bell hooks und die Revolution des Afrofeminismus
Am 15. Dezember starb die Literaturwissenschaftlerin bell hooks im Alter von 69 Jahren. Sie gilt als eine der wichtigsten feministischen Stimmen der Gegenwart. Mit den Begriffen „Intersektionalität“, „Schwarzer Feminismus“, „Schwesternschaft“ und „Ethik der Liebe“ erläutern wir vier Kernideen ihres Schaffens.
Das reiche und subtile Werk von bell hooks lässt sich nur schwer zusammenfassen. Auch wenn das Thema der Unterdrückung darin allgegenwärtig ist, nähert sich hooks diesem durch die Dekonstruktion einzelner und ambivalenter Situationen, anstatt die Existenz eines monolithischen Herrschaftssystems anzuprangern. Teils sind die Opfer dabei auch Komplizen ihrer Unterdrückung oder mitverantwortlich für die Unterdrückung anderer. So richtet hooks ihr Argument weniger auf Systeme als auf die Ethik, weniger auf soziale Strukturen als auf die Psyche. In ihren Augen sind „Sexismus und Rassismus das Ergebnis bösartiger Absichten und Strategien; sie sind in erster Linie ein moralischer Fehler“, wie die feministische Philosophin Estelle Ferrarese feststellt. Ein bemerkenswerter Ansatz, der sich um einige Schlüsselbegriffe gruppiert.
Intersektionalität
Einige Jahre bevor die afrofeministische Wissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw in ihrem Artikel Demarginalizing the Intersection of Race and Sex (1989) den Begriff der „Intersektionalität“ prägte, hatte bell hooks in Feminist Theory: From Margin to Center (Feministische Theorie: Vom Rand zum Zentrum,1984) bereits das gleiche Probleme in den Blick genommen. Sie argumentierte: Die Diskriminierung, die schwarze amerikanische Frauen erleiden, kann weder allein als Sexismus noch allein als Rassismus analysiert werden; vielmehr interagieren diese beiden Faktoren miteinander und schaffen damit eine spezifische Form der Herrschaft (am „Rand“ der Gesellschaft).
In Bezug auf schwarze Frauen fügt hooks hinzu: „Wir sind die Gruppe, die nicht sozialisiert wurde, um eine Rolle der Ausbeuter/Unterdrücker zu übernehmen, insofern als uns keine systemischen ‚Anderen‘ gegeben werden, die wir ausbeuten oder unterdrücken können.“ Diese „einzigartige Perspektive“, die als Bezugspunkt hätte dienen können, wurde historisch jedoch nicht berücksichtigt – weder von den afroamerikanischen Bewegungen, die von tendenziell sexistischen schwarzen Männern monopolisiert wurden, welche den „black pride“ gerade durch die Verherrlichung ihrer Männlichkeit bekräftigten, noch von den feministischen Bewegungen, die von tendenziell rassistischen weißen Frauen monopolisiert wurden.
Schwarzer Feminismus
bell hooks hebt insbesondere die Vereinnahmung des Feminismus durch weiße Frauen hervor. „Die Frage, die wir uns immer und immer wieder stellen müssen, ist, wie können sich rassistische Frauen selbst als Feministinnen definieren?“ Natürlich sind nicht alle weißen Feministinnen auch Rassistinnen. Und doch haben sie, indem sie das besondere Schicksal ihrer schwarzen Schwestern vergessen haben, zu deren Unterdrückung beigetragen. Während sie „die Rolle der Reproduzentin, des Arbeitstiers und des Sexualobjekts“ in Frage stellten, ließen sie zu, dass schwarze Frauen „für ihre unübertroffene Aufopferung in der Rolle als ‚Mutter‘ gefeiert wurden“. Indem weiße Frauen untergeordnete berufliche Arbeiten ablehnten und gleichzeitig die Freiheit zu arbeiten priesen (obwohl sie selbst oft aus privilegierten Verhältnissen stammten), brachten sie schwarze Frauen dazu, „die Aufgaben zu übernehmen, [die sie] sich weigerten zu erledigen“.
Dem fügt hooks etwa in Ain't I a Woman? Black Women and Feminism (1981) hinzu, dass der Feminismus in vielen Fällen „das Werkzeug der Klassenmobilität“ war. Nachdem die Feministinnen die „wirtschaftliche Selbstversorgung innerhalb der bestehenden Strukturen“ erreicht hatten, gaben sie ihre „radikalen politischen Perspektiven“ auf – und mit ihnen ihre schwarzen Schwestern. Für hooks ist es zwingend notwendig, einen „revolutionären Feminismus“ zu rehabilitieren.
Schwesternschaft
Der Begriff der Schwesternschaft wurde nicht von bell hooks erfunden. Vielmehr wurde er von schwarzen Feministinnen immer wieder kritisiert. Und zwar als, wie die Philosophin Estelle Ferrarese es formulierte: „Manöver weißer Frauen, um ihre aufsteigende Position zu festigen und ihre Verantwortung für die Ausbeutung anderer Frauen zu verschleiern“. Dennoch bekräftigt hooks die Bedeutung des Begriffs in ihrem Artikel Sisterhood: Political Solidarity between Women (Schwesternschaft: Politische Solidarität unter Frauen, 1986). Allerdings, indem sie ihr eine neue Richtung gibt: Schwesternschaft ist nicht – oder nicht nur – das direkte Ergebnis eines geteilten Zustands der Unterdrückung oder der Ausdruck gegenseitiger Sympathie für das durch das Patriarchat verursachte Leid. Ebenso wenig handelt es sich um eine Interessengemeinschaft, in der Frauen zusammenkommen, die für ihre Rechte kämpfen.
Die Schwesternschaft ist in erster Linie ein „gemeinsamer Einsatz im Kampf“ gegen die männliche Herrschaft, aber auch, und vielleicht vor allem, gegen sich selbst. Angesichts des Opferkults, der dazu führt, dass Opfer durch die Sakralisierung ihres Status völlig entlastet werden, betont hooks, wie sehr Unterdrückte gleichzeitig auch Unterdrückerinnen sein können. Dieser Ambiguitäten müssen wir uns annehmen. Eine echte Schwesternschaft, so hooks, kann nur auf den Anspruch setzen, den jede Schwester an sich selbst stellt. Denn nur indem wir gegen unseren „inneren Feind“ kämpfen, erlangen wir die Fähigkeit, unsere Beziehungen von ihren unterdrückerischen Aspekten zu befreien. In diesem Bemühen um Selbstveränderung spielt der kritische Blick anderer eine grundlegende Rolle. Aus diesem Grund ist es laut hooks entscheidend, dass Frauen sich „von der sexistischen Sozialisation befreien, die uns gelehrt hat, Konfrontationen zu vermeiden.“
Ethik der Liebe
„Ich habe mich entschieden zu lieben“, sagte Martin Luther King. Auch bell hooks weigert sich, aus der Liebe, die sie als „Fähigkeit zur Empathie“ definiert, einen bloßen Affekt, ein willkürliches Gefühl zu machen. Ohne Liebe sind wir blind für das Leid der Anderen. Wenn wir uns aber dafür entscheiden zu lieben, entscheiden wir uns dafür, „uns um die Unterdrückung und Ausbeutung zu sorgen“, die andere betreffen als uns selbst. Wie die Philosophin Estelle Ferrarese es ausdrückt: „Die Liebe ermöglicht es uns, unter anderen Bedingungen, das zu sehen, was wir“ – im normalen Verlauf unseres Lebens – „nicht sehen können“. Sie durchbricht den Schleier, der die Realität, die andere erleben, verdeckt.
Die Liebe ist daher grundsätzlich politisch. Diese Ethik der Liebe setzt jedoch eine radikale Umkehrung der Logik des Kampfes voraus. Normalerweise geht man davon aus, dass ein Aktivist für seine Rechte und in seinem eigenen Interesse kämpft – ein Kampf, der im Grunde genommen selbstbezogen ist. Für hooks hingegen liegt der Schwerpunkt des politischen Handelns eher auf der Seite des Anderen, dessen Leiden wir durch die Liebe erkennen. Indem wir uns bemühen, empathische Beziehungen aufzubauen, brechen wir auch mit dem perversen Ziel, das den Aktivismus oft in die Irre führt: die bisher verweigerte Zustimmung der Herrschenden zu erhalten. „Wir suchen nicht nach Anerkennung bei anderen. Wir erkennen uns selbst an und treten freiwillig in Kontakt mit denen, die bereit sind, mit uns konstruktiv zusammenzuwirken.“
Andere Mitdenken
Der schwarze und intersektionale Feminismus, für den bell hooks eintritt, beruht also im Wesentlichen auf der Beziehung zu anderen, dank derer wir unsere Scheuklappen ablegen und zu uns selbst gelangen. „Der Weg zur Macht, zu sich selbst, zu einer radikalen Subjektivität kann nicht in der Isolation erfolgen.“ Statt der Wut, die allzu oft, wenn auch zu Recht, den Aktivismus antreibt, bekräftigt hooks die Notwendigkeit, zu lernen, uns um andere zu sorgen. Die Wut heilt nämlich nicht das Trauma, das die „Grausamkeit“ der Unterdrückung in der Psyche hinterlässt. Sie führt in gewissem Sinne das männliche Modell eines egozentrischen, machtgetriebenen Gebarens fort. Wir müssen uns stattdessen eine andere Form der „Ermächtigung“ vorstellen, die ermöglicht, „uns von Angesicht zu Angesicht zu treffen, uns mit Solidarität, Schwesternschaft und Liebe zu begrüßen“ – trotz der unauslöschlichen Spuren der Unterdrückung. •
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