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Bild: Mitch Rosen (Unsplash)

Urbane Sehnsuchtsorte

Version einer anderen Welt

Gerald Fricke veröffentlicht am 10 März 2021 4 min

Ob Clubs, Cafés oder Theater. Durch die Pandemie sind viele (halb-)öffentliche Räume geschlossen oder in ihrer Existenz bedroht. Grund genug, sie in einer Serie philosophisch zu würdigen. In Folge 3: Stadien, Orte motivierender Gedankenübertragung.

 

Das Stadion als Sehnsuchtsort gibt es schon eine Weile nicht mehr, diesen Schmerz spürten die Stehplatz-Veteranen schon lange vor dem Lockdown. Oder doch? Am vergangenen Sonntag zirkelte Felix Kroos im Eintracht-Stadion zu Braunschweig – übrigens noch ein „richtiges“ Fußball-Stadion mit Tartanbahn, keine „Arena“ – in der Nachspielzeit einen Freistoß aus 20 Metern in den Winkel des gegnerischen Sandhausener Tores. Ein unmöglicher Siegtreffer im Abstiegskampf der 2. Bundesliga, der eigentlich nur möglich gewesen wäre, wenn ein ganzes Stadion diesen Schicksalsball gemeinsam verwandelt hätte und anschließend als „Ritual von Intensität“ (Hans Ulrich Gumbrecht) kollektiv explodiert wäre.

Denn genau das vermag ein Stadion, vom Autor in über drei Jahrzehnten teilnehmender Beobachtung überprüft, von der Bundes- bis zur Regionalliga: In hoffnungsloser Lage ein Fußballspiel zu drehen, sei es durch den berühmten Götterfunken, der auf den Platz zur eigenen Mannschaft „überspringt“, motivierende Gedankenübertragung („der kann nichts!“) oder einfach nur durch den entmenschten „Roar“ einer ganzen Kurve in genau der richtigen Weltsekunde. Ein Stadion schweißt die Menschen zusammen und schießt – tatsächlich – Tore. Der Stadionbesuch ist eben kein nachempfundenes Vergnügen, es bildet einen Kontext, in dem Zuschauen zum Tun wird. Oder, um es mit dem großen Fußballphilosophen Nick Hornby (Fever Pitch) zu sagen: „Die Freude, die wir bei derartigen Anlässen empfinden, ist nicht ein Feiern des Glücks anderer, sondern ein Feiern unseres eigenen; und bei einer katastrophalen Niederlage ist das uns verschlingende Leid in Wirklichkeit Selbstmitleid.“

 

Sozialdemokratische Wurstkessel

 

Was fehlt ist das Gefühl, im Stadion mit zigtausenden Gläubigen, Bescheidwissern, Unsympathen und Ungeduschten Gottesdienst zu feiern, den überforderten Schiri anzuschreien („hat schon Gelb!“), mit Haupttribüne, Gegengerade und Südkurve zu einer amorphen Masse zu verschmelzen und in der 92. Minute das erlösende Siegtor der Heimmannschaft reinzubrüllen, anschließend mit dutzenden Bierbechern geduscht zu werden und den Gegner hämisch zu „verabschieden“. Danach will der Autor heiser sein, das Fahrrad nicht mehr finden, zu Fuß nach Hause strunkeln, vorbei an hupenden Autos und unbekannten Menschen, die ihn anschmachten wie einen, der dieses Wunder gerade leibhaftig miterlebt und ermöglicht hat.

Das Stadion als Sehnsuchtsort der Kindheit und Jugend ist indes schon seit der Totalrenovierung des Fußballs zum weltweiten Unterhaltungsprodukt seit den frühen Neunziger Jahren verloren gegangen. Eigentlich. Die Stadien hatten einst den spröden Charme „großer, lichter sozialdemokratischer Wurstkessel und Palaverstätten“, wie der Schriftsteller Jürgen Roth schreibt. „Heute sind das wichtigtuerisch und rücksichtslos in die Gegend geklotzte Eventbunker (…)“. Was kommt nach der Pandemie? Ein Zurück zur Normalität des guten alten „analogen“ Fußballs wird es jedenfalls nicht sein. Nach Theodor W. Adorno gibt die „Unwirklichkeit“ der Spiele kund, dass das Wirkliche noch nicht ist. „Sie sind bewusstlose Übungen zum richtigen Leben“ (Minima Moralia). Unsere halbe Kinderzeit, so viel ist sicher, verbrachten wir auf dem Bolzplatz. Wir lernten die Spielregeln der Welt durch „Drei Ecken, ein Elfer“ oder „Letzter Mann hält“ kennen. Was das Wort Ellenbogengesellschaft in den 1980er Jahren wirklich bedeutete, erkannten wir zum Beispiel schmerzhaft am Ritual der Mannschaftswahlen.

 

Elektronisierte Gehirne

 

Was meint, in Abgrenzung dazu, Fußball digital? Mehr als nur das Verschwinden des Straßenfußballs. Unser Blick auf die Welt ändert sich, vom „perspektivischen zum gerasterten Raum“, wie der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit 2004 in Tor zur Welt feststellte. Nicht nur technische Geräte, auch unsere Körper und Gehirne elektronisieren sich. An die Stelle der alten Raum- und Zeitordnungskategorien tritt ein Denken in parallelen Bildwelten und Formeln, vermittelt etwa über Computerspiele. Im heutigen Verschiebungsspiel wäre eine ruhende Konstante wie Günter Netzer ein „Störfaktor“, der den „energetischen Fluss des Balls aufhält, indem er Napoleon spielt“, so Theweleit. Das Lesen und Berechnen des nächsten und übernächsten Spielzuges sind die Qualitäten des digitalen Fußballs.

Dieser Fußball, den Theweleit beschreibt, ist seit den frühen 2000er Jahren von den Spiele-Konsolen auf den Platz zurückgekehrt. Die Kinder der Neunziger Jahre sind 2014 in Rio de Janeiro Fußball-Weltmeister geworden. Also die erste Generation von Profi-Fußballern, die Netzer nur noch als ehemaligen TV-Kommentator gekannt haben, und die sich tatsächlich selber auf der Playstation gespielt haben. Der Gegensatz von analog und digital, von real und virtuell löst sich auf, der Fußball wird zum „Dritten Ort“ im Social Web, auch.

Aber irgendwie geht es ja immer weiter. Die Preise für die TV-Übertragungsrechte der Bundesliga sinken, die ungezügelte Vermarktung des Fußballs ist zumindest aufgehalten, die Boykott-Bewegung gegen die Menschenschinder-WM in Katar nimmt an Fahrt auf. Fußball bleibt eine andere Version der Welt. Und das Stadion der Sehnsuchtsort, frei nach Ernst Bloch, den niemand je besaß und den jeder noch einmal zu betreten hofft. •

 

Gerald Fricke, Fan von Eintracht Braunschweig, ist Politikwissenschaftler und Kommunikationsberater und hat mehrere Wörterbücher über komische Jahrzehnte geschrieben, u. a. „Petting statt Pershing“ (Reclam, 1998).

 

Lesen Sie hier die bisher erschienenen Texte der Serie Urbane Sehnsuchtsorte
Folge 1: Cafés, Folge 2: Clubs

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