Judith Butler und der Nahostkonflikt
Judith Butlers Text zum Nahostkonflikt hat Wellen geschlagen. Deutsche Kritiker verreißen ihn, sehen aber nicht genau genug hin. Ein differenzierter Blick offenbart blinde Flecken sowohl der Kritiker als auch der Befürworter postkolonialer Positionen.
Schlägt man in diesen Tagen den Kulturteil leitender deutscher Zeitungen auf, ist nichts Gutes über die Philosophie zu lesen. Weltweit anerkannte Denker und Denkerinnen werden vom deutschen Feuilleton geradezu angefeindet. Neben Slavoj Žižek und dessen stark kritisierter Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse traf es vor allem Judith Butler, die Galionsfigur der queeren Genderbewegung. Was war geschehen?
Am 13. Oktober erschien in der London Review of Books ein Aufsatz von ihr mit dem Titel The Compass of Mourning, in dem sie sich mit der „gegenwärtigen Gewalt, ihrer Geschichte und ihren vielen Formen“ beschäftigt. Butler lässt keinen Zweifel daran, dass die ausgeübte Gewalt der Hamas ein schreckliches und unentschuldbares Massaker war, das es zu verurteilen gilt. Gleichzeitig steht für sie auch fest, dass die Gewalt der Hamas nicht die einzige Gewalt in dieser Region ist, sondern auch von der israelischen Regierung ausgeht.
Die moralische Frage der Kontextualisierung
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