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Bild: picture alliance / REUTERS | Handout .

Impuls

Wenn Katastrophen Politik machen

Jörg Scheller veröffentlicht am 24 Juni 2022 4 min

Seit gestern sind die Ukraine und die Republik Moldau Beitrittskandidaten der EU. Dabei erfüllen andere Länder wie Nordmazedonien die Kriterien seit Jahren und werden trotzdem hingehalten. Das könnte sie für Putins Propaganda empfänglich machen, meint Jörg Scheller.

 

Unter osteuropäischen Aspiranten auf einen EU-Beitritt, darunter Nordmazedonien und Albanien, macht sich Unmut breit. Warum werden die Ukraine und die Republik Moldau bevorzugt behandelt? Die Ukraine reichte ihr Gesuch für eine Beitrittskandidatur am 28. Februar 2022 ein. Gestern wurde es angenommen. Die Moldau bewarb sich am 2. März 2022. Auch dieser Antrag wurde gestern angenommen. Grund ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, nicht veränderter Reformstatus. Länder wie Nordmazedonien hingegen bemühen sich seit langem redlich, die Aufnahmebedingungen zu erfüllen und haben entsprechende Reformen durchgeführt. Nordmazedonien hat schon 2014 sein Gesuch vorgelegt. Gleichwohl sitzt das Land immer noch auf der Wartebank. In der Presse wird der Staat als „Musterschüler“ der EU-Beitrittskandidaten bezeichnet. Doch erst jetzt sollen die Verhandlungen, ebenfalls unter dem Schock der Russlandkrise, beginnen. Albanien reichte sein Gesuch 2009 ein. Erst 2014 wurde der Status des Beitrittskandidaten bewilligt.

Befürworter eines schnellen EU-Beitritts der Ukraine und der Republik Moldau argumentieren, man solle nicht kleinlich sein. Besondere Umstände erforderten besondere Maßnahmen. Das ist zwar richtig. Diese Beitritte sind geostrategisch schlüssig. Nur wären das auch Beitritte auf dem Balkan. Zwar sind EU-Beitritte immer eine Gradwanderung und unterschiedliche Formen der Mitgliedschaft, wie Emmanuel Macron sie vorgeschlagen hat, wären wünschenswert. Verprellt man aber die südosteuropäischen Aspiranten, riskiert man, dass sie für Putins Propaganda empfänglich werden und sich gen Ost orientieren. Vor allem aber erscheint die EU in ihrem – weitestgehend symbolpolitischen – Aktionismus als kurzatmige Getriebene. Sie agiert nicht. Sie reagiert. Sie wirkt nicht wie eine geschickte und souveräne Spielerin, sondern wie ein Spielball der Verhältnisse, die andere, namentlich der Kreml, mit roher Gewalt schaffen. Für die aktuelle Beitrittspolitik scheint mit Heraklit zu gelten: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller.“ Man könnte die plötzliche Wende auch mit dem deutschen Atomausstieg unter Merkel vergleichen: In Japan explodiert ein Kernkraftwerk, Deutschland sagt sich überhastet von der Nuklearenergie los. Die Katastrophe macht Politik. Nun überfällt Russland die Ukraine und plötzlich erwacht die EU aus posthistorischem Schlummer und wedelt mit den Beitrittsfahnen. „Nicht der Krieg, sondern der Friede ist der Ernstfall, in dem wir uns alle zu bewähren haben“, schrieb Gustav Heinemann. Diese Bewährungsprobe ist gescheitert.

 

Souverän ist, wer…

 

Unfreiwillig bestätigte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf Twitter, dass Russland den Takt angibt und die EU danach tanzt: „Auch auf dem #Westbalkan müssen wir endlich nächste Schritte gehen – sonst geht Russland sie nämlich.“ Der Krieg wurde in Moskau von langer Hand vorbereitet. Auch wenn sich manche einen irren Herrscher im Kreml vorstellen, verfolgt Putin seit Jahren eine klare, klassische Großmachtstrategie. Diese konnte erkennen, wer sie erkennen wollte. Und sie wurde auch von einigen erkannt: von Grünen-Politikern wie Baerbock, Ralf Fücks oder Marieluise Beck. Von den US-amerikanischen Präsidenten der letzten Jahrzehnte, George W. Bush, Barack Obama, Donald J. Trump, Joe Biden. Von vielen mittelosteuropäischen Intellektuellen und Politikern aus allen möglichen Parteien und weltanschaulichen Lagern. Dass diese Stimmen gerade im wirtschaftlich mächtigsten EU-Mitglied Deutschland nicht ernst genommen wurden, zeugt von der alten westlichen Arroganz gegenüber kleineren osteuropäischen Staaten, die schon oft im Zangengriff zwischen Westeuropa und Russland gequält wurden. Geopolitisch brisante Projekte wie Nord Stream 2 hatte Deutschland gegen die realistischen Einwände unter anderem Polens durchgedrückt, während deutsche Regierungsmitglieder salbungsvoll vom „Haus Europa“ sprachen.

Eine EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine ist vor diesem Hintergrund zwar schön und gut. Die ukrainische Bevölkerung begrüßt sie größtenteils. Und sie kann durchaus ein Anreiz sein, die grassierende Korruption im Lande beherzter zu bekämpfen. Aber genau diesen Anreiz hätte die Beitrittsperspektive auch vor dem Krieg geboten. Somit sendet die EU das Signal: Im Normalzustand halten wir euch hin. Im Ausnahmezustand indes kommen wir euch entgegen. Der NS-Jurist Carl Schmitt, der die Formel „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ geprägt hat, frohlockt im Grabe. „Vernünftig ist, wer den Ausnahmezustand vermeidet“, heißt es wiederum beim Philosophen Odo Marquard. Das ist nicht geglückt. Gerade Deutschland und Frankreich haben jahrelang zugesehen, wie das autoritäre Regime in Russland wuchs, haben nur halbherzig sanktioniert, haben dem Kreml nach der Annexion der Krim sogar weiter Dual-Use-Güter und Waffen verkauft. Nun, da das Haus Europa brennt und die imperialistische Macht mit Rückendeckung durch China in Richtung Westen vorrückt, schickt man der Ukraine nicht sofort alle verfügbaren Feuerwehrfahrzeuge, sondern zögert und bietet ihr stattdessen an, dass das, was nach dem Brand noch stehen wird, dem EU-Club beitreten darf. Der Journalist Markus Feldenkirchen schrieb überzeugend: „Nur Länder, die nicht von Russland überrollt und besetzt wurden, können der EU beitreten oder mit westlicher Hilfe wieder aufgebaut werden. Insofern sind Waffenlieferungen die einzige Voraussetzung dafür, dass all die Zukunftsversprechen irgendwann Wirklichkeit werden können.“

Bis die Ukraine und die Moldau überdies die strengen Kopenhagener Kriterien für den EU-Beitritt erfüllen, wird es noch sehr lange dauern. Viele Jahre, eher noch Jahrzehnte. Bis dahin werden signifikante Teile der Ukraine von Russland annektiert worden sein, darunter industrie- und ressourcenreiche Regionen. Sollte die Ukraine dereinst tatsächlich der EU beitreten, wird sie wohl nicht mehr die Ukraine sein. Nicht nur, aber auch weil westeuropäische Staaten sie nicht ausreichend unterstützten und stattdessen mit futurologischer Symbolpolitik Abbitte leisteten. Und was wohl der Republik Moldau bevorsteht? •

 

Jörg Scheller ist Professor für Kunstgeschichte an der Hochschule der Künste in Zürich. Zuletzt erschien von ihm „Identität im Zwielicht“ (Claudius Verlag, 2021).

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