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Bild: Gwen King (Unsplash)

Urbane Sehnsuchtsorte

Die Lust am Überschuss

Julia Werthmann veröffentlicht am 12 März 2021 4 min

Ob Clubs, Cafés oder Stadien. Durch die Pandemie sind eine Vielzahl (halb-)öffentlicher Räume geschlossen oder in ihrer Existenz bedroht. Grund genug, sie in einer Serie philosophisch zu würdigen. In Folge 4: Theater, Orte eines Kollektivrituals.

 

Es ist die Mischung aus staubigem Samt, schwerem Parfum und erkaltetem Kunstnebel, die dem Theater sein unverwechselbares Odeur gibt. Bereits beim Betreten des Wartesaals schlägt es der aufgeregten Besucherin entgegen und leitet sinnlich die Reise der kommenden Stunden ein. Doch leider nicht in diesen Tagen. Trotz des geringen Infektionsrisikos und der ausgezeichneten Hygienekonzepte bleibt der Sehnsuchtsort Theater vorerst geschlossen. Die Öffnungsdebatte um Kulturstätten berührt eine zentrale Frage des gesellschaftlichen Selbstverständnisses: Ist Kultur geistiges Grundnahrungsmittel oder doch lediglich ein Luxusgut? Wer verstehen will, was den Theatergängern als unverzichtbar gilt, muss das Wesen des Erlebnisses Theater verstehen.

Das Theater ist historisch und formal ein Ritual. So richteten sich antike Aufführungen noch nach Götter- und Feiertagen. Durch seine klare und wiederholbare Form mit festgelegten Abläufen und Rollenzuweisungen hebt sich das Ritual vom Alltagsgeschehen ab. Diese Abgrenzung entsteht zunächst durch einen zeitlichen Rahmen. Klassischerweise erfüllt diese Aufgabe im Theater der gravitätische Samtvorhang. Im zeitgenössischen Theater weicht dieser jedoch der subtileren, aber nicht minder bedeutsamen Lichttechnik: Wenn das Licht erlischt, breitet sich erwartungsvolle Stille aus. Jedem ist klar: Jetzt fängt es an.

 

Vom Samtsessel in den Abgrund blicken

 

Am anderen Ende des Stücks ist es die plötzliche Helligkeit, die das Ende der traumhaften Stunden ankündigt und das Kommando zum Applaus gibt. Genau genommen beginnt das Ritual jedoch schon vorher: Wenn die Schauspielerin sich die Krone aufsetzt und der Zuschauer sich in Abendgarderobe wirft, stellen sich beide auf ihre Begegnung ein. Mit Kostüm und Schminke vollziehen ihre Körper den Übergang in die soziale Situation des Rituals auf sinnlich-materielle Weise. Sowohl gegenüber dem alltäglichen Ich als auch gegenüber den Anderen da draußen wird eine Grenze gezogen. Was nach außen Abgrenzung schafft, vereint im Inneren: Die Anwesenden verschmelzen im Theatersaal räumlich, zeitlich und sinnlichen zu einer Ritualgemeinschaft.

Wie von selbst entsteht ein gemeinsames Erleben der Zuschauer: Mit empörtem Schnauben, erschrockener Stille oder erheitertem Schmunzeln reagieren sie auf das Schauspiel. Ensemble und Publikum vollführen einen Paartanz: mal eng umschlugen, mal kämpferisch. Dieses Zusammenspiel übersteigt die Summe der Einzelhandlungen: Es entsteht ein „Ereignis“ im Sinne des Philosophen Alain Badiou. Solch ein Ereignis lässt sich als unverfügbare Komplexität bezeichnen, die in die Alltagserfahrung der Beteiligten einbricht und sie in Frage stellt. „Es zeigt uns an, dass eine Möglichkeit existiert, von der man nichts wusste“, schreibt Badiou in Die Philosophie und das Ereignis. Das Ereignis lässt geschehen, was unvorstellbar galt. Nie erahnte Gefühlsintensitäten werden erlebbar gemacht, utopische Gesellschaftsentwürfe entstehen. Doch nicht ohne Grund sitzen die Zuschauer dabei in bequemen Sesseln. Sie sollen die nicht immer bequemen Erfahrungen abfedern. Denn nicht selten sind es menschliche Abgründe, dem das Publikum in den Schlund schaut.

 

Unentrinnbare Zudringlichkeit

 

Nicht jedes Stück tritt an, um zu gefallen. Manche wollen den Besucher aufkratzen, zuweilen gar quälen. Zwar kann man versuchen, das Ereignis auf eine Moral der Geschicht‘ zuzuspitzen: der Kapitalismus degradiert das Individuum zur Ware oder jeder Sünder zahlt irgendwann seine Strafe. Doch stets bleibt ein uneinholbarer Sinnüberschuss bestehen, der sich dem Alltagsverstand widersetzt. Dieser bleibende Rest an Unverständnis ist es, der fasziniert: Wenn man, verwirrt und erschöpft, in die Scheinwerfer blinzelt und der Applaus die Ohren betäubt. Wenn man wieder vereinzelt auf die Straße stolpert, ausgespuckt aus einer dystopisch-utopischen Ritualreise. Nach Badiou geht es darum, „[d]iese neue Möglichkeit, dieses Unmögliche […] zu ergreifen oder davon ergriffen zu werden“. Im besten Fall ergreifen sich Frage und Zuschauer gegenseitig. Dann drängt sich ganz leise eine weitere Verwunderung auf: Das hier draußen oder das da drinnen – was ist das Theaterstück?

Das Faszinosum Theater entfaltet sich demnach gerade im Zusammenspiel seiner rigiden Form und seines diffusen Inhalts. Oder vielmehr: Innerhalb der sicheren Grenzen des wiederholbaren Rahmens eröffnet sich die Möglichkeit für eine einzigartige, dem Alltag enthobene Erfahrung. Die derzeitigen Streaming-Angeboten der Theater – seien sie live oder aus dem Archiv – bieten einen trostlosen Ersatz. Ihnen fehlt die unmittelbare, unentrinnbare Zudringlichkeit des Theaters: Sich gemeinsam hier und jetzt mit allen Sinnen darauf einzulassen, sich überfordern zu lassen. Den Bildschirm zuzuklappen hingegen ist eine Leichtigkeit. Dabei wären gerade diese herausstechenden Rituale in der Lage, den derzeitig monotonen Fluss totaler Alltäglichkeit zu durchbrechen. Ist Theater nun eine kulturelle Notwendigkeit oder ein buchstäblich spielerisches Luxusgut? Manchmal ist gerade das Ausgefallene ein Grundbedürfnis. •

 

Lesen Sie hier die bisher erschienenen Texte der Serie Urbane Sehnsuchtsorte

Folge 1: Cafés, Folge 2: Clubs, Folge 3: Stadien

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