Geld fürs nicht Nicht-Fliegen – ein Gedankenexperiment
Klimaschutz muss sich lohnen – dieser politische Slogan klingt verlockend. Denkt man ihn jedoch zu Ende, ist das Konzept weder sympathisch noch griffig.
Schwarze Baumsilhouetten im Sonnenuntergang vor rosafarbenen Wolken – so startet das Werbevideo zum Kariba-Projekt in Simbabwe. Vor rund zwei Jahren sorgte das Kompensationsprojekt des Schweizer Unternehmen South Pole für Schlagzeilen, weil es nicht hielt, was einem das Video anpreist. Bis dahin hatten sich Großkonzerne wie Gucci, Nestlé oder Volkswagen ihre CO2-Bilanz mit Zertifikaten made in Simbabwe schön gerechnet.
Belohnt wird bei solchen Waldprojekten oftmals nicht das Aufforsten, sondern das Nicht-Abholzen. Genau: Die Kompensationszertifikate werden nicht dadurch generiert, dass man Bäume pflanzt, sondern dadurch, dass man keine Bäume fällt - wobei man bei den Berechnungen zum Kariba-Projekt davon ausgegangen ist, dass ohne das Kompensationsprojekt ein apokalyptischer Kahlschlag eingetreten wäre. Entsprechend hoch waren auf dem Papier die Nicht-Emissionen des Nicht-Abholzungsprojekts, was South Pole viele Kompensationszertifikate und damit auch viel Geld einbrachte. Wenn aber die einen Geld kriegen fürs Nicht-Abholzen, wieso sollen die anderen dann nicht auch belohnt werden fürs Nicht-Fliegen. Oder fürs Nicht-Autofahren oder fürs Nicht-Heizen?
Gerade beim Fliegen wäre es doch höchste Zeit für eine neue Idee! Denn es wird wieder geflogen, als gäbe es kein Morgen. Auf jeden Fall kein Morgen mit Klimakrise. Alle Schweizer Flughäfen verkündeten in der Urlaubszeit Rekordzahlen. Die deutschen Flughäfen haben das Passagierlevel von vor Corona zwar noch nicht ganz geknackt – aber auch hier zeigen die Zahlen nach oben. Der Flughafen München zählte im aktuellen Halbjahr 700.000 Reisende mehr als im ersten Halbjahr 2024. Dabei ist eigentlich klar, dass eine solche Flugmobilität in der Heißzeit gar nicht mehr drin liegt. Denn Fliegen kann man – zumindest in diesem Ausmaß und mit der aktuell zur Verfügung stehenden Technik – nicht fossilfrei machen. Wieso also nicht diejenigen belohnen, die auf eine Flugreise verzichten.
Klimaschutz belohnen…
Eine bestechende Idee, die zudem auch noch voll und ganz zum aktuellen politischen Trend passt. In der Klimapolitik hat sich nämlich über alle Parteien hinweg eine Idee besonders stark durchgesetzt: Klimaschutz soll sich lohnen. Dass diese Idee nicht nur beim Stimmvolk, sondern auch bei Politiker und Politikerinnen gut ankommt, die sich bei ihrer Wählerschaft ja nicht unbeliebt machen wollen, ist klar. Klimaschutz belohnen, anstatt KlimaschMutz mit hohen Klimaabgaben zu bestrafen – gerade für Leute, die bereits klimasensibel unterwegs sind, scheint die Idee verlockend.
Was wäre, wenn Sie für den Verzicht auf den Urlaubsflug Geld kriegen würden? Mal angenommen, Sie hätten sich gern selber ein Bild gemacht von den nicht-abgeholzten Wäldern in Kariba. Bei der Gelegenheit hätten Sie sich auch endlich mal die Victoria Falls anschauen können und eine Kanufahrt auf dem Sambesi gemacht. Doch je nachdem, wie viel man Ihnen für das Nicht-Fliegen bietet, könnten Sie sich auch mit einem Camping-Urlaub in Norditalien anfreunden.
Also lassen Sie uns ein wenig rechnen. Ein Flug nach Simbabwe und zurück, macht in der Economyclass 2.8 Emissionstonnen. 2024 bezahlte die Stiftung KliK laut Jahresbericht 130 Franken pro Tonne Nicht-Emissionen. KliK kauft in der Schweiz im Auftrag der fossilen Treibstoffbranche Kompensationstonnen zusammen, damit die Importeure von Benzin und Diesel ihre gesetzlich vorgeschriebene Kompensationspflicht erfüllen können. Ein Franken entspricht momentan etwa einem Euro.
Bei 130 Franken pro Nicht-Tonne gäbe das fürs Nicht-Fliegen nach Kariba also 364 Franken – die Klimaeffekte, die zusätzlich durch die Kondensstreifen verursacht werden, sind da noch nicht einmal mit vergütet. Und würde man wie beim Kariba-Waldprojekt davon ausgehen, dass Sie durch das Nicht-Fliegen nicht nur einen normalen Economyflug, sondern das Worstcase-Szenario, also einen Firstclassflug verhindern, dann würde das Nicht-Fliegen satte 13.8 Tonnen einsparen. Macht 1794 Franken für das Nicht-Buchen eines Firstclassfluges nach Kariba und zurück.
Solche Überlegungen lassen sich nicht nur beim Fliegen machen, sondern zum Beispiel auch beim Autofahren: In Deutschland können Leute, die ein E-Auto fahren, das von ihnen eingesparte CO2 bereits heute verkaufen. Treibhausgas-Quotenhandel nennt sich das. Die Beträge halten sich in Grenzen, die Grundidee ist jedoch klar. Wer von einem Benziner zum E-Auto wechselt, soll etwas davon haben. Noch ein Beispiel: Wer in der Schweiz sein Haus ökologisch saniert, darf die Kosten zum Teil bei den Steuern abziehen. Auch hier die Logik: Klimaschutz soll belohnt werden.
… oder KlimaschMutz bestrafen…
Klingt super? Leider gibt es ein Problem: Was ist mit denen, die weder Benziner noch E-Auto fahren, sondern das Fahrrad nehmen? Was ist mit den Leuten, die sowieso noch nie geflogen sind – laut einer Schätzung vom WWF sind das rund 80 Prozent der Weltbevölkerung. Und was ist mit den Leuten, die nicht in einer klimasanierten Villa, dafür aber in einer kleinen Mietwohnung leben, die zwar nicht so gut isoliert ist, dafür aber durch ihre bescheidene Größe trotzdem viel weniger Heizenergie verbraucht.
Wenn Klimaschutz belohnt werden soll, dann müssten die doch eigentlich am meisten kriegen. Tun sie aber nicht. Wieso nicht? Die Person, in der Villa, hat einen entscheidenden Hebel mehr in der Hand. Sie kann sagen: Wenn ihr mich nicht dafür belohnt, dass ich saniere, dann mach ich es halt einfach nicht. Oder anders: Je mehr man emittiert, desto mehr Macht hat man im Belohnungssystem.
Und mit der Villa sind wir hier bei weitem noch nicht beim Kern des Problems. 2017 entdeckte man beim Chemiekonzern Lonza im Schweizer Kanton Wallis ein Lachgas-Leck. Lachgas ist ein Treibhausgas. Umgerechnet auf die Wirkung von CO2 strömte aus dem Leck Jahr für Jahr eine halbe Million Tonnen CO2. Richtig viel also. Trotzdem dauerte es mehrere Jahre, bis die Lonza das Leck schloss. Das liegt nicht etwa daran, dass das technisch sehr anspruchsvoll gewesen wäre, sondern lediglich daran, dass die Lonza für das Nicht-Emittieren des Lachgases belohnt werden wollte. Wenn man ansonsten Jahr für Jahr ein Prozent der gesamten Emissionen, die auf Schweizer Boden anfallen, in die Luft bläst, hat diese Drohkulisse durchaus eine gewisse Wirkmacht.
Wer hingegen in der Einzimmerwohnung sitzt, dort sein veganes Schnitzel isst, bevor man mit dem Fahrrad zum Bahnhof fährt, um mit dem Nachtzug in den Urlaub zu fahren, hat keine Macht. Genauso könnten wohl die wenigsten von uns ernsthaft damit drohen, einen Firstclassflug nach Simbabwe zu buchen, wenn man nicht für das Nicht-Fliegen entschädigt wird.
Denkt man die Logik des Belohnens zu Ende, scheint sie plötzlich gar nicht mehr so sympathisch zu sein. Das hat drei Gründe. Erstens: Je nach Referenzszenario ergeben sich Gerechtigkeitsprobleme. Wieso soll man fürs E-Auto-Fahren etwas kriegen, aber nicht fürs Fahrradfahren. Zweitens: Weil reiche Leute tendenziell mehr KlimaschMutz verursachen, können sie auch für mehr Klimaschutz belohnt werden. Und je nach Ausgestaltung der Belohnung profitieren Reiche gleich nochmals. Davon, dass man Ökosanierungen in der Schweiz von den Steuern abziehen darf, haben zum Beispiel Familien mit tiefen Einkommen weniger als gutverdienende Haushalte. Einfach, weil ihr steuerbares Einkommen gar nicht so hoch ist und Steuerabzüge deshalb weniger stark zu einer tieferen Steuerrechnung führen.
Drittens: Es widerspricht ganz grundsätzlich der moralischen Logik, wenn wir das Unterlassen einer schädlichen Handlung belohnen. Das wäre wie, wenn wir alle belohnen würden, die nicht stehlen, nicht schlagen, nicht töten oder nicht steuerhinterziehen, anstatt die Leute, die Steuern hinterziehen, dafür zu bestrafen. Kurz: Klimaschutz kann man nicht belohnen, sondern nur KlimaschMutz bestrafen.
Und wo das gemacht wird, zeigt es Wirkung. Für CO2 aus fossilen Heizungen müssen Privathaushalte in der Schweiz 120 Franken pro Emissionstonne bezahlen. Das hat dazu geführt, dass die Heizemissionen seit 1990 um 46 Prozent zurückgegangen sind. Von solchen Reduktionszahlen kann man in Deutschland bei den Heizemissionen nur träumen. Müsste man für Flugemissionen gleich viel bezahlen, würde der Economyflug nach Kariba 336 Franken mehr kosten. In der Firstclass wären es sogar 1656 Franken. Ob das genügen würde, um die Superreichen davon abzuhalten den Privatjet zu nehmen, darf bezweifelt werden. Die Flugrekordjahre dürften mit einer solchen Bepreisung aber vorbei sein.
… und wo nötig fördern
Was zudem klar ist: Mit einer konsequenten Bepreisung von KlimaschMutz, würde ziemlich viel Geld zusammenkommen. Geld, das die Gesellschaft einsetzen könnte, um dort zu helfen, wo es wirklich nötig ist. Denn nur weil man etwas bestraft, heißt das noch lange nicht, dass sich dann automatisch alle die nun nötigen Transformationen auch leisten können. Kann eine Familie glaubhaft darlegen, dass sie es nicht aus eigener Kraft schafft, die Ölheizung durch eine Wärmepumpe zu ersetzen, muss die Gesellschaft solidarisch unterstützen. Bricht eine für die Transformation auf klimastabil wichtige Branche ansonsten zusammen, kommen wir nicht darum herum, den Karren gesellschaftlich aus dem Dreck zu ziehen – wie jüngst in der Schweiz bei der Stahlbranche geschehen.
Stellt sich die Frage, was unter dem Strich dann überhaupt anders ist am Konzept „bestrafen und fördern“ verglichen mit einem System, das auf Belohnen setzt. Etwas sehr Grundsätzliches: Anstatt, dass sich die Gesellschaft für den geleisteten Klimaschutz bei den Emittenten und Emittentinnen zu bedanken hat, müsste man um gesellschaftliche Unterstützung bitten, falls man das, was uns schlussendlich allen bevorsteht – nämlich die Umstellung auf klimastabil – nicht aus eigener Kraft schafft. Das Danken und das Bitten würden also ihre Positionen tauschen. Und das Wichtigste: Dadurch würde das Reduzieren und nicht mehr das Emittieren zur Norm.
Und was ist jetzt mit dem Wald in Kariba? Der muss natürlich unbedingt in Absprache mit der lokalen Bevölkerung geschützt werden. Denn er speichert tatsächlich viel CO2. Der globale Norden ist über das Pariser Abkommen dazu verpflichtet für solche Projekte Geld locker zu machen. Auch dafür hätte man durch eine saubere CO2-Bepreisung endlich die nötigen Mittel zusammen. Was aber natürlich nicht geht: Dass sich Konzerne oder Länder mit solchen Zahlungen die eigene Bilanz schönrechnen.
Alex Tiefenbacher ist freischaffende Journalistin mit Schwerpunkt Klimapolitik in der Schweiz, Mitgründerin des Onlinemagazins das Lamm und des Climate Journalism Network Switzerland. Im vergangenen Jahr ist ihr Buch „CO2-Ausstoß zum Nulltarif“ im Rotpunkverlag erschienen.