Birgit Schneider: „Die Rottöne sind uns ausgegangen“
Um den Klimawandel zu verstehen, brauchen Menschen Bilder in Form von Kurven, Karten und Fotografien. Die Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider hat diese Bilder untersucht und erklärt, wie Klimadaten aufbereitet werden und wirken, angefangen bei Temperaturkarten Alexander von Humboldts bis zum Symbol der brennenden Erde.
Frau Schneider, Sie haben sich intensiv mit den Bildern beschäftigt, mit denen uns der Klimawandel in den Wissenschaften, aber vor allem auch in der Öffentlichkeit vor Augen geführt wird. Darin liegt nicht nur eine ästhetische Frage, sondern auch das Thema, wie Wissenschaft an die Öffentlichkeit gelangt – und zur Politik. Was ja im Fall der Klimawissenschaft ganz besonders dringlich ist.
Ja, und die Frage der Vermittlung war von Anfang an eine Herausforderung. In der Politik ist das Thema ungefähr Ende der 1980er-Jahre angekommen, als Physiker und Atmosphärenwissenschaftler warnend an Politiker herantraten. Politiker sind es gewohnt, auf wissenschaftliche Daten zu schauen, das ist ihr täglich Brot. Statistiken, Tabellen, Kurven, das sind für sie Entscheidungsmedien für sozioökonomische Zusammenhänge. Die Sprache der naturwissenschaftlichen Kurven ist im Prinzip die gleiche. Für die Politik waren die Kurven also durchaus nicht unverständlich. Das Problem ist jedoch, dass auch nach über 30 Jahren Klimawandelpolitik die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht zu den entsprechenden Entscheidungen geführt haben, jedenfalls nicht zu einer Reduzierung von CO2.
Hat das auch mit fehlendem öffentlichen Druck zu tun? Mit – zumindest zu Beginn – fehlender Übersetzung der Wissenschaft für die breitere Öffentlichkeit?
Das glaube ich nicht. Man hat in die Öffentlichkeit auch viel vermittelt. In Deutschland war ja schon ganz früh von der „Klimakatastrophe“ die Rede, später hat man es etwas runtergepegelt zu „Klimawandel“ und „globaler Erwärmung“, jetzt sind wir wieder bei der „Krise“ oder der „Emergency“. Jedenfalls waren für die Kommunikation in der Öffentlichkeit die Bilder ganz wichtig. Die Berichte des Weltklimarats sind so dick wie Telefonbücher, sie enthalten Hunderte von Karten, Grafiken, komplizierteste Darstellungsformen. So etwas ist für Laien kaum lesbar. Man hat schon sehr früh versucht, die Erkenntnisse in einprägsamen Grafiken und Bildern zusammenzufassen, die sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die politischen Entscheidungsträger konsumierbar waren. Also eine Reduktion auf circa 20 Karten und Kurven, die auch nicht zu komplex sein durften.
Was waren da die wichtigsten Bilder?
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