Realer als man denkt
Seit Freud gilt die Traumdeutung als Metier der Psychoanalyse. Doch was, wenn Ursachen für unsere Leiden gar nicht in unserer Psyche und Familie zu finden sind, sondern in politischen Missständen? Bernard Lahire meint: Es braucht eine Soziologie des Traums.
Der Traum (…) hat nichts mit der Verwirklichung von Situationen zu tun, die ‚erträumt‘ (gewünscht, erwünscht etc.) sind. Es ist sogar etwas paradox, dass das Wort ‚Traum‘ in seiner allgemein verstandenen Bedeutung für Situationen verwendet wird, die zwar sehr beneidenswert oder wünschenswert sind, aber Ideale darstellen, die unverhofft, illusorisch und weit von der Realität entfernt sind („Ich träume davon, die Welt zu bereisen“, „Ich träume davon, reich zu werden“, „Es ist ein Kindheitstraum“, der „amerikanische Traum“, „Es ist nur ein Traum“, „Zwischen Traum und Wirklichkeit klafft eine Lücke“, „Träume mit der Wirklichkeit verwechseln“ usw.). Der Traum ist das genaue Gegenteil von solchen idealisierten Inszenierungen. Selbst wenn er fantastische und inkohärente Formen annimmt, so ist er doch außerordentlich realistisch, da er Elemente der realen Erfahrung des Träumers sowohl aus der Vergangenheit als auch aus der Gegenwart „verarbeitet“, manchmal aus der weit zurückliegenden Vergangenheit oder manchmal, im Gegenteil, aus viel jüngeren Erfahrungen. (...)
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