Dem Körper Gehör verschaffen
Als Denkerin der Unterwanderung gibt Hélène Cixous dem Ausgeschlossenen eine Stimme. Ihr Konzept der écriture féminine prägt Feminismus und Queer- Theorie bis heute.
Hengameh Yaghoobifarah, Journalist_in und Autor_in, unter anderem des Romans Schwindel (Aufbau, 2024) über queeres Begehren
Mit Hélène Cixous’ Werk habe ich mich vergleichsweise spät beschäftigt, viele Jahre nach Judith Butler, Paul B. Preciado oder Michel Foucault etwa. Dennoch gehört sie für mich zu den wichtigsten Denker_innen unserer Zeit. Ihre Theorie über das weibliche Schreiben ist eine wichtige Grundlage für meine eigene Praxis. Gerade Cixous’ Verweigerung, weibliches Schreiben zu definieren, subvertiert die patriarchale Starre von Schrift und Erzählung. Die Praxis des Queerings funktioniert mit ihren Veruneindeutungen und Unterwanderungen normativer Les- und Schreibarten ähnlich. So führt mich meine eigene Neugierde auf die Suche nach einer écriture non binaire. Wo Cixous den weiblichen Körper recht essenzialistisch denkt, ist der nichtbinäre Körper verwischbarer, er lässt sich wie die literarische Form biegen, verfremden und kann in konservativen Settings auch be fremden oder irritieren. Diese Suche nach transgressiven Formen des Schreibens ist für mich keineswegs abgeschlossen, das kann sie auch nicht sein, weil die ständige Verformbarkeit ein Kern der écriture non binaire bleiben muss.
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Hélène Cixous: „Beim Schreiben muss man dem Körper alles abverlangen“
Sie ist eine führende Denkerin der Dekonstruktion und avancierte mit ihrer Theorie der Écriture feminine zu einer der einflussreichsten Feministinnen des 20. Jahrhunderts. Im Gespräch erklärt Hélène Cixous, warum ihr Konzept des weiblichen Schreibens auch in Zeiten von #MeToo noch anschlussfähig ist

Medusas Macht
Um sich aus der patriarchalen Logik zu befreien, muss die Kraft der Frau einen Weg in die Sprache finden: Diese Einsicht ist wesentlich für das Werk von Hélène Cixous. Doch wie gelingt eine Betonung der Geschlechterdifferenz, ohne die Frau auf ein Wesen festzuschreiben? Ein Besuch in Paris bei einer Ikone der feministischen Theorie und Mitbegründerin der écriture féminine.

Was weiß mein Körper?
Die Frage irritiert. Was soll mein Körper schon wissen? Ist das Problem denn nicht gerade, dass er nichts weiß? Weder Vernunft noch Weisheit besitzt? Warum sonst gibt es Gesundheitsratgeber, Rückenschulen, Schmerztabletten, viel zu hohe Cholesterinwerte. Und wieso gibt es Fitness-Tracker, diese kleinen schwarzen Armbänder, die ihrem Träger haargenau anzeigen, wie viele Meter heute noch gelaufen, wie viele Kalorien noch verbrannt werden müssen oder wie viel Schlaf der Körper braucht. All das weiß dieser nämlich nicht von selbst – ja, er hat es bei Lichte betrachtet noch nie gewusst. Mag ja sein, dass man im 16. Jahrhundert von ganz allein ins Bett gegangen ist. Aber doch wohl nicht, weil der Körper damals noch wissend, sondern weil er von ruinöser Arbeit todmüde und es schlicht stockdunkel war, sobald die Sonne unterging. Wer also wollte bestreiten, dass der Körper selbst über kein Wissen verfügt und auch nie verfügt hat? Und es also vielmehr darum geht, möglichst viel Wissen über ihn zu sammeln, um ihn möglichst lang fit zu halten.
Hans Ulrich Gumbrecht: „Die Stimme ist weder rein dem Körper noch ausschließlich dem Geist zuzuordnen“
Die Philosophie hat sich lange vor allem auf Inhalte konzentriert. Heute kehrt ein Bewusstsein für existenzielle Räume zurück – und damit auch für die Stimme, so Hans Ulrich Gumbrecht in seinem neuen Buch. Ein Gespräch über Elvis Presley, mystische Körper und Trumps Attraktivität.

Gretel Adorno, die Hebamme der Kritischen Theorie
Erst langsam kommt Gretel Adorno die Aufmerksamkeit zu, die sie verdient. Denn die promovierte Chemikerin und Unternehmerin war die heimliche Kraft hinter ihrem Ehemann, Horkheimer sowie Benjamin und prägte die Kritische Theorie maßgeblich. Millay Hyatt erinnert an die zu Unrecht vergessene Denkerin.

„Queer“ – Eine Hommage an die Intimität
Das Verfehlen der Intimität ist großes Thema von Queer. Doch dieses vermeintliche Scheitern ist kein Fehler, sondern Ausdruck ihrer Natur, die Luca Guadagnino in seinem neuen Film als flüchtige Spannung zwischen Gegensätzen darstellt.

Fröhliche Unterwerfung – Zur sexualpolitischen Regression im Queerfeminismus
Der Queerfeminismus hat sich die Befreiung vom Patriarchat auf die Fahnen geschrieben, befeuert jedoch nur allzu oft das Gegenteil: Die Bejahung von OnlyFans, plastischer Chirurgie, BDSM und religiöser Verschleierung zeugt von einer Anbiederung ans Patriarchat, deren Wurzeln im Werk von Judith Butler liegen.

Was ist Queer Theory?
In Auf einen Blick machen wir philosophische Strömungen in einem Schaubild verständlich. Diesmal Queer Theory, die geschlechtliche und sexuelle Normen hinterfragt, um moderne Kultur und Gesellschaft besser verstehen zu können.
