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Bild: Screenshot - Kinderfilmklassiker "Momo" Trailer (1986, HD)

Interview

Alexander Oberleitner: „Momo ist als systemgefährdendes Buch geschrieben worden“

Alexander Markus Oberleitner, im Interview mit Dominik Erhard veröffentlicht am 22 Januar 2021 7 min

Michael Ende ist Millionen Menschen als Jugendbuchautor bekannt. In seiner jüngst erschienenen Monographie Michael Endes Philosophie im Spiegel von Momo und Die unendliche Geschichte geht Alexander Oberleitner allerdings den philosophischen Dimensionen von Endes Werk nach und erläutert, warum dessen Einfluss nicht an der Kinderzimmertür endet.

 

Herr Oberleitner, was macht Endes Schaffen philosophisch interessant?

Ich kann die Einordnung Michael Endes als Kinder- und Jugendbuchautor natürlich nachvollziehen, teile diese allerdings selbst nicht. Sieht man sich Die unendliche Geschichte oder Momo nämlich genauer an, ganz zu schweigen von seinen weniger bekannten Werken wie Der Spiegel im Spiegel, merkt man, dass es sich bei Endes Geschichten um solche mit beachtlicher philosophischer Ladung handelt.

Die sich worin zeigt?

Endes Bücher werfen die Frage auf, was uns als Menschen ausmacht. Und seine Antwort darauf lautet in verschiedenen Ausformulierungen: Der Mensch ist das Wesen, das die Fähigkeit besitzt, in einem umfassenden Sinne schöpferisch tätig zu sein. Entsprechend interessiert ihn, was es uns ermöglicht, diese Fähigkeit zu nutzen bzw. was uns davon abhalten kann. Anders als etwa J. R. R. Tolkien, ein Autor, den ich ebenfalls sehr schätze und der beispielsweise mit Der Herr der Ringe eine überwältigende Geschichte mittels großer Emotionen und bildlicher Sprache erzählt, sind Endes Bücher eher Denkprozesse, zu denen er seine Leserinnen und Leser aktiv einlädt.

Würden Sie hierfür ein Beispiel geben?

Nehmen Sie Die unendliche Geschichte. Dabei handelt es sich um ein Buch, dass in sich selbst vorkommt und sich somit selbst als Kunstwerk reflektiert. Wir erinnern uns kurz, dass der Roman von einem Jungen namens Bastian Balthasar Bux handelt, der ein Buch, eben Die unendliche Geschichte, aus einem Laden stiehlt, es liest und bemerkt, dass er selbst Teil dieser Geschichte ist. Ihm kommt so die abenteuerliche Aufgabe zu, das Reich Phantásien vor dem Verschwinden zu retten. Indem Bastian als Leser des Buches in dieses selbst einsteigt und Teil davon wird, schafft Ende mit diesem Charakter den prototypischen Leser. Wir alle sind Bastian, wenn wir Die unendliche Geschichte lesen. Ebenso faszinierend ist, dass Phantásien nicht nur eine abgeschlossene fiktive Welt wie beispielsweise Mittelerde ist, sondern eine Metapher für alle Phantasiewelten überhaupt. Darin wird auch Endes gesellschaftskritischer Zug deutlich, da er die Welt, in die er sein Buch hineinschreibt, als phantasiefeindlich anprangert.

Wenn Phantásien für sämtliche imaginierte Welten steht und diese vom Verschwinden bedroht sind, drängt sich natürlich die Frage auf, worin diese Gefährdung aus Endes Sicht besteht.

Damit sind wir beim Kern von Endes philosophischem Denken. Worin aus seiner Warte diese Gefahr für die Phantasie bestand, ist sehr deutlich zu benennen: im Kapitalismus. Ende war ein vehementer Kritiker dieses Systems, da es seiner Meinung nach die menschliche Schöpfungskraft bedroht – das also, was uns überhaupt zum Menschen macht –, indem es jegliche Aufmerksamkeit von der inneren Welt auf die äußere lenkt und sämtliche Lebensbereiche verzwecken will.

Diese Verzweckung spielt auch in einem anderen Buch Endes, Momo, eine bedeutende Rolle, richtig?

Und diese thematische Überschneidung zwischen Die unendliche Geschichte und Momo ist keineswegs zufällig, da Die unendliche Geschichte aus einem Romanfragment entstanden ist, das den Titel Der Niemandsgarten trug und als Fortsetzung von Momo geplant war. 

Worin ging es in diesem Fragment?

Die Geschichte von Der Niemandsgarten ist, man muss es so hart sagen, die vollkommene Negation des Happy Ends von Momo. Das Buch hat ja einen klassisch märchenhaften Schluss, insofern, als dass der Grundkonflikt nicht gelöst wird, der Vorhang aber dennoch fällt. Denn das Problem des Zeitsparens wird nicht behoben. Die Menschen sehen nicht ein, dass die Zeitsparkasse ein riesiger Betrug ist. Die grauen Herren werden schlussendlich nur von der metaphysischen Instanz des Meister Hora überlistet. In Der Niemandsgarten hingegen haben die grauen Herren die vollkommene Kontrolle übernommen und alle unter das Diktat der zeitlichen Rationalisierung gestellt. Allein das Mädchen Sophie hat sich noch einen Funken ihrer schöpferischen Kraft bewahrt, indem sie in eine Vorform von Phantásien flieht, die Niemandsland heißt.

Und was hielt Ende schlussendlich von der Ausarbeitung von Der Niemandsgarten ab?

Er merkte, dass es für eine Welt, die sich de facto völlig entmenschlicht hat, keine Rettung gibt und es demnach keine gute Geschichte ist. Für Die unendliche Geschichte setzt er deshalb nochmal anders an und fokussiert nicht die Auslöschung der schöpferischen Kraft, sondern deren Bedrohung. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen, dass es sowohl in Die unendliche Geschichte als auch in Momo um die Bedrohung des Schöpferischen durch den Kapitalismus geht, wobei in Die unendliche Geschichte die Betonung auf dem Schöpferischen und in Momo auf der Bedrohung liegt.

Der SPD-Politiker und Philosoph Erhard Eppler hat Momo einmal als „systemgefährdend“ beschrieben. Zu recht also?


Hundertprozentig, ja. Momo ist auch als systemgefährdendes Buch geschrieben worden – ich würde sogar sagen, wer Momo nicht auf die eine oder andere Weise als Kritik am Kapitalismus begreift, hat das Buch einfach nicht verstanden. Und besonders an der Rezeption in Japan zeigt sich, dass Endes Vorhaben geglückt ist. Denn dort gab es vor der Veröffentlichung der Übersetzung praktisch keinen kapitalismuskritischen Diskurs, zumal der Marxismus fast ausschließlich als Schreckgespenst wahrgenommen wurde. Das hat sich nach der Übersetzung von Momo grundlegend geändert. Für Japan kann man also die Wirkung von Endes Kapitalismuskritik kaum überschätzen. Zudem hat Ende als einer von wenigen Autoren die Verquickung von Kapitalismus und Quantifizierung sehr deutlich gesehen und akzentuiert. Kurz gesagt: Der Gedankengang ist, dass ein System, dessen Endzweck Kapitalvermehrung ist, Dinge normieren und in zählbare Einheiten zerteilen muss, die sich diesem Vorgang eigentlich entziehen, um sie gewinnbringend nutzen zu können. Nichts anderes tun die grauen Herren in Momo: Sie zerstückeln die Lebenszeit in messbare und gegeneinander aufrechenbare Lebenssekunden, um sie dann handhaben zu können wie empirische Gegenstände. 

Lehnte Ende demnach das quantifizierende und wissenschaftliche Denken von Grund auf ab? 

Nein, er stellte sich lediglich gegen eine Allmacht der Quantifizierung, wie sie sich für ihn in ihrer zerstörerischsten Form im Kapitalismus fand. Entgegen einigen anderen Stimmen würde ich Ende deshalb auch nicht als Anti-Rationalisten bezeichnen, sondern vielleicht eher das Wort Mystiker verwenden. Allerdings auch nur als Mystiker in dem Sinne, wie der dänische Philosoph Søren Kierkegaard einer war. 

Inwiefern war Kierkegaard denn ein Mystiker?

Er war es eben nicht im klassischen Sinne, denn die Mystik ist definitionsgemäß ein Bereich, der sich dem Denken entzieht – schwieriges Terrain für Philosophie. Allerdings doch insofern, als dass er sein Denken bis zu einem bestimmten Punkt brachte und dann sagte: So, ab hier kommen wir mit Denken nicht mehr weiter. Nun ist ein Sprung in den Glauben erforderlich. Ende geht ganz ähnlich vor, indem Momo die grauen Herren nur durch die Kraft der ewigen Harmonie bezwingen kann und Bastian einsehen muss, dass er Phantásien nur retten kann, wenn er zu lieben lernt.

Dass Kierkegaard einer der wichtigsten philosophischen Stichwortgeber für Ende war, zeigt sich auch in nahezu direkten Zitaten in seinen Werken, richtig?

In Die unendliche Geschichte fällt der Satz „Ewig ist der Augenblick“, der praktisch eine direkte Übernahme aus Kierkegaards Der Begriff Angst ist. Dort heißt es, dass „die Ewigkeit der Augenblick“ ist. Ebenfalls in Die unendliche Geschichte greift Ende Nietzsches Idee der ewigen Wiederkehr auf. Bei Nietzsche ist damit gemeint, dass sich jeder einzelne Moment unendliche Male wiederholt. Wer das für sich annehmen und gutheißen kann, so Nietzsche, führt ein erfülltes Leben. Ende hingegen wendet sich strikt gegen diese Auffassung, wenn er Bastian im zentralen Kapitel seines Romans wieder und wieder durch Die unendliche Geschichte jagt, bis ihm die Absurdität und Sinnlosigkeit dieses Kreisens bewusst wird. Wörtlich heißt es dort: „Der Kreis der ewigen Wiederkehr war das Ende ohne Ende.“ Das zeigt, dass Ende der Idee einer ewigen Wiederkehr nichts abgewinnen konnte und die Vorstellung keineswegs als erfüllend, sondern eher als höllisch empfand. Er ist also auch hier der Zeitauffassung Kierkegaards verpflichtet, der sich aus dem Zusammenfließen aller Zeit in einem Moment Erfüllung versprach. Ein Ereignis wiederum, das es den grauen Herren unmöglich machen würde, diesen Moment in kleinere kalkulierbare Portionen Zeit zu zerteilen und zu verwerten.

Würden Sie denn abschließend sagen, dass wir Ende künftig als einen Denker in der Liga von Kierkegaard und Nietzsche lesen sollten?

Es wäre verfehlt, würde man Ende jetzt als einen großen Philosophen darstellen. Sicherlich ist sein literarisches Schaffen stark philosophisch, allerdings liegt seine Stärke nicht im rein abstrakten Denken, sondern vielmehr darin, dass seine Literatur zum Denken anregt. Das zeigt sich eben z. B. ganz handfest in der Wirkung Momos auf die japanische Kapitalismuskritik und stimmt auch mit Endes Menschenbild überein,  wonach jeder auf seine spezifische Weise schöpferisch dazu beitragen kann, die Welt harmonischer zu gestalten. Für ihn gibt es insofern keinen wesentlichen qualitativen Unterschied zwischen einem Romanautor und z. B. einem Bäcker. Beide bringen Neues in die Welt, indem sie dieses durch die Kraft ihrer Imagination und ihrer Hände schaffen. Der einzige Unterschied ist der, dass der Romanautor in der Regel reflexiver sein wird, d. h. durch sein Schaffen während seines Schaffens über sein Schaffen nachdenkt. Das jedoch macht ihn nicht besser oder höherwertiger als den Bäcker. Der Schöpfungsprozess ist wesentlich der gleiche. •

 

Alexander Markus Oberleitner ist Philosoph. Jüngst erschien von ihm das Buch „Michael Endes Philosophie im Spiegel von ‚Momo‘ und ‚Die unendliche Geschichte‘“ im Meiner Verlag.

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