Karen Ng: „Das Leben ist die unmittelbare Form der Wahrheit“
In der Wissenschaft der Logik untersucht Hegel die Strukturen des Denkens und Seins. Für die Philosophin Karen Ng ist das anspruchsvolle Werk ein Schlüsseltext der Moderne. Im Gespräch erklärt sie, weshalb Logik und Leben eine Einheit bilden.
Frau Ng, worum geht es in der Wissenschaft der Logik?
Einer der erstaunlichsten Aspekte im Hinblick auf die Logik ist, dass sich darüber niemand einig zu sein scheint. Aus historischer Perspektive können wir sie als Hegels Version eines Nachdenkens über die notwendigen Bedingungen des Denkens, des Wissens und der Erfahrung betrachten. Die berühmteste Theorie hierzu ist zu Hegels Zeit Kants Kritik der reinen Vernunft. Darin versucht er, jene grundlegenden Kategorien unseres Denkens zu bestimmen, ohne die wir unsere Erfahrung und unsere Welt nicht verstehen, ja, überhaupt keine einheitliche Erfahrung haben könnten. Denken Sie beispielsweise an Kausalität oder Substanz. Hegel liefert eine sehr schwierige, etwas obskure Version davon, aber er versucht weitgehend dasselbe. Die Logik stellt letztlich die These auf, dass wir, um etwas zu wissen, zu denken oder zu erfahren, bereits bestimmte Vorannahmen oder Formen des Denkens haben müssen, die dem, was wir denken und wissen, Gestalt geben. Allerdings wird bis heute in der Hegel-Forschung diskutiert, ob es sich bei diesen Bestimmungen bloß um Bestimmungen unseres Denkens handelt – das wäre die eher kantianische Perspektive – oder um Bestimmungen der Realität – das ist die eher ontologische Lesart. Und: Wie verstehen wir den Unterschied zwischen Denken und Realität? Gibt es da eine Kluft? Wenn ja, wie überbrücken wir sie? Die scheinbar einfache Frage, worum es geht, stellt uns beim Lesen der Logik also schon vor Schwierigkeiten.
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