Macbeth: Blut und Böse
Es hält uns am Leben, zeigt Verwandtschaftsgrade an und ist ein Indiz für Gewalt: Blut steht im Zentrum von Joel Coens neuem Film The Tragedy of Macbeth. Für unseren Autor Florian Werner schon jetzt einer der besten Filme des Jahres.
Die Blutspur führt direkt zum König. Als sich der Nebel auf der Leinwand lichtet, sehen wir einen Mann über den Strand wanken, er zieht eine unregelmäßige Linie dunkler Tropfen hinter sich her, der Sand unter seinen Füßen so weiß wie jungfräulicher Schnee. Es handelt sich um einen Captain der schottischen Armee, er kommt, um seinem König Bericht zu erstatten: vom Sieg über die Norweger, vor allem aber von den Heldentaten des wackeren Feldherrn Macbeth, der sein blutdampfendes Schwert in die Reihen der Gegner tunkte, als wollte er in ihren Wunden baden.
Auch wenn die neue, meisterhafte Verfilmung des Shakespeare-Dramas durch Joel Coen (erstmals ohne seinen Bruder Ethan) in hartem, expressionistischem Schwarz-Weiß gehalten ist, ist von Anfang an klar: Ein Leitmotiv des Werkes wird dieser rote, ganz besondere Saft sein, das menschliche Blut in all seinen Bedeutungsaspekten. Es kann Verwandtschaftsgrade markieren und so herrschaftliche Genealogien begründen — es ist aber auch jene konkrete, kostbare Körperflüssigkeit, die bei Verletzungen dem Körper entweicht und deren übermäßiger Verlust zum Tod führt. Blut, schreibt entsprechend Michel Foucault, sei „eine Realität mit Symbolfunktion“: „Sein Wert liegt in seiner instrumentellen Rolle (Blut vergießen können), in seinem Funktionieren innerhalb der Ordnung der Zeichen (ein bestimmtes Blut haben, vom selben Blut sein) und auch in seiner Gefährdetheit.“ In The Tragedy of Macbeth vermischen sich all diese Aspekte, konkurrieren, versuchen einander hinwegzuschwemmen.
Der herrschende König Duncan möchte eine Blutlinie begründen und die Krone an seine Söhne weitergeben (tatsächlich führte der historische Duncan I. das Erbkönigtum in Schottland ein). Macbeth durchkreuzt diese genealogische Linie durch handfestes Blutvergießen und schneidet Duncan die Kehle durch. Auch seinen Kampfgenossen Banquo lässt er kaltblütig ermorden, weil diesem prophezeit wurde, dass er dereinst Vater von Königen sein werde. Der Geist des Ermordeten taucht daraufhin ungebeten bei Macbeth auf und lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren, während seine Frau sich im Fieberwahn wieder und wieder die Hände wäscht und so versucht, sich von ihrer Schuld zu befreien: „Aber wer hätte gedacht, daß der alte Mann noch so viel Blut in sich hätte?“
Trittsichere Wiedergänger
In solchen Augenblicken sehen vermutlich nicht nur die Figuren im Drama Gespenster — auch als Zuschauender meint man, andauernd Wiedergänger aus früheren Filmen der Coen-Brüder zu erblicken. Das gilt nicht zuletzt für die grandiose Frances McDormand, die hier die Lady Macbeth verkörpert: Sie ist den Coens schon seit fast vierzig Jahren künstlerisch verbunden (und, nebenbei bemerkt, mit Regisseur Joel verheiratet), ihre erste Kinohauptrolle hatte sie im Debüt der Coens von 1984 namens Blood Simple.
Zentrale Themen, welche die Coens im Lauf ihrer langen Karriere beschäftigt haben und nun in Macbeth zur Vollendung kommen, sind in diesem Frühwerk bereits angelegt: die Erkenntnis, dass der abstrakte Vorsatz zur Bluttat und dessen konkrete Ausführung zwei kategorial unterschiedliche Dinge sind. Die Einsicht, dass es mit einem einzigen Mord in der Regel nicht getan ist, dass Gewalt stets weitere Gewalt nach sich zieht. Sowie schließlich die Erkenntnis, dass die Ausführung der Tat womöglich gar nicht das Schwierigste ist, sondern die Tatsache, dass man hinterher mit der Blutschuld leben muss. In Blood Simple, das in einem Strip-Club in Texas spielt, ist immer wieder ein Hygienehinweisschild zu sehen: „All employees must wash hands before resuming work.“ Als tragische Mahnung könnte es auch in einem Schloss bei Inverness hängen, direkt über dem Handwaschbecken von Lady Macbeth.
Geld blutet nicht
Ein weiteres Werkmotiv: die metaphysischen Figuren. Immer wieder treten im Coen-Kosmos Charaktere auf, die nicht von dieser Film-Welt zu sein scheinen, sich jenseits von Zeit und Raum, Blut und Herkunft, Gut und Böse bewegen — man denke an den pflichtversessenen Killer in No Country for Old Men, an den blinden Seher in O Brother Where Art Thou?, oder an den nietzschebärtigen Cowboy in The Big Lebowski, der sich am Ende des Films unvermittelt an die Kamera wendet und als unbewegter Beweger, als gottgleicher Erzähler innerhalb der Erzählung zu erkennen gibt. Auch in The Tragedy of Macbeth gibt es eine solche Figur — und nein, es ist nicht die Hexe (Joel Coen macht aus den drei Schwestern kurzerhand eine einzige, atemberaubend gespielt von Kathryn Hunter). Wer genau diese Figur ist, kristallisiert sich erst im Lauf des Films heraus und wird hier aus Gründen der Spoiler-Vermeidung nicht verraten — nur so viel: Es handelt sich um eine männliche Nebenfigur, die auch im Shakespeare’schen Original vorkommt. Kein Wort ist hinzugefügt, es sind lediglich ein paar Bilder, Blicke, stumme Szenen, die sie zum heimlichen Autor und Angelpunkt der Tragödie machen, zum Verschwörer hinter der Verschwörung.
Der kriegs- und königsmordtraumatisierte Macbeth (ebenfalls eine Performance für die Ewigkeit oder wenigstens den Oscar: Denzel Washington) mag vielleicht glauben, dass er mit seiner Frau ein Komplott ausgeheckt hat. Aber: He is being played, im doppelten Sinn des Wortes. Er ist einerseits eine Figur in einem Drama; er ist andererseits und vor allem aber nur eine Puppe, gelenkt von den Fäden eines metaphysischen Marionettenspielers. Am Ende des Films gibt es wieder eine Blutspur, der Strippenzieher trägt den tropfenden Schädel von Macbeth über den Strand und überreicht ihn mitsamt Krone dem nächsten König Malcolm. Der wird sich nicht lange daran freuen können, die verhexte Prophezeiung zu Banquo und seinen Königskindern ist bekannt.
Kurz danach — und das ist die perfide und wirklich allerletzte Volte in diesem Film, sie steht nicht bei Shakespeare, sondern nur bei Coen — ganz zum Schluss also, after all is said and done, blitzt in der Hand des metaphysischen Spielers eine ganz und gar neuartige Waffe auf, ein glänzendes Stück Metall, nicht scharfkantig, nicht spitz, aber tödlicher als jeder schottische Strumpfdolch: eine Münze. Der Glaube an genealogische, durch „Blut“ begründete Machtlinien, so suggeriert die kurze Szene, wird bald durch ein neues Zeichensystem ersetzt werden. Die Zirkulation des Geldes, schreibt Thomas Hobbes im Leviathan, vier Jahrzehnte nach Shakespeare, sei „gewissermaßen der Blutkreislauf des Staates“. Es beginnt das Zeitalter der Zwischentauschmittel; der nächste Thronanwärter wird erst gegen einen Obulus herausgerückt. Das reale, rote, überlebenswichtige Blut wird natürlich auch weiterhin vergossen werden, womöglich mehr als zuvor— aber nicht mehr im Namen des Blutes.•