff in New York ankamen, müssen sie – wie so viele Immigranten zuvor – als Erstes die Freiheitsstatue gesehen haben, die ihre Fackel in den Himmel streckt, um den Neuankömmlingen, den Heimatlosen und vom Sturm Getriebenen den Weg zu weisen. Mit einem monatlichen Stipendium der Zionistischen Organisation Amerikas in Höhe von 70 Dollar mieteten Arendt und Blücher zwei teilmöblierte Zimmer in einer Mietskaserne. Die neue Adresse teilte Arendt ihrem ersten Mann Günther Anders in einem Telegramm mit: 317 West 95th Street.
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