Bis dass der Staat euch scheidet
Über 30 Prozent aller Ehen werden in Deutschland geschieden. Millay Hyatt hat diesen Akt gerade hinter sich – und stellt sich grundlegende Fragen: Was gehen den Staat intime Beziehungsprobleme an? Und weshalb bedarf es des gesprochenen Wortes eines Dritten, um die Scheidung zu vollziehen? Erfahrungsbericht einer Philosophin.
Am 7. Oktober 2022 betrete ich zusammen mit meinem Ehemann um 9.30 Uhr einen Raum in einem Gebäude im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Circa 15 Minuten später verlassen wir den Raum wieder, aber nicht mehr als Eheleute. Wie ist das möglich?
Versierte im Rätselraten würden jetzt nach dem Gebäude fragen sowie nach etwaigen anderen Menschen im Raum. Sie würden darauf kommen, dass es nicht irgendein Gebäude war, sondern ein Familiengericht, und dass wir nicht alleine im Raum waren, sondern zusammen mit einer Richterin, einer Stenografin und zwei Anwältinnen. Ausschließlich unter diesen Voraussetzungen ist es in unserer Gesellschaft möglich, dass zwei Menschen, die miteinander verheiratet sind, einen Raum betreten, nur um ihn kurz darauf als nunmehr nicht mehr miteinander Verheiratete zu verlassen. Kein Zauberer, keine Therapeutin, kein Priester, kein Familienmitglied, weder ein sakraler noch ein häuslicher Ort, sondern der Staat und seine Vertreterinnen vollziehen in einem öffentlichen Gebäude die Entscheidung, zu der wir uns als Privatpersonen in durchheulten Nächten und Paartherapiesitzungen bis zur Erschöpfung durchgerungen haben.
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