Bentham und die Transparenz
Im Gefängnis, das Jeremy Bentham 1791 als „Panoptikum“ entwarf, sollte das Licht der Aufklärung noch den hintersten Winkel erhellen. Doch geriet dieses bei der Nachwelt in Verruf und der Philosoph avancierte zum zynischen Architekten eines gesellschaftlichen Transparenzwahnsinns.
Im Februar 1786 gelangte der 38-jährige Jeremy Bentham endlich an das Ziel einer Reise, die er Monate zuvor in London angetreten hatte: ein Landgut nahe der Stadt Kritschew im heutigen Weißrussland. Hier empfing ihn sein neun Jahre jüngerer Bruder Samuel, ein Ingenieur, der vor einiger Zeit ausgewandert war und gerade Karriere im Dienst des Fürsten Grigori Alexandrowitsch Potjomkin machte. Bei Letzterem handelte es sich um keinen Geringeren als den Namensgeber der berüchtigten potemkinschen Dörfer, die gerne dann zitiert werden, wenn ein Trugbild oder Blendwerk beim sprichwörtlichen Namen genannt werden soll: alles nur stuckbeladene Fassade, nichts dahinter. Nun zählt zum historisch verbrieften Wissen über Potjomkin, dass er ein tapferer Feldherr, tatkräftiges Beamtengenie und feuriger Liebhaber von Katharina der Großen war. Für die redensartlich konservierte Behauptung hingegen, er habe Häuserkulissen aufstellen lassen, um seiner Zarin auf ihren Reisen durch Neurussland eine blühende Infrastruktur und erfolgreiche Siedlungspolitik vorzugaukeln, ließen sich keinerlei Belege finden. Dafür schmiedeten unter Potjomkins Herrschaft die beiden Benthams emsig Pläne für eine weitere Architekturlegende, die den nie gebauten Attrappendörfern an schlechtem Image heute in nichts nachsteht.
So hatte Samuel, als sein Philosophenbruder ihn im Zarinnenreich besuchte, die Verantwortung für diverse Bauprojekte inne, eine ganze Armee von Handwerkern und ungelernten Hilfskräften stand unter seiner Aufsicht. Der Ingenieur ersann eine rudimentäre, aber effiziente Methode zur Arbeitsüberwachung auf Schiffswerften und Baustellen. Jeremy griff diesen pragmatischen Ansatz auf, verlieh ihm den nötigen intellektuellen Feinschliff und machte daraus ein Instrument zur tief greifenden Reform des Justizvollzugs. Seine Vorstellungen vom besten aller möglichen Gefängnisse brachte der ältere Bentham-Bruder noch während seines Russlandaufenthalts in Form einer Briefserie an einen anonymen Adressaten zu Papier. Wieder nach England zurückgekehrt, ergänzte er die 21 Briefe um zwei umfangreiche Nachschriften und publizierte das Ganze 1791 unter dem Titel: Panopticon, or, the Inspection-House.
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