Was ist eine „Ethik des Nie wieder“, Herr Sznaider?
Lässt sich auf der Singularität des Holocaust beharren, ohne die Schwere anderer Verbrechen auszublenden? Um diese Frage geht es dem Soziologen Natan Sznaider in seinem neuen Buch, den wir auf einen Spaziergang durch seine Heimatstadt Tel Aviv getroffen haben.
Der Rothschild Boulevard, im Zentrum von Tel Aviv. Viele Menschen sind mit Rollern auf dem breiten, teils begrünten Mittelstreifen des Boulevards unterwegs. Natan Sznaider erscheint eine Stunde zu spät an dem vereinbarten Treffpunkt. Sein Online-Kalender sei noch auf die deutsche Zeit eingestellt gewesen, entschuldigt er sich. Noch vor Kurzem war der Soziologe länger in dem Land, indem er geboren wurde und noch heute populärer ist als hier in Israel, wo er lebt und lehrt. Manche seiner Bücher sind nur auf Deutsch erschienen, sein jüngstes Werk Fluchtpunkte der Erinnerung erst Anfang des Jahres. Geschätzt wird Sznaider als ein Denker, der sich auf nüchterne Weise in ein hitziges Spannungsfeld begibt. Im Zentrum seines aktuellen Schaffens steht die die Frage: Wie kann es gelingen, Holocaust und Kolonialismus in einer „Ethik des Nie wieder“ zusammenzudenken?
In der Debatte geht es um mehr als um theoretische Argumente, es geht häufig auch um die eigene Identität: um die von Nachkommen von Shoah-Überlebenden oder Kolonialisierten, von Menschen, die von Antisemitismus oder Rassismus betroffen sind. Sicher auch um die der Deutschen. Und es geht um den jüdischen Staat Israel. Im Mittelpunkt steht dabei ein uraltes philosophisches Problem: das Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen. Philosophen sprechen von einem Spannungsfeld von Partikularismus und Universalismus, wobei der Partikularismus grobgesagt für das Spezielle steht, für etwas, das nur für eine bestimmte Gruppe oder ein bestimmtes Ereignis gilt. Etwa für gruppenspezifische Interessen innerhalb eines Staates. Der Universalismus aber bestimmt das Verallgemeinerbare. Er steht für Aussagen, die für alle gelten sollen – ohne Ausnahme. Viele sehen die Universalisierbarkeit moralischer Urteile als Bedingung für ihre Gültigkeit.
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