Feminismus mit Foucault
Die Frauenfrage kommt in Michel Foucaults Werk so gut wie nicht vor; mit der zweiten Frauenbewegung beschäftigte er sich wenig. Und doch ist der Denker zu einem der wichtigsten Autoren für die feministische Theorie der letzten Jahrzehnte geworden.
Foucault einen Feministen zu nennen, wäre übertrieben. Keine seiner ausführlichen Machtanalysen nimmt sich in besonderer Weise die männliche Herrschaft vor und das foucaultsche Selbst, das um sich Sorge tragen muss, ist ebenso wie das Subjekt, das er abschafft, ein solide männliches. In seinem politischen Aktivismus solidarisiert er sich sporadisch mit feministischen Anliegen, etwa wenn er im Rahmen seines Engagements für die „Gruppe zur Information über die Gesundheit“ 1973 eine Broschüre mit dem Titel Ja, wir treiben ab mitverfasst. In Interviews erwähnt er gelegentlich die Frauenbewegung als eine legitime aktuelle Widerstandsform, deren Beziehungen zu den Techniken der Macht von Interesse wären, aber besonders interessiert scheint er selbst daran nicht zu sein. Und auch sein Verständnis für spezifisch weibliche Belange kann manchmal etwas wacklig wirken: Es gibt eine berühmte und viel kritisierte Debatte über Vergewaltigung im Jahr 1977, in der er – immerhin wohltuend tentativ – vorschlägt, diese zu entsexualisieren und einen körperlichen Angriff mit dem Penis nicht anders zu behandeln als einen Faustschlag ins Gesicht.
Viele frühe feministische Reaktionen auf Foucault sind entsprechend verhalten. Bemängelt wird die Tatsache, dass seine kritische Analyse der Sexualität und der Körperdisziplinierung die Geschlechterdifferenz nicht explizit ins Auge fasst; daneben wird der auch von anderen Kritikern geäußerte Einwand vorgebracht, mit einem derart generalisierten und entpersonalisierten Machtbegriff würde politischer Widerstand verunmöglicht. Foucaults theoretischer Ansatz beraube auch die Frauenbewegung eines handlungsfähigen politischen Subjekts. Auf der anderen Seite wird Foucault aber schon früh von feministischen Theoretikerinnen aufgegriffen, die seinen Machtbegriff produktiv finden, gerade um die gesellschaftliche Konstellation zwischen Männern und Frauen zu beschreiben, wo die Unterdrückung nicht einem konkreten Machthaber zugerechnet werden kann. Und wo die Unterdrückten – also die Frauen – mehr als im üblichen Maß an ihrer eigenen Unterdrückung beteiligt sind, wie bereits Simone de Beauvoir in Das andere Geschlecht schreibt: „Tatsache ist, dass die Männer bei ihren Gefährtinnen auf mehr heimliches Einvernehmen stoßen als die Unterdrücker gewöhnlich bei den Unterdrückten.“ Auch Foucaults Kritik an der von der 68ern idealisierten sexuellen Befreiung entsprach der ernüchterten feministischen Einsicht von damals, dass auch „sozialistische Eminenzen“ noch „bürgerliche Schwänze“ haben konnten, dass es mithin doch arg billig sei, entschiedenes Rumvögeln als sozialistischen Befreiungsakt auszugeben.
Garten der Lüste
Mit einer kleinen Akzentverschiebung war sowieso das meiste von Foucaults ausgiebiger Kritik an der neuzeitlichen Erfindung der Sexualität im ersten Band seiner Geschichte der Sexualität feministisch anschlussfähig; von der festgestellten „Hysterisierung des weiblichen Körpers“ und „Psychiatrisierung der perversen Lust“ durch die Medizin im 19. Jahrhundert bis zur grundsätzlichen Einsicht in die enge Verwobenheit von Sexualität und Macht. Foucault zeigte in Der Wille zum Wissen, dass Sexualität nicht die Ursache, sondern der Effekt von Machtbeziehungen ist, mithin eine historische Konstruktion. Der Sprung zu einem noch radikaleren Konstruktivismus war nicht weit. Diesen liefert Judith Butler in Gender Trouble (Das Unbehagen der Geschlechter), der wohl wirkmächtigsten feministischen Eingemeindung von Foucaults Analyse. Nicht nur die Normen der Sexualität und des Begehrens und ihre Kategorisierung sind Butler zufolge sozial konstruiert, sondern auch das Geschlecht selbst. Nicht nur Sexualität und Begehren oder unser Auftreten als hetero- oder homosexuell (oder als pervers, wie es das von Foucault untersuchte 19. Jahrhundert will) ist ein Effekt von Wissens- und Machtverhältnissen, sondern unsere gesamte geschlechtliche Identität, ja der geschlechtliche Körper selbst.
Das Subjekt ist Foucault zufolge nicht nur Machtverhältnissen unterworfen, sondern es wird durch diese überhaupt erst gebildet; und bei Butler sind es eindeutig die Geschlechternormen, in deren Namen diese Subjektbildung geschieht. Ihre Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit und an der Heterosexualität als gesellschaftlicher Norm ist seither für die Gender Studies ein zentrales Motiv. Auch Foucault hatte – in einem kleinen Text über die Intersexuelle Herculine Barbin, deren körperliches Dazwischen die Mediziner und Juristen des 19. Jahrhunderts nicht zu akzeptieren gewillt waren – die Frage, ob es überhaupt ein „wahres Geschlecht“ brauche, schon gestellt und verneint. Butler hält die Auflösung der Zweigeschlechtlichkeit durch „performative“ Verschiebungen für möglich, durch ein bewusstes Verweigern und Verändern von Verhaltensnormen. Foucault scheint dagegen unter den machtvollen gesellschaftlichen Zurichtungen der Geschlechtlichkeit doch noch einen unversehrten Körper anzunehmen, dessen Lüste es wiederzuentdecken gilt. Bei aller Kritik an der Idee der Befreiung einer ursprünglich unschuldigen Sexualität – irgendwo schimmert bei Foucault doch noch die Utopie eines paradiesischen „Gartens der Lüste“ durch, der vielleicht doch nicht für immer verloren ist.•