Meine Zuversicht
Ob Hoffnungen sich erfüllen, ist mindestens unsicher, manchmal sogar unwahrscheinlich. Wie damit umgehen? Drei Menschen erzählen ihre Geschichten – kommentiert vom Philosophen Fabian Bernhardt.
Hoffen ist kein Wünschen und auch kein bloßes Wollen. Es richtet sich auf das Unverfügbare, dasjenige, was den Horizont der menschlichen Handlungsfähigkeit und Entscheidungsgewalt transzendiert. Was ich einfach tun oder entscheiden kann, darauf brauche ich nicht zu hoffen. In anderen Worten: Kein Hoffen kommt aus ohne einen zumindest minimalen Bezug auf eine Form der Transzendenz. Dieser Grundgedanke steht im Zentrum des Denkens von Gabriel Marcel, der von 1889 bis 1973 gelebt hat. Nur wenigen sagt der Name dieses französischen Philosophen heute noch etwas – dabei kann Marcel nicht nur als Wegbereiter des Existenzialismus in Frankreich gelten, sondern auch als derjenige Denker, der wie kein anderer die Hoffnung ins Zentrum seiner Philosophie gestellt hat. Transzendenz – das bedeutet für Marcel nicht nur ein Hinausgreifen über das gegenwärtig Gegebene und eine radikale Offenheit gegenüber der Zukunft, sondern zugleich eine Bewegung, die den Einzelnen aus den Grenzen seines Ichs hinausführt. Wer nur für sich lebt, solipsistisch und abgetrennt, braucht im Grunde auch nicht zu hoffen. Gegen die Neigung, Hoffnung auf die existenzielle Befindlichkeit des einzelnen Subjekts zu reduzieren, betont Marcel ihr verbindendes Moment: „Der Wunsch ist definitionsgemäß egozentrisch auf den Besitz ausgerichtet. Der andere wird dann lediglich im Hinblick auf mich betrachtet, (…) im Hinblick auf die Dienste, die er mir erweisen kann. Die Hoffnung dagegen ist nicht egozentrisch: hoffen (…) heißt immer: für uns hoffen.“
Unverkennbar ist dieser Gedanke – wie Marcels gesamte Philosophie – stark christlich beeinflusst. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Marcel über die negativen Dimensionen der Wirklichkeit hinwegtäuscht. Im Gegenteil: Vielmehr geht er davon aus, dass eine Hoffnung, die diesen Namen verdient, nicht umhinkommt, sich am Prüfstein absoluter Verzweiflung zu messen. Beide bedingen einander. Als Beleg führt er Nietzsche an, den großen Denker der Negativität, für den die Verzweiflung schließlich „das Sprungbrett zur höchsten Bejahung“ wurde. Bei dieser „aufsteigenden Dialektik der Hoffnung“ handelt es sich jedoch um keinen Automatismus. Um im Bild zu bleiben: Man kann das Sprungbrett auch verfehlen. Wer blind auf die Hoffnung setzt, läuft stets Gefahr, böse auf die Nase zu fallen. Eitel wird die Hoffnung dann, wenn sie Menschen davon abhält, selbst aktiv zu werden und handelnd auf das Erhoffte hinzuwirken. Das ist jedoch kein Argument gegen die Transzendenz, sondern vielmehr deren Bestätigung. „Metaphysisch gesprochen“, so Gabriel Marcel, „ist die einzig echte Hoffnung die, die auf das abzielt, was nicht von uns abhängt, die, deren Triebfeder die Demut, nicht der Hochmut ist.“ Etwas von dieser Demut findet sich auch in den drei folgenden Erfahrungsberichten wieder. Sie zeigen zugleich, wie unterschiedlich sich der Bezug auf das Transzendente – das, was nicht von uns abhängt – in der gesellschaftlichen Realität der Gegenwart ausnimmt.
– Fabian Bernhardt

Lara Eckstein, (30) ist Klimaaktivistin: „Die Hoffnung aufzugeben, können sich nur Privilegierte leisten“
„Ich bin Klimaaktivistin und engagiere mich mit Ende Gelände für den sofortigen Kohleausstieg und einen allgemeinen Systemwandel. Wir setzen vor allem auf zivilen Ungehorsam: Ich bin immer wieder in Kohlegruben gelaufen oder habe Bagger blockiert. Wenn Demonstrationen nicht reichen, gehen wir einen Schritt weiter, um den Druck zu erhöhen. Außerdem ist das Engagement ein Akt der Selbstermächtigung in einem weltumspannenden Konflikt: Wenn wir uns zusammenschließen, können wir konkret etwas erreichen, etwa einen Braunkohlebagger zum Stillstand bringen. Mich treibt die Hoffnung an, dass wir die Welt ein bisschen besser machen können. Aktuell kämpfe ich in Berlin gegen den Weiterbau der A 100. Natürlich reicht ein Autobahn-Baustopp allein nicht aus, um die Klimakrise zu stoppen. Aber auch in vielen kleinen Schritten können wir Veränderung erreichen. Dass es noch in meiner Zeit einen Systemwandel gibt, darauf deutet gerade nichts hin. Aber die Hoffnung aufgeben – das können sich nur Menschen in einer privilegierten Lage leisten. Junge Menschen oder Menschen in anderen Teilen der Welt, die schon jetzt aufgrund der Klimakrise ums Überleben kämpfen, können gar nicht so denken. Auch aus Solidarität gibt es gar keine andere Möglichkeit, als weiter zu hoffen. Die Menschen, die Veränderungen erkämpft haben, haben das oft erst im Nachhinein verstanden. Ob wir gerade schon mitten in einem revolutionären Prozess stecken, können wir erst rückblickend wissen. Wie schade wäre es, jetzt aufzugeben, obwohl wir vielleicht kurz davor sind, etwas zu erreichen!“
Kommentar Fabian Bernhardt: Unbedingtes Festhalten
In seinem Buch „Learning to Die in the Anthropocene“ entwirft Roy Scranton ein düsteres Bild der planetaren Zukunft. Der totale Klimakollaps scheint unabwendbar, die letzten Tage der Menschheit vermeintlich gezählt. Vor diesem Hintergrund könnte man leicht in Defätismus versinken: Geht es im Grunde nicht nur noch darum, das menschliche Aussterben zu organisieren? Der Resignation setzt Lara Eckstein eine Haltung entgegen, in der politisches Handeln im Hier und Jetzt und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft Hand in Hand gehen. Illusionslos plädiert sie dafür, die Hoffnung nicht aufzugeben. Es gibt, wie Gabriel Marcel bemerkt hat, eine dialektische Beziehung zwischen Hoffnung und Verzweiflung: „Die Struktur der Welt, in der wir leben, gestattet eine absolute Verzweiflung und scheint sie in gewisser Weise sogar zu befürworten; aber nur in einer derartigen Welt kann eine unbesiegbare Hoffnung entstehen.“ Alternativlos, so Lara Eckstein, ist nicht die aktuelle Politik, sondern das unbedingte Festhalten an der Hoffnung.

Maria Kreuzer (28) ist Architekturstudentin und schwanger: „Ich vertraue einfach darauf, dass alles gut gehen wird“
„Ich bin seit Dezember schwanger und natürlich lasse ich alle Standarduntersuchungen durchführen und bereite mich auch sonst auf die Geburt vor. Nur das Angebot eines DNA-Bluttests oder einer Fruchtwasseruntersuchung habe ich abgelehnt. Mit diesen Untersuchungen lässt sich die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Krankheiten und Behinderungen feststellen, unter anderem für das Down-Syndrom. Meine Entscheidung hat zum einen damit zu tun, dass ich in keiner Risikogruppe bin. Auch die Erfahrungen in meiner Familie geben keinen Anlass zur Sorge: Meine jüngere Schwester hat bereits zwei Kinder und meine Großmutter hat zehn Kinder gesund zur Welt gebracht. Ich bin also, wie man so sagt, ,guter Hoffnung‘ und vertraue darauf, dass alles gut gehen wird. Zum anderen möchte ich aber auch vermeiden, in eine Situation zu kommen, in der ich mich für oder gegen das Kind entscheiden müsste. Ich denke zwar, dass ich es ohnehin behalten würde, aber es würde mich wahrscheinlich überfordern, vor die Entscheidung gestellt zu werden. Mein Freund war allerdings enttäuscht darüber, dass ich meine Ablehnung der Untersuchung nicht mit ihm abgestimmt habe. Für mich beginnt bald ein neuer Lebensabschnitt: Ich beende mein Architekturstudium in Berlin, bekomme mein Kind und ziehe mit meinem Freund zurück in mein Heimatdorf in Bayern. Meine Eltern haben einen Bauernhof, dort wollen wir zusammen leben. Diesen Umzug habe ich mir sehr lange gewünscht. Ich freue mich darauf, bin aber auch besorgt, dass die Wirklichkeit am Ende hinter meinen Vorstellungen zurückbleibt.“
Kommentar Fabian Bernhardt: Bewusstes Vertrauen
Im Zentrum des Berichts von Maria Kreuzer steht eine Entscheidung zur Nichtentscheidung. Wie Judith Butler in ihrer Schrift Gefährdetes Leben feststellt, neigt die Moralphilosophie dazu zu übersehen, unter welchen sozialen und politischen Bedingungen bestimmte Fragen überhaupt zum Gegenstand der Entscheidungsfindung werden. Die moderne Technologie ist Teil dieser Bedingungen. Der Pränataldiagnostik stehen Mittel zur Verfügung, die Menschen in die Lage bringen, Entscheidungen zu treffen, die sie vielleicht überhaupt nicht treffen wollen. Nicht nur das embryonale Leben ist prekär, sondern auch die Grundlage, auf der man über dessen Zukunft entscheidet. Maria Kreuzer hat sich bewusst dagegen entschieden, diese Entscheidung eventuell treffen zu müssen. Nicht blind, sondern basierend auf einer Reihe von nachvollziehbaren Gründen. Letzten Endes, so darf man vermuten, war es jedoch die Hoffnung selbst, die ihr die Kraft gegeben hat, darauf zu vertrauen, dass am Ende „alles gut gehen wird“.

Klaus Förg (54) war Getränkehändler: „Wer sein Lebenswerk zerbrechen sieht, verliert jegliche Hoffnung“
„1997 übernahm ich den Getränkemarkt meines Vaters, den er 1966 gründete. Fast 25 Jahre lief das Geschäft sehr gut, bis die Pandemie kam, die Regierung mich im Stich ließ und ich Insolvenz anmelden musste. Vor der Pandemie haben meine 17 Mitarbeiter und ich in guten Wochen von Freitag bis Sonntag bis zu 45 Feste mit unserem Partyservice unterstützt und im Jahr rund eine Million Euro Umsatz gemacht. Nirgends auf der Welt habe ich mich so wohlgefühlt wie in meinem Laden. Und auch für den Ort war ,der Förg‘ im Alltag eine wichtige Anlaufstelle. 2004 integrierte ich zusätzlich einen Post-Shop, nachdem die letzte Filiale im Ort dichtgemacht hatte. Auch war der Imbiss im Geschäft ,the place to be‘, wenn es um das Feierabendbier ging. Doch durch die Pandemie brach der Umsatz um 60 Prozent ein.
Keine Feste mehr, keine Sportveranstaltungen und immer weniger Leute, die sich ihr Mittagessen abholten. Und die Regierung lässt uns so hängen. Leute wie ich stehen vor dem Nichts und Orte verlieren wichtige Infrastruktur. Hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen, wenn einem der Boden, auf dem man sein ganzes Leben stand, so unter den Füßen weggezogen wird – das ist schwer. Wer sein Lebenswerk so vor sich zerbrechen sieht, verliert jegliche Hoffnung. Ich bin jetzt 54 Jahre alt und muss ganz neu anfangen. Wohin es gehen wird, weiß ich im Moment beim besten Willen nicht.“
Kommentar Fabian Bernhardt: Negativität aushalten
Aus den Zeilen von Klaus Förg klingt deutlich der Stolz heraus, mit dem er seinen Getränkemarkt geführt hat. Eine Million Umsatz, gewiss, doch es ist vor allem das soziale Element, das er heraushebt: Der Getränkemarkt war ein Treffpunkt, eine Anlaufstelle, ein Ort, an dem Menschen zusammenkamen, und der zu den Menschen kam, wenn es darum ging, etwas zu feiern. Umso bitterer das Schicksal, das sein Geschäft infolge der Pandemie ereilt hat. Anstelle des Stolzes sind Enttäuschung, Resignation und eine bange Sorge angesichts der ungewissen Zukunft getreten. Doch liegt in jedem Neubeginn nicht auch immer eine Hoffnung, die, wie Hannah Arendt in der „Vita activa“ betonte, von der menschlichen Handlungsfähigkeit nicht zu trennen ist? Möglich, dass Arendt recht hatte. Ich bezweifle jedoch, dass Klaus Förg damit geholfen ist, das positive Potenzial des Anfangs zu beschwören. Manchmal muss man die Negativität auch einfach aushalten und als solche stehen lassen. Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. •
Fabian Bernhardt ist promovierter Philosoph. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich Affective Societies an der Freien Universität Berlin. Soeben erschien sein Buch „Rache. Über einen blinden Fleck der Moderne“ bei Matthes & Seitz.
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Kein Zweifel: Unfreiheit engt ein. Gleichzeitig aber kann sie uns tief beruhigen und auch entlasten. Schließlich sind Änderungen anstrengend und gehen mit Verantwortung einher. Brauchen wir also nur mehr Mut? Darüber streiten auf diesen Seiten Ayn Rand und Max Horkheimer. Anschließend erzählen fünf Menschen von ihren Lebensträumen – kommentiert von Robert Pfaller
Gibt es einen guten Tod?
Es ist stockdunkel und absolut still. Ich liege auf dem Rücken, meine gefalteten Hände ruhen auf meinem Bauch. Wie zum Beweis, dass ich noch lebe, bewege ich den kleinen Finger, hebe ein Knie, zwinkere mit den Augen. Und doch werde ich, daran besteht nicht der geringste Zweifel, eines Tages sterben und wahrscheinlich genauso, wie ich jetzt daliege, in einem Sarg ruhen … So oder so ähnlich war das damals, als ich ungefähr zehn Jahre alt war und mir vor dem Einschlafen mit einem Kribbeln in der Magengegend vorzustellen versuchte, tot zu sein. Heute, drei Jahrzehnte später, ist der Gedanke an das Ende für mich weitaus dringlicher. Ich bin 40 Jahre alt, ungefähr die Hälfte meines Lebens ist vorbei. In diesem Jahr starben zwei Menschen aus meinem nahen Umfeld, die kaum älter waren als ich. Wie aber soll ich mit dem Faktum der Endlichkeit umgehen? Wie existieren, wenn alles auf den Tod hinausläuft und wir nicht wissen können, wann er uns ereilt? Ist eine Versöhnung mit dem unausweichlichen Ende überhaupt möglich – und wenn ja, auf welche Weise?
