Sind wir alle Pyromanen, Herr Sloterdijk?
Mit dem Feuergeschenk des Prometheus setzt die menschliche Zivilisation ein. Beginn einer fatalen Fehlentwicklung? Im Gespräch über sein soeben erschienenes Buch Die Reue des Prometheus erläutert Peter Sloterdijk, wie der Mensch zum Brandstifter wurde und was das für eine künftige Öko-Revolution bedeutet.
Herr Sloterdijk, Ihr neues Buch heißt Die Reue des Prometheus. Hätte Prometheus dem Menschen nie das Feuer geben sollen?
Er hätte vielleicht die Folgen bedenken müssen. Zugegeben, solche nachträglichen Überlegungen tauchen auf, sobald man das Gefühl hat, es ist zu spät, um die Sache vom Anfang her zu revidieren. Denn wenn man sagt: „Das ist schon seit 1000 v. Chr. oder seit 10.000 Jahen schiefgelaufen“, sagt man ja etwas ganz anderes, als wenn man konstatieren wollte: „In der Mitte der Aufklärung im 18. Jahrhundert wurden einige Weichen falsch gestellt.“ Man könnte diesen Unterschied auch mit Voltaire und Heidegger erklären.
Wie?
Bei Voltaire gehören Irrtümer zu den reversiblen Dingen. Aufklärung ist wertvoll, weil sie uns immer noch rechtzeitig sagen kann, welche Irrtümer zu benennen und zu beheben sind. Bei Heidegger ist man schon ab Plato auf dem falschen Weg, wir haben 2500 Jahre Irrtumsgeschichte in den Knochen. Der Mythos des Prometheus, der über die Erfindung des Feuers reflektiert, gehört zwar in die Zeit davor, die vorsokratische Dämmerung. Und dass Prometheus in der Einschätzung des jungen Marx zu den „vornehmsten Heiligen im Kalender der Philosophie“ gehört, deutet an, der feuerbringende Titan hat uns etwas ausgehändigt, was noch immer die guten Möglichkeiten zukünftiger Technologie enthält. Demnach wäre das Feuergeschenk als solches noch nicht der ungeheure Fehler gewesen, als welcher er nun zunehmend erscheint.
Zum Zusammenhang von Feuer und Maschine kommen wir gleich noch, zunächst eine Frage zum Feuer als solchem: Als Elementarkraft ist das Feuer von hoher Faszination. Welche Rolle spielt das für unseren Umgang mit ihm?
Dass das Feuer zum Numinosen tendiert und eher auf die Seite der Götter als der Dinge gehört, das ist eine sehr alte Intuition. Bei den alten Indern finden sich sehr ausgeprägte feuertheologische Konzepte, auch bei den Persern. Der alte Brahmanismus war ein einziger großer Feuerritus. Alles kommt aus dem Feuer, alles kehrt ins Feuer zurück. Dazwischen liegen die Stadien des nichtfeurigen Lebens, die aber immer von neuem durch das Feuerrad hindurchlaufen. Wie bei allem Numinosen hat der Mensch auch dem Feuer gegenüber mehr als eine Empfindung. Es ist erhaben, zugleich transzendent und verzehrend, aber auch nützlich und handhabbar. Bis vor wenigen Jahrhunderten lebten wir Europäer in Städten, in denen Nachtwächter die Aufgabe hatten, nach Einbruch der Nacht die Hausbewohner aufzufordern, die Lichter auszumachen: Couvre-feu heißt der Befehl bei den französischen Nachbarn: Bedecke das Feuer! Wo der Befehl schlecht befolgt wurde, brannten manchmal ganze Städte ab.
In Das Unbehagen in der Kultur beschreibt Freud interessanterweise umgekehrt den Verzicht auf das Feuerlöschen als zivilisatorische Errungenschaft. Der Urmensch habe eine infantile Lust befriedigt, indem er eine züngelnde Flamme durch seinen Harnstrahl auslöschte. Erst im Moment des Lustverzichts konnte er das Feuer für sich nutzen: „Dadurch, daß er das Feuer seiner eigenen sexuellen Erregung dämpfte, hatte er die Naturkraft des Feuers gezähmt.“
Das klingt phantastisch, man möchte auf der Stelle Psychoanalytiker werden (lacht), dann hat man die Lizenz zu den kühnsten metaphorischen Operationen, dieses Mal mit dem Segen einer wissenschaftlichen Semantik. Doch im Ernst, der Brückenschlag zwischen den Konzepten „Feuer“ und „Sexualität“ findet sich auch schon bei Dante. Das Fegefeuer seines Purgatorio ist der Abschnitt in der Hölle, der für die Sexualsünder reserviert bleibt: Das Feuer hier ist dort wohl das Andere wert. Feurige Sexualsünden werden durch entsprechende Strafleiden abgebüßt. Der entsprechende terminus technicus bei Dante heißt „il contrapasso“, das Gegenstück. So werden den Neidischen die Augen, aus denen das Gift strömte, zugenäht, und so weiter.
Ist der Mensch anthropologisch – Löschlust hin oder her – am Ende eher pyromanisch veranlagt?
Es mag sein, dass es einen gewissen pyromanischen Anarchismus in uns gibt, der als Residuum im Gemüt da ist. Andererseits stellt man auch eine auffällige Freude an Bildern von Überschwemmungen fest. Man kann Menschen fast typologisch einteilen: Wenn es richtig brennt, halten die einen eher zum Feuer, die anderen eher zur Feuerwehr.
In Ihrem Buch gehen Sie der Frage nach, wie die Menschheit zu einem „Kollektiv von Brandstiftern“ wurde, „die an die unterirdischen Wälder und Moore Feuer legen“. Wie wurden wir zu diesen Zündlern, die fossile Brennstoffe in so riesigem Ausmaß zur Energiegewinnung nutzen?
Menschheitsgeschichtlich bedeutsam ist die seit dem Spätmittelalter in Gang kommende Ersetzung des Sklaven durch die Maschine. Vor ca. 8000 Jahren begann man in frühen Staaten, Menschen zu jagen und sie zu versklaven. Man denke an Lewis Mumford und seinen Mythos der Maschine. Ihm zufolge waren die ersten Maschinen die Sklavenheere, die zum gemeinsamen Funktionieren organisiert wurden. Auch nach dem Untergang der mesopotamischen und ägyptischen Despotien blieb die Institution der Sklaverei erhalten. Um sie zu erklären, musste man bei den Griechen die Kollektive der Menschen an einer sensiblen Stelle spalten: Die einen wurden als sprachfähige Werkzeuge definiert, die anderen als freie Menschen. Erst mit der Erfindung der modernen Kraftmaschinen im 17. Jahrhundert konnte der eigentliche Abolitionismus (die Abschaffung der Sklaverei; Anm. d. Red.) einsetzen. Dann erst konnte Fichte auftreten und deklarieren: „Das Vernunftwesen ist nicht dazu bestimmt, Lastträger zu sein.“ Es gibt einen starken internen Zusammenhang zwischen der Abschaffung der Sklavenarbeit und der Geschichte der maschinellen Pyrotechnik, die es ermöglicht, nichtmenschliche Energie in menschliche Dienste zu nehmen.
Aber erlebte die Sklaverei nicht einen besonders schlimmen Gipfel gerade in dieser Epoche?
Das ist richtig, die Sklavenarbeit in der kolonialistischen Landwirtschaft, Stichwort Zucker, bildet zwischen 1500 und 1900 ein düsteres Kapitel der neueren Menschheitsgeschichte, wie auch der Bergbau in Argentinien. Da ist einiges aufzuarbeiten. Doch auch 1200 Jahre arabisch-muslimisches Sklavenwesen warten auf ihre historische Würdigung.
Sie schreiben, dass ein erwachsener Angehöriger einer Industrienation so viel energetischen Komfort genießt, als ob ihm 20 bis 50 Haushaltssklaven zur Verfügung stünden.
Man muss begreifen, welches Drama seit gut 250 Jahren auf der Weltbühne des Westens gespielt wird: Seit dem 18. Jahrhundert erhebt eine bürgerliche Avantgarde den Anspruch, die Menschheit im Ganzen zu vertreten. Diese Vorhut möchte nicht mehr einsehen, warum sie nicht so gut leben soll wie die Adeligen. Der psychodynamische Motor der geschichtlichen Bewegung der Industriegesellschaft ist das Verlangen der großbürgerlichen Schichten, in ihrem modus vivendi adelig zu werden, also genügend Hausangestellte zu haben und in großzügigen Räumen zu leben. Die Nachahmungskaskade ist nach unten offen. Bürgertum orientiert sich am Adel, Kleinbürgertum am Bürgertum, Arbeiterschaft am Kleinbürgertum. In diesen Kraftfeldern werden all die technischen Haushaltshilfen benötigt, die das moderne Dasein garantieren. Fast jeder von uns beschäftigt via Maschinen 50 unsichtbare Sklaven – um von den 50 und mehr Pferdestärken unter der Motorhaube nicht zu reden.
Wobei es interessant ist, dass wir, im Unterschied zu den Adeligen, überhaupt nicht weniger arbeiten durch die Indienstnahme der Maschinen. Eher ist das Gegenteil der Fall.
Haushaltsgeräte verschaffen uns Zeit für Dinge, die uns noch stärker unter Stress setzen, als bloßer Haushalt es vermöchte. Das legt ein tiefgehendes Zivilisationsparadoxon offen, nämlich dass wir durch Entlastung zu Mehrbelastung gelangen. Das ist eines des Phänomene, angesichts welcher man Lessing zitieren möchte: „Wer über gewissen Dingen nicht den Verstand verliert, der hat keinen zu verlieren.“
In Ihrem Buch aber verfolgen Sie einen anderen Pfad, nämlich unsere Indienstnahme der Erdgeschichte …
Durch die Kohle ist ein neuer Titan in die Welt getreten. Titanen sind Götter von unten, Riesenenergien, die dumm und übermächtig sind. Es war die große Leistung der griechischen Theologie, dass sie Olympier an die Stelle von Titanen setzte. Wir haben nun Grund zu der Behauptung, dass das Titanische wieder unter uns ist. Mit der Kohle ist ein neuer Titan aufgetaucht. Schon um die Mitte des 19. Jahrhundert wurde statuiert: Wollte Großbritannien die Energieleistung der landeseigenen Kohle mit Holz aus aktuellem Wuchs erzeugen, müsste es Wälder von der zweieinhalbfachen Größe Großbritanniens verbrennen. Worum es bei der Kohle geht, ist der ungeheure Verdichtungsvorgang: In der Steinkohle sind Hunderttausende, ja Millionen Jahre pflanzlicher Erdgeschichte komprimiert. Diese hochgebündelte Energie werfen Sie in die Ofen, die Energie von einst wird über die Epochen hinweg freigesetzt – die Urzeit geht direkt in Humangeschichte über. Das Bild von der Brandstiftung im „unterirdischen Wald“ (der Ausdruck ist von dem jungen Rolf Peter Sieferle) hat mich während meiner Arbeit verfolgt. Übrigens verdanke ich auch einiges dem jungen brillanten Wirtschaftshistoriker Pierre Charbonnier, der ein Buch mit dem Titel Überfluss und Freiheit vorgelegt hat – ein Titel, der ins Schwarze trifft.
Was genau sagt es über uns, dass wir die erdgeschichtlichen Wälder verbrennen?
Das sollte man sich klarmachen: Wir sind in der etwas unheimlichen Lage, dass wir die gute alte Erde und die vielen Millionen Jahre an organischen Sedimenten in ihr behandeln, als wäre sie ein kosmischer Catering-Service für postmoderne Partys und dekadente Wagenrennen.
Kürzlich hat Verkehrsminister Wissing durch ein VETO das EU-weite Aus für Verbrennungsmotoren ab 2035 gestoppt. Für Verbrenner, die mit sogenannten E-Fuels arbeiten, solle es eine Ausnahme geben. Kann das die Reue des Prometheus besänftigen?
Prometheus ist ein Titan des Wohlwollens, er lässt seine Menschenkinder an der langen Leine ihre Spiele treiben. Ist die Regel klug, kann man die Ausnahme gelten lassen.
Sie sprechen gegen Ende Ihres Buches von „post-promethischen Technologien“ und einem „energetischen Pazifismus“, der das Verbrennen überwindet, außerdem von einer „Entflechtung der Metropolräume“ und einer „Helvetisierung des Planeten“. Läuft diese Vision auf eine direktdemokratische Postwachstumswelt hinaus?
Diese Zielangaben sind im klassischen Sinne hyperbolisch, also übers Ziel hinaus formuliert. Die Hyperbel, die Übertreibung, ist die Art und Weise, wie man Gegenstände von unklaren Dimensionen am besten kommentiert. Es ist besser, zu weit zu werfen als nicht weit genug. Steht schon bei Quintilian. Der Wurf, den ich skizziere, geht 300 bis 400 Jahre nach vorne. Bis dahin sollten all die hybriden Großstaatsgebilde von heute verschwunden sein und junge Politologinnen (dann ein reiner Frauenberuf) füttern ihre Chat-Systeme mit Leitbegriffen für Abhandlungen über das giftige Erbe der Nationalstaaten-Ära.
Wie wird ein Ende des Überflusses zu erreichen sein – durch ein neues Selbstverständnis des Menschen, wie Bruno Latour es mit seinem Gaia-Konzept forderte? Oder durch eine Öko-Revolution, angezettelt durch einen „grünen Lenin“, wie Sie schreiben?
Ich vermute, beides wird sich parallel entwickeln, so wie es in der klassischen Arbeiterbewegung auch der Fall war. Wir werden Radikale haben und wir werden Gemäßigte haben. Doch eines sollte von vorherein klar sei: „Die Reaktion“ gegen eine Ökodiktatur würde noch weit über das hinausgehen, was auf dem Feld des Antikommunismus zu beobachten war. Und doch: 100 Jahre Warnungen vor dem Kommunismus haben seinen Durchbruch nicht verhindert. Man muss nur lesen, was Heinrich Heine in den 1840er Jahren über seinen Kollegen Karl Marx zu sagen hatte. Die Ökodiktatur kündigt sich doch schon mancherorts fast unverhohlen als die zweite Chance des Kommunismus an.
Sie halten es, wie Sie schreiben, für einen der größten Fehler, dass man den Nationalstaaten bedingungslos den Besitz von Bodenschätzen zubilligte. Stattdessen werben Sie, analog zum Weltkulturerbe, für ein „Weltbodenschatzerbe“ – heißt das, Sie wären im Zweifelsfall dafür, Nationalstaaten zu enteignen? Meinen Sie das richtig ernst?
Das meine ich völlig ernst. Auch der Luftraum über unseren Köpfen kann ja nicht bis in beliebige Höhen nationalisiert werden. Man müsste alle Substanzen, die tiefer liegen, zu einer Art Weltkulturerbe der Mineralien, Erze und fossilen Materien zusammenfassen, in einen Weltbodenschatz-Kataster. Damit würden die auf Dauer unerträglichen Zufälligkeiten der Funde ausgeglichen, es könnte sich ein alternatives Empfinden für Gerechtigkeit und gemeinsamen Reichtum entwickeln. Vor allem würde das Konzept des Gemeinreichtums den wahrhaft bodenlosen Egoismus derer bloßstellen, die den Unterschied zwischen Besitz und Eigentum nicht verstehen.
Worin liegt der Unterschied?
Der Besitzer ist derjenige, der, wie der Name sagt, aus seinem sitzenden Verhalten über einer Sache seine Verfügungsrechte ableitet. Aber der Eigentümer ist, als juristische Figur genommen, nicht notwendig mit dem Besitzer identisch. Der Eigentümer ist jener, der das Recht hat, den Gebrauch der Sache an den Besitzer abzutreten. Daraus folgt: Man muss das juristische Subjekt „Menschheit“, das als solches noch keinen Status erlangt hat, als rechtsfähigen Körper konstruieren und als solchen zum Eigentümer des Weltbodenschatzerben erklären. Dann müssten die Nationen weltweit so abgerüstet sein, dass die Nationalwahnsysteme sich nicht mehr mit Gewalt um die Beute im eigenen Boden schlagen können. Man braucht hierfür, wie gesagt, nur ein paar hundert Jahre Geduld. Das Ziel ist klar.
Letzte Frage, Herr Sloterdijk: Haben Sie Verständnis für die Klebeaktionen der Letzten Generation?
Ich wäre eher beunruhigt, wenn so etwas nicht geschehen würde. Das würde nämlich beweisen, dass die gesamte Jugend sich von Bildern des amüsanten Lebens hätte verführen lassen. Das würde mir viel mehr Sorgen machen. •
Peter Sloterdijk ist Philosoph und einer der bedeutendsten Denker der Gegenwart. Sein Buch „Die Reue des Prometheus. Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung“ ist im März bei Suhrkamp erschienen.
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