Querdenken ohne Geländer?
Schon seit längerem wird Hannah Arendt durch rechte Denker und Corona-Leugner vereinnahmt. Die jüngst gegründete „Hannah-Arendt-Akademie“ scheint dafür ein weiterer Beleg. Doch was meinte die Philosophin tatsächlich, als sie vom „Denken ohne Geländer“ sprach?
Gerade in den letzten Jahren hat Hannah Arendt eine ungeheure Strahlkraft entwickelt. Als 2018 der Essay Die Freiheit, frei zu sein in ihrem Nachlass gefunden und veröffentlicht wurde, stand er wochenlang auf der Bestsellerliste. Ihr legendäres Interview mit Günter Gaus aus dem Jahr 1964 verzeichnet auf YouTube mittlerweile rund zwei Millionen Views, man kann Poster und Sticker mit ihrem Konterfei erwerben und es gibt sogar eine Graphic Novel über ihr Leben. Erklären lässt sich diese Beliebtheit durch ihr unkonventionelles Denken, die scheinbar zeitlose Aktualität ihrer Positionen, aber auch durch ihre Anschlussfähigkeit in viele politische Lager. In einem Artikel im Prospect Magazine beschreibt Samuel Moyn sie etwa als „the most used and abused philosophical source“ in der Analyse von Donald Trumps Präsidentschaft. Auf Hannah Arendt wurde stets gerne referiert, wenn es darum ging, vor dessen autoritären Tendenzen zu warnen. Dabei ging es, wie Moyn bemerkt, oft nicht um eine detailgenaue Wiedergabe ihrer Positionen, sondern vielmehr um die intellektuelle Autorität, die ihr Name den Argumenten verleihen sollte.
Das neuste Projekt, das sich mit dem Glanz dieser intellektuellen Autorität schmückt, ist die nach der Denkerin benannte Hannah-Arendt-Akademie. Die kürzlich in Starnberg gegründete Akademie sei, so liest man auf deren Internetauftritt, „ein unabhängiger und unparteilicher Verein von Wissenschaftlern und Experten“. Das halbjährige Studium Generale, das dort online angeboten wird, soll als Orientierungssemester dienen und Einblicke in sämtliche wissenschaftliche Felder und Positionen gewähren.
Das bekannte Foto von Hannah Arendt, die, eine Zigarette in der linken Hand, mit durchdringendem Blick in die Kamera schaut, schmückt die Startseite. Daneben ein Arendt-Zitat: „Es gibt keine gefährlichen Gedanken, das Denken an sich ist gefährlich.“ Weiter unten heißt es: „Die Hannah-Arendt-Akademie steht für ein humanistisch geprägtes Weltbild, in dem gemäß dem Leitmotiv der Philosophin Hannah Arendt der ‚Wind des Denkens‘ wirkt, und für eine eigenverantwortliche, friedliche und menschliche Gestaltung der Zukunft unseres Gemeinwesens.“ Es wird versichert: „Der ausschließliche Maßstab für unser Wirken ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.“ Und: „Staatsfeindliche Positionen, die einen Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellen, lehnen wir ab.“ Eine offene und demokratische Bildungseinrichtung also, die Orientierung für junge Menschen bietet?
Angeblich wie Hogwarts – aber online und ohne Abschluss
Bei der weiteren Recherche stößt man auf ein Interview auf dem Youtube-Kanal „Kaiser TV“. Der Interviewer ist der Philosoph Gunnar Kaiser, der sich im Zuge der Pandemie immer wieder öffentlichkeitswirksam gegen Grundrechtseinschränkungen und die vermeintliche Erosion der Meinungsfreiheit äußerte. Im Herbst 2020 initiierte er einen „Appell für öffentliche Debattenräume“, in dem er die „Cancel Culture“ als Gefahr für die Demokratie beklagte. Einiges Aufsehen erregte er jüngst zudem mit einem Tweet, in dem er fragte, ob ältere Menschen, die die Grundrechteinschränkungen von Jüngeren in Kauf nähmen, ihre letzten Lebensjahre überhaupt verdient hätten. Sein Gesprächspartner Dr. Matthias Burchardt, Philosoph, Pädagoge und eines der Gründungsmitglieder der Hannah-Arendt-Akademie, tritt wiederum als Kritiker des Bildungssystems hervor. Er betont, dass mit der Akademie ein Ort entstehen solle, der frei „von den Restriktionen der akademischen Kultur“ sei, die einen „gewissen Verlauf genommen hat in Richtung ‚Political Correctness‘ und Überregulation“. Kaiser nickt schwermütig-mitfühlend.
In den folgenden 20 Interview-Minuten inszeniert Burchardt sich als Hüter der freien Meinungsäußerung, gerade heute, wo der Besuch einer Hochschule „durch die Hürden des Hygieneregimes“ erschwert werde: Mit der Hannah-Arendt-Akademie würde auf ehrenamtlicher Basis und „mit bescheidenen Mitteln“ ein Ort für junge Menschen geschaffen, an dem das Ideal der Bildung florieren, Persönlichkeitsentwicklung befördert und ohne Grenzen gedacht werden könne. Sobald die Corona-Beschränkungen gelockert würden, solle, so Burchardts Vision, ein Ort entstehen „wie Hogwarts“, ein altes Schloss oder Kloster, wo man „unbelästigt von den ganzen Muggeln die Zauberkraft der Bildung zur Entfaltung bringen könnte“. Burchardt hatte sich im Mai 2020 in einer Pressemitteilung kritisch zur „digitalen Fernbeschulung“ während der Corona-Pandemie geäußert: „Didaktische Sacherschließung, Lehren und Lernen, Erklären, Üben und Verstehen. Das geht alles nicht in Video-Konferenzen.” Vorerst müssen sich jedoch auch die Akademie-Gründer der „von Maßnahmen geprägten neuen Normalität“ beugen: Das erste Semester findet ausschließlich online statt.
Auch wie der freie Austausch von Meinungen genau aussehen soll, ist bei einer Betrachtung des Stundenplans zumindest unklar: An den fünf Wochentagen finden ausschließlich Vorlesungen statt, nur am Samstag wird ein Blockseminar angeboten. Im deutlichen Gegensatz zur Bebilderung der Webseite, die sich im Geiste einer traditionsreichen Elite-Universität inszeniert, steht auch die Tatsache, dass kein offizieller Abschluss verliehen wird. Ebenso bleibt unklar, wie sich die Akademie konkret finanziert und welche Rolle das Denken Arendts im Curriculum spielt. Zu beidem äußerten sich die Verantwortlichen auf Nachfrage des Philosophie Magazin nicht.
Arendt als Alibi
Was die Inhalte der Akademie betrifft, so betont Burchardt im Interview immerhin: Obwohl es darum gehe, den „wissenschaftlichen Diskurs jenseits der eingespielten Grenzen abzubilden“, wolle er „scharf zurückweisen“, dass dort „Verschwörungstheorien oder Geschwurbel“ stattfänden. Allein: Ein Blick auf das annoncierte Lehrpersonal lässt anderes erahnen. Unter den angekündigten Dozierenden befinden sich zahlreiche Größen der rechtsreaktionären und Verschwörungsszene. Neben Gunnar Kaiser etwa Daniele Ganser. Der Schweizer Historiker und Publizist ist für seine Verschwörungstheorien zu den Anschlägen des 11. September 2001 bekannt, die er wiederholt verbreitete. Ebenfalls zu den Lehrenden der Akademie gehört der Bielefelder Jurist Martin Schwab, der im Rahmen der letzten Bundestagswahl für die „Querdenker“-Partei „Die Basis“ kandidierte.
Auf seiner Grundsatzrede bei deren diesjährigen Bundesparteitag warnte er von einem durch die Corona-Maßnahmen erzeugten Konformitätsdruck und nannte diesen ein „Wesensmerkmal totalitärer Herrschaft“. Zudem behauptete er, „dass im Schatten dieses Krankheitserregers eine ganz andere Agenda abläuft, [...] um Gesundheitsschutz geht’s hier jedenfalls nicht.“ Schließlich gehört auch Max Otte zu den Lehrenden der Akademie. Der Ökonom, der von 2018 bis 2021 im Aufsichtsgremium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung tätig war, outete sich vor der Bundestagswahl 2017 als überzeugter AfD-Wähler. Nachdem er in einem Tweet die Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2019 mit dem Reichstagsbrand von 1933 verglichen hatte, sah er sich mit Vorwürfen konfrontiert, Rechtsextreme mit Opfern des Nationalsozialismus gleichzusetzen und rechte Gewalt zu verharmlosen. Am 31. Mai 2020 hielt er in Stuttgart eine Rede auf einer von Querdenkern organisierten Kundgebung.
Als Kaiser in besagtem Interview Burchardt nach dem Bezug zur Namenspatronin der Akademie fragt, entgegnet dieser, die Namensgebung sei „naheliegend“: Man wolle sich an Hannah Arendts „Konzept des Politischen und des Menschseins“ orientieren und einen Begriff „der Demokratie und des Politischen“ zugrunde legen, der „Maß nimmt am Menschen und nicht an der Macht“. Hannah Arendt diene als „Orientierungsmaßstab, dem wir uns jeden Tag wieder neu aussetzen müssen.“ Hannah Arendt als Namenspatronin für eine Akademie, in der zu einem erheblichen Anteil rechte Scharfmacher und Verschwörungsideologen lehren? Geradezu absurd, wenn man bedenkt, dass Arendt Widerstand gegen den Totalitarismus leistete und als Jüdin selbst vor dem Naziregime fliehen musste. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich hier ein Phänomen, das gerade in Pandemiezeiten immer wieder zutage trat: Rechte, „Querdenker“ und andere reaktionäre Gegner:innen der Corona-Schutzmaßnahmen eignen sich traditionell eher linke Motive des Widerstands an und deuten emanzipatorische Begrifflichkeiten um. Dabei wird der Mythos der „Corona-Diktatur“ zum Anlass genommen, um sich im Kampf gegen vermeintliche staatliche Repression als „widerständig“ oder „andersdenkend“ zu profilieren.
Gemeinsames Handeln
Im Zuge dieser Diskursverschiebung eignen sich heute rechte und AfD-nahe Gruppierungen indes nicht nur den Begriff der Freiheit an, der in seiner verkürzten Version dann nicht selten als Freifahrtschein für faktenfreies Argumentieren und aggressiven Populismus verstanden wird, sondern auch die Rufe nach Inklusivität und Sensibilität gegenüber Diskriminierungserfahrungen werden unter dem Begriff der „Political Correctness“ verpönt. Kritik an der eigenen Position gilt wiederum meist direkt als „Cancel Culture“. Einen der schaurigsten Ausdrücke solch einer Viktimisierung findet man bei jenen Querdenker:innen, die auf Demonstrationen gelbe „Judensterne“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ tragen und damit suggerieren, sie würden heute die gleiche Verfolgung erleiden wie Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus. Doch wie kann Hannah Arendt zur Patronin einer Akademie werden, deren Nähe zu solchen Denkverquerungen mindestens unklar ist?
Die Begriffe der Freiheit, des freien Denkens und des „Denkens ohne Geländer“ ziehen sich wie ein roter Faden durch Hannah Arendts Werk. Freiheit ist für Arendt ein politischer Begriff, das heißt, sie muss sich im öffentlichen Raum manifestieren. Arendt legt ihrer Definition von Freiheit dabei zunächst der vom Philosophen Isaiah Berlin kultivierten Unterscheidung zwischen negativer und positiver Freiheit zugrunde. Mit negativer Freiheit ist die Befreiung von etwas gemeint, etwa die Abwesenheit von äußeren Zwängen, also Freiheit von Unterdrückung. Doch auch wenn dieses negative Verständnis für Arendt die Voraussetzung von Freiheit als solcher darstellt, reicht es allein nicht aus. Es bedarf ebenso der positiven Freiheit, der Freiheit zu etwas, beispielsweise die Möglichkeit im öffentlichen Raum aktiv zu sein, politisch Einfluss zu nehmen und auf Augenhöhe am öffentlichen Leben mitzuwirken. Dazu gehören der Zugang zu Bürgerrechten, Möglichkeiten der Partizipation und Pluralität von Meinungen. Diese positive Freiheit kann immer nur im gemeinsamen Handeln realisiert werden, sie bedarf also eines öffentlichen Raumes, in dem Menschen sich begegnen und ihre Freiheit miteinander verwirklichen können.
Bloße Rebellion ist noch keine Freiheit
Auf Demonstrationen von Querdenker:innen oder rechten Internet-Foren findet man zuletzt auch immer wieder Hannah Arendts Appell „Niemand hat das Recht zu gehorchen!“. Die Denkerin wird hier zur Patronin für ein trotziges „Ich lasse mir von niemandem sagen, was ich zu tun habe“. Doch diese krude Verkehrung verkennt, dass allein die Rebellion gegen politische Verhältnisse für Arendt noch kein Ausdruck von Freiheit ist. Arendt kritisiert explizit die liberale Verkürzung des Freiheitsbegriffs: Nach ihr geht es gerade nicht darum, dass individuelle Freiheit dort anfängt, wo Politik aufhört. Dies ist vielleicht in einem totalitären Regime der Fall, wo eine – nicht demokratisch legitimierte – Regierung es darauf anlegt, Menschen gleichzuschalten und Andersdenkende auszubooten. Doch nicht innerhalb einer Demokratie. Hier beginnt Freiheit, wenn ein rationales, denkendes Subjekt in einen informierten Austausch im öffentlichen Raum tritt und die eigene Freiheit mit anderen in einer Gemeinschaft aushandelt. Die Befreiung von jeglichen Zwängen ist dabei lediglich die Voraussetzung für einen wahrhaften Freiheitsbegriff, der partizipatorisch und solidarisch ist.
Die Symapthieträgerin Hannah Arendt in Anschlag zu bringen, um einer strittigen Akademie den Anschein intellektueller Größe und widerständigen Denkens zu verleihen, ist daher heuchlerisch, wenn nicht gefährlich. Sicherlich war Hannah Arendts Freiheitsverständnis agonal. Ohne Frage würde sie auch heute für einen Austausch und eine Pluralität von Sichtweisen plädieren. Dazu gehört auch die Frage, wie der öffentliche Diskurs geführt werden soll. Schließlich ist die Diagnose einer derzeitigen Diskursverhärtung nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Doch ist dies nicht gleichbedeutend mit Zensur oder gar Cancel Culture. Solange in demokratischen Strukturen agiert und politische Partizipation ermöglicht wird, ist die Freiheit in Arendts Sinne nicht gefährdet. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Arendt sich angesichts des Personaltableaus der nach ihr benannten Akademie im Grabe umdreht. •
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Kommentare
Wenn man sagt "Rechte eignen sich den Begriff der Freiheit an", dann heißt das, dass der Begriff der Freiheit Linken gehört. Oder wem?