Singen in Zungen
Das neue Album French Kiss von Chilly Gonzales ist eine Hommage an das vermutlich vielseitigste Organ des Menschen.
Sie kann schmecken, lecken, küssen, saugen, sie kann rotzfrech herausgestreckt oder suggestiv in den Mundwinkel gesteckt werden, und sie kann natürlich sprechen: Die Zunge ist das vermutlich vielseitigste Organ des Menschen. Dennoch ist nur die letzte der genannten Fähigkeiten in der Semantik aufgehoben: Begriffe wie das altgriechische Wort glossa, das lateinische lingua, das französische langue oder das rumänische limba haben stets den Doppelsinn von „Zunge“ und „Sprache“, niemals aber jenen von „Zunge“ und „Geschmack“, oder gar „Zunge“ und „Kuss“. Auch die etwas altertümliche Formulierung, jemand sei „deutscher Zunge“, meint nicht, dass die fragliche Person besonders teutonisch küsst oder ein Faible für Bratwurst und Sauerkraut hat, sondern dass sie die deutsche Sprache beherrscht. „Das Erkenntnisvermögen der Zunge“, schreibt der Philosoph Harald Lemke, „wird ausschließlich über ihre Redeleistung und logische Oralität gedacht, so, als ob es weder den Verstand noch das Wohl eines mundvollen Zungenspiels gäbe.“ Die unbestreitbaren sinnlichen Qualitäten des Organs treten hinter den abstrakt-rationalen zurück.
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