Hannah Arendt und der Fortschritt
In unserem Sprechen über den Fortschritt, so stellt Hannah Arendt fest, offenbart sich untergründig bereits die Vorahnung seines Endes. Wir erklären, was sie damit meint.
Das Zitat
„Es ist sehr bezeichnend, dass der Fortschrittsgedanke (…) den Prozess des Fortschreitens der Menschheit (…) in Analogie zu den Lebensprozessen des einzelnen Exemplars (…) versteht. Es scheint (…) nicht aufgefallen zu sein, dass die (…) Konsequenz dieser Analogie ist, dass auf den Fortschritt der Untergang folgen muss. Wenn die Menschheit eine Kindheit kennt, dann kann sie dem Alter nicht entgehen, auf den (…) Aufstieg folgt unweigerlich ein Abstieg.“
– „Macht und Gewalt“ (1970)
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Kommentare
Vielleicht kann man Fortschritt auch als fort schreiten von bestehenden Prozessen und Aktivitäten hin zu zumindest vermeintlich besseren denken.
Da nach meinem Verständnis das Leben meist endlich ist, kann wohl jeder Fortschritt eines Individuums der letzte sein.
Da nach meinem Verständnis das Leben der meisten Gesellschaften sich beständig erneuert, scheint mir im Fortschritt der meisten Gesellschaften das Ende weiter offen.
Fraktal verteilt folgt auf Fortschritt oft Rückschritt, unter anderem auch weil nur ein Teil des Fortschreitens zu besseren Verhältnissen führt, so schätze ich.
So schwer es wohl ist, sich das All als zeitlich und räumlich unendlich vorzustellen, so schwer ist es wohl, sich die Zukunft der Menschheit als relativ unendlich vorzustellen. Könnte ich mich einfrieren lassen für hundert Jahre und dann biologisch unbegrenzt leben, würde ich mir da vielleicht mehr Mühe geben.