Der Papst im Puffmantel ist kein Untergangsprophet
Millionenfach wurden jüngst KI-generierte Bilder von Papst Franziskus in einem modischen Mantel geteilt und mindestens genauso oft das nun endgültige Ende der Wahrheit prophezeit. Langsam, meint Jörg Scheller, Fakten sind schon immer gemacht.
Gestern ging ich am Hamburger Hauptbahnhof an einer Werbetafel vorbei. Und siehe, es erschien darauf der überlebensgroße Papst Franziskus. Auf seinem Gewand prangte ein Menetekel: „Woran kann man noch glauben?“ Natürlich trug der Papst nicht die übliche weiße Soutane, sondern einen gleichfarbigen, so modischen wie teuren Puffmantel. Schon seit letztem Wochenende kursiert das bizarre Foto in den sozialen Netzwerken und sprang bald auch auf die herkömmlichen Medien über. Manche Mediennutzer, etwa der Aktivist Stefan Anpalagan, hielten es für eine realitätsgetreue Fotografie. Andere erkannten anhand falscher Größenverhältnisse sofort, dass es sich um eine minderwertige KI-Fotomontage handelt. Wieder andere scherten sich gar nicht erst um Original oder Fälschung und nahmen das Bild schlicht zum Anlass, um möglichst originelle Kommentare abzusondern. In jedem Fall ging der Puffpapst aka Drippy Fake Pope viral wie einst der Techno Viking, eines der ersten Internet-Memes – abrupt, ungeplant, unkontrolliert, unkontrollierbar.
„Woran kann man noch glauben?“ Die im Zusammenhang mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche durchaus gewitzte Frage, die ein Medienunternehmen da auf der Werbetafel aufwarf, zeugt davon, welche Erwartungshaltung sich mit Fotografien auch im Zeitalter ihrer digitalen Transformierbarkeit noch verbindet. Man soll ihnen offenbar weiterhin „glauben können“. Dieser Anspruch wurzelt tief in Geschichte und Theorie der Analogfotografie. Der Philosoph Roland Barthes war der Auffassung, analog erstellte Fotografien seien über eine Kausalkette wie durch eine Nabelschnur mit dem Abgebildeten verbunden: Licht fällt auf Film, chemische Reaktion, Bild. Zwar können auch diese Bilder manipuliert werden. Aber die Genese beglaubigt sie. Digitale Fotografien hingegen sind keine Fotografien im eigentlichen Sinne. Der Medienwissenschaftler Claus Pias konstatiert sogar: „Das digitale Bild gibt es nicht.“ Es gibt nur analoge Aufführungen digitaler Daten, die sehr viel weitreichender manipulierbar sind als beispielsweise ein fotografisches Negativ. Gleichwohl betrachtet man diese Aufführungen oft noch wie Analogfotografien.
Photo goes Trump
Nun könnte man beklagen, dass durch vermehrt zirkulierende KI-Bilder unsere gesamte Kultur ein Wahrheits- und Glaubwürdigkeitsproblem bekäme. Wie noch mit Fotografien vor Gericht Beweise erbringen? Wie noch Fotografien im Aktivismus einsetzen, etwa, wenn man Unrecht dokumentieren und Gräuel bezeugen will? Und, wichtiger noch, wie auf Instagram die eigenen Diäterfolge glaubhaft zur Schau stellen? Auf die Photoshop-Ära folgte die KI-Ära, und damit wäre die Post-Truth-Ära total – nur noch frei flottierende Zeichen, kein Halt, keine Gewissheit, keine Wahrheit. „Photo goes Trump“. So scheint es. Doch der Schein trügt.
Der Papst im Puffmantel ist kein Untergangsprophet, sondern im Gegenteil Künder der frohen Botschaft, dass KI-generierte Bilder uns zu einem mündigeren und aufgeklärteren Umgang mit (post)fotografischen Bildern befähigen können. Der Weg dahin wird weit und voller Stolperfallen sein. Doch er wird uns die letzten Reste der quasi-religiösen Naivität austreiben, die unser Verhältnis zur visuellen Kultur immer noch prägt. Wir werden Bildern immer weniger „glauben“ und stattdessen ein kritisch-forschendes Verhältnis zu ihnen entwickeln, ja entwickeln müssen – so, wie wir auch ein kritisch-forschendes Verhältnis zur Religion entwickelt haben. Der Papst ist nicht einfach – er wird gemacht. Bilder sind nicht einfach – sie werden gemacht. Je ungewisser der ontologische Status (post)fotografischer Bilder ist, desto öfter werden wir danach fragen, wie sie erstellt wurden, wer sie erstellt hat, warum sie erstellt wurden. Man könnte von einer pragmatischen Wende sprechen: An Stelle des statischen Seins der Bilder wird deren technische und soziale Hervorbringung treten.
Digitale Trauerhilfe
Nicht mehr das Bild als „Index“ der Wirklichkeit (Barthes), sondern das Studium diverser Metadaten, mithin der Entstehungskontexte digital generierter Bilder, wird für den Umgang mit ihnen ausschlaggebend sein. Und über kurz oder lang wird sich das Wissen darum verbreiten, dass Bilder zwar Fakten zeigen können und selbst Fakten sind, dem Wort „Fakt“ jedoch das lateinische Verb „facere“, also „machen, tun“, zugrunde liegt. Aber nicht nur diesem, sondern wohl auch seinem Gegenspieler, dem Wort „Fake“ (die Etymologen sind sich da uneins). Wahr kann in jedem Fall auch etwas „Gemachtes“ sein, und für Fakes gilt, in den Worten der Indierockband Dead Man Ray: „We are all copies / But the originals are fake“.
Deshalb wird man der angeblich verlorenen „Wahrheit“ vielleicht gar nicht lange hinterhertrauern müssen. Die „Fakes“ selbst können der Trauerarbeit dienlich sein. Und damit schließt sich denn auch der Kreis zum Entstehungskontext des Drippy Fake Pope. Generiert hat es ein Arbeiter aus Illinois mit Hilfe der KI Midjourney während eines Pilztrips. Über die Beweggründe des berauschten Bildmanipulators berichtet das Portal katholisch.de: „Mit dem Erstellen von falschen Bildern habe er begonnen, als sein Bruder im vergangenen Jahr gestorben sei. Durch Fake-Bilder von ihm habe er mit seiner Trauer umgehen können.“ •
Jörg Scheller ist Professor für Kunstgeschichte an der Hochschule der Künste in Zürich. Zuletzt erschien von ihm „(Un)Check Your Privilege. Wie die Debatte um Privilegien Gerechtigkeit verhindert“ (2022).