Direkt zum Inhalt
Menu Top
    loginAnmelden shopping_basketHefte kaufen assignment_addAbonnieren
Navigation principale
  • Startseite
  • Impulse
  • Essays
  • Dossiers
  • Gespräche
  • Hefte
  • Sonderausgaben
  • Philosophen
  • Begriffslexikon
  • Bücher
rechercher
 Philosophie Magazin - Impulse für ein freieres Leben
Menu du compte de l'utilisateur
    loginAnmelden shopping_basketHefte kaufen assignment_addAbonnieren
Navigation principale
  • Startseite
  • Impulse
  • Essays
  • Dossiers
  • Gespräche
  • Hefte
  • Sonderausgaben
  • Philosophen
  • Begriffslexikon
  • Bücher
Tag - Body
Tag - Body

Bild: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen via Flickr (CC BY 2.0)

Impuls

Das verwundete Selbst

Svenja Flasspoehler veröffentlicht am 22 Oktober 2020 4 min

Carolin Emcke kritisierte scharf einen polemischen Angriff auf den Pianisten Igor Levit. Der Text der Philosophin wirft Fragen auf, die weit über den konkreten Fall hinausreichen. Eine Antwort von Svenja Flaßpöhler.

„Meine Verletzung deckt keine neue, verwachsene Haut, und wo eine sich schließen will, reisse ich sie auf, da ich doch weiss, dass unter ihr der Eiterungsprozess weitergeht (...) ich glaube, Sie kommen zu früh mit Ihrer Objektivität.“ Diese Zeilen des österreichischen Schriftstellers Jean Améry aus einem Brief an Sebastian Haffner zitiert Carolin Emcke, um auf einen wichtigen Punkt hinzuweisen: die Problematik der Perspektive. Wer von Igor Levit kühle Objektivität erwartet, so lautet Emckes Einsatz, missachtet die Position, aus der heraus er spricht. Nämlich aus der Position eines jüdischen Künstlers, der selbst Morddrohungen erhält und mit Sorge den wachsenden Antisemitismus in Deutschland verfolgt. Auch Jean Améry war Jude. Während des Nationalsozialismus wurde er mehrfach interniert und gefoltert und 1944 nach Auschwitz deportiert. Améry überlebte. Doch seine tiefe Wunde heilte nicht, die sich schließende Haut wurde von ihm selbst, wie er schreibt, immer aufgerissen, weil der „Eiterungsprozess weitergeht“. In demselben Jahr, in dem Améry den Brief an Haffner schrieb, nahm er sich in Salzburg das Leben. 

Emcke hat Recht: Es ist in der Tat etwas anderes, ob ein Mensch als Betroffener oder Nicht-Betroffener spricht. Wer betroffen ist, selbst im Kreuzfeuer steht, akut Gewalt erfährt, blickt nicht einfach von außen auf seine Position, sondern wohnt immer zugleich auch in ihr. Ja, ist gar in ihr gefangen, wie Emcke suggeriert. Um ihre eigenen Begriffe zu verwenden: Die Sprache von Betroffenen ist „subjektiv“ und „wund“, die Sprache der Nicht-Betroffenen, so lässt sich ergänzen, abgeklärt, distanziert. Ich möchte hier nicht, wie bereits oft geschehen, näher auf den polemischen Text von SZ-Autor Helmut Mauró eingehen, sondern vielmehr auf ein Problem aufmerksam machen, dass sich an die Levit-Debatte und die Ausführungen Emckes anschließt. 

Die – im umfassenden Sinne – sensible Problematik bezieht sich auf das Bild der Wunde, die immer wieder aufgekratzt wird. Nun ist es natürlich schwer bis unmöglich, überhaupt etwas zu dieser Metapher von Améry zu sagen, da sie von einem Menschen verwendet wurde, der unvorstellbare Gewalt erlebt hat und daran zugrunde ging. Doch verwendet Emcke das Bild in Bezug auf den Fall Levit, dessen Erfahrungen keineswegs bagatellisiert werden dürfen, aber wohl kaum mit denen von Jean Améry auf eine Stufe gestellt werden können.

 

Resilienz nicht verabsolutieren

 

Was genau insinuiert dieses Bild im gegenwärtigen Debattenraum? Doch wohl dies: Wer, ob individuell oder als Teil einer Gruppe, verletzt wurde, dessen Wunde kann sich gar nicht schließen. Eine offene Wunde aber darf man nicht berühren. Man muss sie im Gegenteil vor jedem Infektionsrisiko schützen. Was in letzter Konsequenz bedeutet, dass sich die äußere Welt dem verwundeten Selbst anpassen muss. Wörter mit Verletzungsrisiko müssen kontextunabhängig vermieden, Ausstellungen, in denen Motive mit negativem Assoziationspotenzial zu sehen wären (vergleiche den jüngst diskutierten Fall des Künstlers Philip Guston), abgesagt, Kritik buchstäblich entschärft werden. 

Sensibilität für persönliche oder gruppenspezifische Verwundungen ist, da besteht kein Zweifel, eine große und speziell in diesem Land unhintergehbare Errungenschaft. Sie darf aber nicht so weit gehen, dass sie verabsolutiert wird. Gleichermaßen gilt es, das Bild der sich schließenden Haut ernst zu nehmen. Sie steht für einen Schutz, der, von außen unterstützt und gefördert, aus dem Individuum selbst kommt. Eine funktionsfähige Gesellschaft erschöpft sich nicht in der Aufgabe, Verletzungen zu vermeiden. Genauso fundamental ist die gezielte Stärkung von Widerstandskraft, die wesentlich ist für die Ausübung von Autonomie. Sensibilität und Resilienz sind zwei Seiten derselben Medaille: Ist es nicht gerade die Wunde, aus der Kraft zu erwachsen vermag? Nun ist es gewiss etwas anderes, ob man über #MeToo oder Political Correctness im Allgemeinen – oder eben über Juden in Deutschland und Antisemitismus redet. Was also bedeutet das hier Ausgeführte für den Fall Levit? 

Mir als Nicht-Jüdin und Deutscher liegt es absolut fern, von einem Menschen jüdischer Herkunft zu verlangen, er solle sich doch bitte nur nicht so anstellen und gefälligst seine Widerstandskraft stärken. Wer die Resilienz verabsolutiert – und das tue ich hier ausdrücklich nicht –, legitimiert Unrecht und Gewalt, indem er (oder sie) alle Verantwortung ins Individuum verlagert. Mir geht es hier vielmehr um die Geste der schützenden Hand, die Carolin Emcke über Igor Levit legt. Gewiss in bester Absicht, zumal Levit real mit dem Tod bedroht wird; aber eben mit einer Kehrseite: Wird der weltberühmte Pianist doch nolens volens auf eine wandelnde Wunde reduziert, die wie Emcke schreibt, seine subjektive Perspektive nicht zu überschreiten vermag und weiträumig abgeschirmt werden muss, auch vor solchen Äußerungen, die überhaupt keine antisemitischen Intentionen verfolgen. So deutet die Autorin selbst an, dass in Maurós Text nicht „direkt“ antisemitische Klischees und Zuschreibungen aufgerufen werden. „Es genügt, Assoziationen zu triggern, indem angedeutet wird, was dann das lesende Publikum vervollständigt.“ Zu fragen wäre, ob diese Vervollständigung nicht gerade durch Emckes Hinweis getriggert wird. Und den Künstler kleiner macht, als er sein müsste. •

  • Email
  • Facebook
  • Linkedin
  • Twitter
  • Whatsapp
Anzeige
Tag - Body

Weitere Artikel

Impulse
3 min

Eine freie Radikale

Andrea Roedig 18 Oktober 2019

Die ungarische Philosophin Ágnes Heller liebte die Herausforderung, kritisierte die ungarischen Regierungen vor und nach 1989 und wollte immer etwas Neues entdecken. Bis an ihr Lebensende blieb sie eine streitbare und nicht berechenbare Denkerin.

Eine freie Radikale

Gespräch
16 min

Solidarität ohne Grenzen?

Nils Markwardt 24 Juni 2016

Wie weit soll Solidarität reichen? Vor 5 Jahren diskutierten Carolin Emcke und Herfried Münkler im Philosophie Magazin über Verantwortung im Ausnahmezustand. Anlass damals war der Syrienkrieg.

Solidarität ohne Grenzen?

Impulse
3 min

Alexis Lavis: „Der Geist der Fürsorge steht der Mentalität der Kontrolle gegenüber“

Alexis Lavis 17 Dezember 2020

Die baldige Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen wirft moralische Fragen auf: Wer kommt zuerst dran? Bis wohin reicht die körperliche Selbstbestimmung? Ist es auch legitim, sich nicht impfen zu lassen? In unserer Reihe fragen wir Philosophinnen und Philosophen nach ihrer Position. In Folge 5 erklärt der in China lehrende Philosoph Alexis Lavis einen zentralen Unterschied zwischen Europa und Asien. 

Alexis Lavis: „Der Geist der Fürsorge steht der Mentalität der Kontrolle gegenüber“

Gespräch
4 min

Frank Adloff: „Wir hängen alle voneinander ab“

Nils Markwardt 20 Oktober 2020

Vor kurzem erschien im Open Access Das zweite konvivialistische Manifest, in dem über 300 Intellektuelle aus 33 Ländern, darunter Wendy Brown, Noam Chomsky, Shirin Ebadi, Maja Göpel, Eva Illouz und Chantal Mouffe, für neue Formen des Zusammenlebens und eine „post-neoliberale Welt“ plädieren. Der Soziologe und Mitinitiator Frank Adloff erklärt, was es mit dem Konvivialismus auf sich hat und welche konkreten Ziele er verfolgt. 

Frank Adloff: „Wir hängen alle voneinander ab“

Impulse
3 min

Reinhard Merkel: „Wir sollten darüber nachdenken, Kinder und Jugendliche vor den Alten zu immunisieren“

Reinhard Merkel 14 Dezember 2020

Die baldige Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen wirft moralische Fragen auf: Wer kommt zuerst dran? Bis wohin reicht die körperliche Selbstbestimmung? Ist es auch legitim, sich nicht impfen zu lassen? In unserer Reihe fragen wir Philosophinnen und Philosophen nach ihrer Position. In Folge 4 plädiert der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel dafür, die Kantische Vernunft in der Impffrage als Leitstab zu nutzen und über die Frage der Priorisierung neu nachzudenken.

Reinhard Merkel: „Wir sollten darüber nachdenken, Kinder und Jugendliche vor den Alten zu immunisieren“

Artikel
7 min

Gibt es einen guten Tod?

Svenja Flasspoehler 01 Dezember 2015

Kein Mensch entgeht dieser Frage. Für die meisten bleibt sie mit Angst behaftet. In den aktuellen Debatten zur Sterbehilfe wird über den guten Tod vor allem im Sinne des guten Sterbens und damit reiner Machbarkeitserwägungen verhandelt. Wo liegen unvertretbare Leidensgrenzen? Hat der Mensch das Recht, selbst über sein Ende zu bestimmen? Gibt es den wahrhaft frei gewählten Suizid überhaupt? Im Zuge dieser Konzentration auf das Sterben geraten die lebensleitenden Fragen aus dem Blick. Wie gehen wir mit der eigenen Endlichkeit und der unserer Nächsten um? Können wir uns mit dem Tod versöhnen? Wie sieht eine menschliche Existenz aus, die ihr Ende stets verdrängt? Oder ist das bewusste Vorauslaufen in den Tod – wie es beispielsweise Sokrates oder Heidegger behaupten – nicht gerade der Schlüssel zu einem gelungenen Dasein? Mit Beiträgen unter anderem von Svenja Flaßpöhler, Reinhard Merkel, Philippe Forest, Thomas Macho und David Wagner


Impulse
5 min

Philippe Huneman: „Es ist nicht unvernünftig, mit der Impfung noch etwas länger zu warten“

Philippe Huneman 07 Dezember 2020

Die baldige Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen wirft moralische Fragen auf: Wer kommt zuerst dran? Bis wohin reicht die körperliche Selbstbestimmung? Ist es auch legitim, sich nicht impfen zu lassen? In unserer Reihe fragen wir Philosophinnen und Philosophen nach ihrer Position. In Folge 2 erklärt Philippe Huneman, warum eine Immunisierung spieltheoretische Probleme erzeugt.

Philippe Huneman: „Es ist nicht unvernünftig, mit der Impfung noch etwas länger zu warten“

Impulse
3 min

Markus Gabriel: „Die Pflicht zur Herdenimmunität ist höher zu werten als Selbstbestimmung“

Markus Gabriel 04 Dezember 2020

Die baldige Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen wirft moralische Fragen auf: Wer kommt zuerst dran? Bis wohin reicht die körperliche Selbstbestimmung? Ist es auch legitim, sich nicht impfen zu lassen? In unserer Reihe fragen wir Philosophinnen und Philosophen nach ihrer Position. In Folge 1 fordert Markus Gabriel nötigenfalls eine Impfpflicht.
 

Markus Gabriel: „Die Pflicht zur Herdenimmunität ist höher zu werten als Selbstbestimmung“

Anzeige
Tag - Body
Hier für unseren Newsletter anmelden!

In einer Woche kann eine ganze Menge passieren. Behalten Sie den Überblick und abonnieren Sie unseren Newsletter „Denkanstöße“. Dreimal in der Woche bekommen Sie die wichtigsten Impulse direkt in Ihre Inbox.


(Datenschutzhinweise)

Jetzt anmelden!

Fils d'ariane

  1. Zur Startseite
  2. Artikel
  3. Das verwundete Selbst
Philosophie Magazin Nr.Nr. 69 - März 2023
Philosophie magazine : les grands philosophes, la préparation au bac philo, la pensée contemporaine
April/Mai 2023 Nr. 69
Vorschau
Philosophie magazine : les grands philosophes, la préparation au bac philo, la pensée contemporaine
Rechtliches
  • Werbung
  • Datenschutzerklärung
  • Impressum
Soziale Netzwerke
  • Facebook
  • Instagram
  • Twitter
  • RSS
Philosophie Magazin
  • Über uns
  • Unsere App
  • PhiloMag+ Hilfe
  • Abonnieren

Mit unseren Denkanstößen philosophische Ideen regelmäßig in Ihrem Postfach

Jetzt anmelden!