Bedecke deinen Himmel, Zeus
Durch einen neuen Hightech-Laser sollen sich Gewitterblitze künftig gezielt lenken lassen. Wird der Mensch endgültig zum himmelstürmenden Prometheus? Oder zeigt sich darin eine ganz andere menschliche Eigenschaft?
Eine kürzlich veröffentlichte Studie präsentiert ein neuartiges Verfahren, durch das es künftig möglich sein soll, Blitzschläge mithilfe eines künstlichen Laserstrahls einzufangen. Dafür wird ein energiereicher Laser in den Himmel geschossen, was einen ionisierten Kanal aus stark erhitzen Luftmolekülen in der erdnahen Atmosphäre erzeugt. Durch die Wirkung physikalischer Kräfte werden entstehende Blitze in diesen Kanal gelenkt und so ihr unkontrollierter Einschlag auf dem Erdboden verhindert.
Das Projekt stellt einen radikalen Bruch mit der bisherigen Methode dar, Gewitterblitzen entgegenzutreten. Die dahinterliegende Idee, sich gegen Blitzeinschläge auf möglichst effektive Weise zu wappnen, ist keineswegs neu. Doch bislang basiert die Technik auf geerdeten Blitzableitern aus Metall, die erst in relativer Bodennähe mit dem nahenden Blitz in Kontakt treten und ihn so lediglich an einem zu schützenden Objekt vorbeiführen. Dieses von Benjamin Franklin entwickelte Verfahren hat sich seit dem 18. Jahrhundert kaum verändert.
Das prometheische „Laser Lightning Rod“-Projekt greift dagegen aktiv in die Struktur der Atmosphäre ein, um drohende Blitzschläge bereits in troposphärischen Höhen abzugreifen. In Zukunft – dies stellt die Studie in Aussicht – sei es auf Grundlage dieser Technik sogar möglich, Blitze nicht nur zu lenken, sondern zu einem selbstgewählten Zeitpunkt auslösen zu können. Die präventive Manipulation natürlicher Prozesse wäre ein gewaltiger Schritt auf dem Weg zur endgültigen menschlichen Naturbeherrschung im Zeitalter des Anthropozäns.
Wider die überirdische Autorität
Mit dem Begriff des Anthropozäns wird ein neues Zeitalter bezeichnet, das maßgeblich durch die Einwirkungen des Menschen auf die Umwelt geprägt ist. Wie der Philosoph Bernd Scherer in einem vor kurzem veröffentlichten Gespräch im Philosophie Magazin ausführt, lässt sich der zentrale Umschlagpunkt dieser Entwicklung in der Mitte des 20. Jahrhunderts verorten. Doch der Ehrgeiz, die einst den antiken Göttern vorbehaltene Himmelssphäre und ihre Naturgewalt zu beherrschen, ist weitaus älter. Er zieht sich seit jeher durch die westliche Kulturgeschichte. Eindrucksvoll kommt diese Haltung etwa in der Prometheus-Hymne des jungen Johann Wolfgang von Goethe zum Ausdruck: „Bedecke deinen Himmel, Zeus, / Mit Wolkendunst! / Und übe, Knaben gleich, / Der Disteln köpft, / An Eichen dich und Bergeshöh’n; / Mußt mir meine Erde / Doch lassen steh’n / Und meine Hütte, die du nicht gebaut, / Und meinen Herd, / Um dessen Glut / Du mich beneidest.“
Voll Verachtung wird hier dem stolzen und zorneswütigen Zeus begegnet, der die menschliche Kultur verschonen und seine Blitze – wie ein distelköpfender Junge – lieber auf freistehende Bäume und Berggipfel werfen soll. Goethe greift mit dem Gedicht die antike Prometheus-Sage auf, jenen Mythos, der konstitutiv für das menschliche Selbstverständnis geworden ist: Der Menschenfreund Prometheus aus dem Geschlecht der Titanen lehnt sich darin gegen die Götter, vor allem gegen den Göttervater Zeus auf, und entwendet ihnen die sakrosankte Macht des Feuers. Zum Hohn der olympischen Gottheiten übergibt er sie den frierenden und weitestgehend hilflosen Menschen, die das Feuer daraufhin als Kulturtechnik zu nutzen lernen. Die Entwicklung der menschlichen Zivilisation beginnt demnach mit einer List gegen den blitzewerfenden Göttervater. Die Auflehnung gegen göttliche und natürliche Autoritäten prägt das menschliche Geschlecht von Anfang an.
Es scheint, so lässt sich daraus schlussfolgern, dem Menschen in die Wiege gelegt, sich gegen die bezwingende Macht der Blitze zu wehren, ganz gleich, ob sie nun göttlichen oder natürlichen Ursprungs sind. Ist die Laserkanone zur unschädlich machenden Ablenkung von Gewitterblitzen also nur ein weiterer Schritt auf diesem Weg? Ergibt sie sich folgerichtig aus der gängigen Praxis des Menschen, sich mithilfe von Technik gegen natürliche Gefahren zu wehren? Betrachtet man die Entwicklung der Blitzabwehr, lässt sie sich in drei historische Phasen unterteilen.
Apotropäische Versuche
In einem ersten Stadium sucht der Mensch durch magische Abwehrversuche, etwa durch die Praxis des Wetterläutens mithilfe von Kirchenglocken, nahende Unwetter zu verhindern oder zu vertreiben. Auch der Schrift wurde in diesem Zusammenhang magische Kraft zugesprochen. So erhielt eine Glocke des Münsteraner Klosters Allerheiligen zur Zeit von Martin Luther die eingravierte Inschrift: „Die Lebenden rufe ich. Die Toten beklage ich. Die Blitze breche ich.“ Im zweiten Stadium beginnt der Mensch im Zuge der neueren Erkenntnisse um das Phänomen der Elektrizität im 18. Jahrhundert konkrete Vorkehrungen zu treffen und Blitzableiter zu installieren.
Der Hightech-Laser könnte nun das dritte Stadium einleiten, in dem nicht mehr nur der reale Einschlag umzuleiten gesucht wird, sondern Blitze bereits aus der Luft heraus in andere Bahnen gelenkt werden. Vom fernen Ruf der Abwehr (Wetterläuten) über die gezielte Eskorte am Boden (Blitzableiter) zum geebneten Weg durch die Atmosphäre (Laserblitz). Im Kern lassen sich alle drei Verfahren als „apotropäische Handlungen“ begreifen, die lediglich in unterschiedlichen Graden messbare Resultate liefern. Das Wort „apotropäisch“ bezieht sich auf jene rituellen und symbolischen Praktiken, mit denen sich gegen dämonische Mächte gewehrt und Unheil abgewendet werden soll. Der Endzweck ist bei allen diesen Handlungen derselbe: Der menschliche Kulturraum soll vor bedrohender Gefahr beschützt werden. Erfüllt sich nun in der laserbasierten Blitzabwehr der alte Traum der Menschheit, den Himmel zu stürmen, ihn im eigenen Interesse umzugestalten und keine äußere Gewalt gelten zu lassen?
Der Mensch als Trickser
Zwei Aspekte der neuen Methode scheinen dieser Deutung zu widersprechen. Zum einen ahmt der Laser im Wesentlichen die Natur nach: Bei einem natürlichen Blitzeinschlag bildet sich am Erdboden die sogenannte „Fangladung“, die dem aus der Gewitterwolke rasenden Blitz von unten entgegeneilt und ihn zu einem meist vorstehenden Objekt leitet. Im physikalischen Sinne ist ein Blitzeinschlag schließlich nichts anderes als ein Ausgleich von Ladung im elektrischen Feld zwischen Erdboden und Wolke. Auf diese Weise entsteht in der Atmosphäre ein Kanal aus elektrisch leitenden Molekülen, durch die der Blitz hinabjagt. Der blitzfangende Laserstrahl funktioniert auf ähnliche Weise, indem er einen künstlichen Kanal erzeugt, der ebenfalls vom Erdboden nach oben gelenkt wird und den Blitz auf diesem Weg hinableiten soll.
Dies ist zugleich der zweite Aspekt: Denn im Grunde wird der Blitz auch durch die neue Technik nicht gebändigt. Es wird ihm vielmehr ein Weg bereitet und gewissermaßen vorgeschlagen, sich auf diesem Richtung Erde zu bewegen. Das ist kein Ausdruck eines sich mit aller Gewalt über die Natur stellenden Menschen, der die Welt göttergleich beherrscht. Ein Gott hätte die Macht, dem Blitz seinen Willen aufzuzwingen. Die Blitzabwehrtechnik offenbart vielmehr, worin das eigentliche Geschick des Menschen liegt.
Der Mensch ist kein Himmelsstürmer, kein absolutes Machtwesen. Er ist kein Gott, der die Welt per Handgriff regiert. Er ist vielmehr ein Trickser, der mit gekonnter List ins Naturgeschehen eingreift. Er stellt vorbereitete Wege zur Verfügung und schmeichelt der Naturgewalt auf diese Weise. Damit ist ihr Wille weder gebrochen noch bezwungen. Er ist vielmehr durch die Methode der Einflüsterung im Sinne des Menschen, aber ebenso im Sinne der Natur selbst geändert worden. Dem Blitz wird nahegelegt, dass der Weg über den ionisierten Kanal aus ganz praktisch-physikalischen Gründen auch für ihn das Beste ist. Der Mensch ist ein Schmeichler und Verführer, ein Charmeur und Diplomat. Darin besteht sein wahres prometheisches Potential. •