Ökologie des Mangels
Die Anpassung an den Klimawandel und der Rohstoffkrieg mit Russland verlangen Verzicht. Auf die Frage, wie man ihn gerecht leisten kann, hat der DDR-Philosoph Wolfgang Harich vor knapp 50 Jahren eine Antwort gefunden. Zeit für eine Wiederentdeckung.
Wassermangel, Gasknappheit, fehlendes Baumaterial, Stromkrise, Inflation und trübe Wirtschaftsaussichten dominieren die Schlagzeilen des Spätsommers. Mit ihnen – davon zeugt der Umschlag der politischen Rhetorik – entwickeln sich Sparen, Mangel und Verzicht zu politischen Leitideen, und das in einer Geschwindigkeit, dass auch dem größten Kritiker von Verschwendung, Überfluss und Luxus mulmig werden dürfte. Wir scheinen auf eine echte Notsituation zuzusteuern.
Das politische Denken der vergangenen Jahre hat dazu wenig beizutragen. Ihm ging es um Wohlstand für alle, ein schönes Europa, eine friedliche Welt, in der Anerkennung und Deliberation eine intakte Öffentlichkeit garantieren, damit auch jene Gruppen etwas abbekommen, die bislang außen vor waren – weil man Angst hatte, dass sie sich sonst den Populisten an den Hals werfen. Es ging um mehr für mehr, was schließlich zu allem für alle führen sollte. Einzig ein paar Klimaapostel warnten, dass es nicht ewig so weitergehen könne. Diese wurden zwar gehört und gewählt, doch insgeheim hofften wohl viele auf eine technologische Lösung, die es uns erlaubt, künftig mit Windkraft zu prassen und Solar-SUVs durch die Gegend zu fahren. Nun kommt das Ende des Überflusses vielleicht schneller als gedacht.
Schönheit des Verzichts
Um der neuen Situation gerecht zu werden, hat Christian Geyer jüngst in der FAZ vorgeschlagen, Herbert Gruhl zu lesen. Das Buch des Klimaschützers und CDU-Bundestagsabgeordneten Ein Planet wird geplündert war in den 1970er-Jahren ein Beststeller. Der Club of Rome hatte gerade seinen Bericht über Die Grenzen des Wachstums veröffentlicht und die allgemeine Öko-Aufregung war groß, legte sich aber wieder, als in den Folgejahren neue Rohstoffe gefunden wurden. Die Ressourcen, so die beruhigende Botschaft, gehen uns ja doch nicht aus. Zwar kam in den 80er-Jahren die Warnung vor dem Klimawandel dazu, doch das wollte man nicht so genau hören. Man hatte ja gerade damit begonnen, die Märkte zu entfesseln, da wollte man sie nicht gleich wieder regulieren. Erst recht nicht, als 1989 die Mauer fiel und Partystimmung herrschte. Wachstum war keine Drohung mehr, sondern ein Versprechen, beinahe ein Menschenrecht.
Nun also die neue Situation, zu der Gruhl tatsächlich einiges zu sagen hat: „Die auf uns folgenden Generationen werden mit blanker Wut und Verachtung auf den Egoismus der Menschen des 20. Jahrhunderts zurückblicken, die sich vornahmen, den Erdball in 100 Jahren auszuplündern.“ Was ein Heer von Klimaexperten und Umweltaktivisten bislang nicht durch vernünftiges Zureden schaffte, setzt nun die geopolitische Notlage mit Gewalt durch: die Gewöhnung an den Mangel. Das kann jedoch, wie Gruhl prophezeite, zu ganz neuen Einsichten führen: „Jetzt erkennen wir, was die Dinge wirklich kosten: nicht nur Arbeit oder Geld, sondern sie kosten die Zukunft und damit ein Stück des Lebens unserer Kinder. Ist das nicht Grund genug, die Güter anders zu bewerten und wieder sparsam damit umzugehen?“ Ohnehin könne man gar nicht so viel genießen, wie man produziert: „Das Renommierbedürfnis des Menschen ist noch immer seine schwächste Stelle. Tag für Tag schuftet er für Dinge, zu deren Genuss er kaum Zeit haben wird.“ Im Verzicht, so die beruhigende Botschaft Gruhls, kann sogar Schönheit liegen.
Was, wenn einer nicht verzichten will?
Das klingt wie ein maßgeschneiderter Kommentar zur heutigen Lage, hat aber einen Haken: Wird es nicht ein Hauen und Stechen geben, wenn die zum Verzicht Bereiten (oder vielmehr: Gezwungenen) sehen, dass andere es weiterhin richtig krachen lassen – einfach weil sie es können, da sie mehr Geld haben? Die ästhetische Umkehr wird nicht so schnell erfolgen, wie der Verzicht notwendig werden dürfte. Viele wollen konsumieren, müssen es tun, weil es sich bei den Gütern größtenteils eben doch nicht um entbehrlichen Luxus, sondern Lebensnotwendiges handelt – es sei denn, man hält ein warmes Zimmer und einen gedeckten Tisch für Verschwendung.
Der Verzicht, wenn man ihn zur bloßen staatsbürgerlichen Tugend erklärt, wird zum Sprengstoff, der uns die Ordnung um die Ohren pustet, wenn man aufs Individuum, also den Markt und die damit verbundenen Gewalten setzt. Es werden ein paar Millionen vor die Hunde gehen – oder sich zumindest so fühlen, was ausreicht, damit sie sich gegen das Diktat des Mangels zur Wehr setzen.
Ein grüner Babeuf
Deshalb bietet sich vielleicht ein anderer Klassiker der frühen ökologischen Literatur zur Relektüre an: Im selben Jahr wie Gruhl veröffentlichte der Philosoph und DDR-Dissident Wolfgang Harich ein Buch über einen Kommunismus ohne Wachstum. Harich reagierte damit als einer der ersten Marxisten auf den Club-of-Rome-Bericht. Ihm war sofort klar, dass dieser die Stoßrichtung des Kommunismus für immer verändert: Ging es bis dahin um ein schönes und immer luxuriöseres Leben für alle, rückt nun der Mangel ins Zentrum, die Einschränkung, das karge Leben für alle, um den Planeten zu schonen. Die „großbürgerliche“ Überflussidee, die den Marxismus bestimmt hatte, wird von einer „kleinbürgerlichen“ Verzichtslogik ersetzt, die an Gracchus Babeuf anschließt. Dieser „erste Kommunist“ wollte die Französische Revolution dafür nutzen, den Mangel, der infolge der Misswirtschaft des Ancien Régime entstanden war, gerecht zu verteilen. Der König muss mehr abgeben als der Tagelöhner, die Herzogin mehre als die Marktfrau. Die Armen müssten eigentlich kaum verzichten, sondern die großen Verschwender, die es sich in Versailles gutgehen ließen, während das Volk hungerte.
Diese Logik übertrug Harich auf den Umgang mit der Natur, die Entlastung vom Menschen braucht, vor allem von den industriell-kapitalistischen Schwergewichten, den Herrschenden, Besitzenden und Anleitenden. Sind es nicht ihre Privatflugzeuge, Yachten und Golfplätze, die uns in diese missliche Lage gebracht haben? Und haben nicht die reichen Länder den verheerendsten ökologischen Fußabdruck? Ihnen müsste man das Handwerk der Verschwendung legen.
Kommunismus ohne Glanz
Dies verlangt natürlich – werden Gruhlianer einwenden – Zwangsmaßnahmen und Planungseifer von nie dagewesenem Ausmaß, was schwierig und brutal werden dürfte. Doch verfügen wir nicht auch – würde Harich vermutlich erwidern – mit der digitalen Technologie und dem Internet über ganz neue Steuerungsmöglichkeiten, sodass alles recht einfach und sanft durchgesetzt werden kann? Eine mit Big Data gefütterte Künstliche Intelligenz könnte Bedarf und Verbrauchslimit ermitteln, um der Menschheit ihren Platz im ökologischen Gleichgewicht zuzuweisen. Harich schlug bereits 1975 vor, einem Computer die Zuteilung der Güter zu übertragen – und zwar weltweit. Denn die ökologische Frage lässt sich nur global lösen – was den schönen Nebeneffekt hat, dass er die nationale Borniertheit, unter der der Kommunismus im 20. Jahrhundert gelitten hat, beseitigt.
Ein solcher globaler Babeuf beherrscht die Natur nicht und saugt sie nicht aus. Er macht sie zum politischen Gravitationszentrum und diszipliniert die Menschen. Die Herrschaft verschwindet, aber nicht der Zwang. Er wandert nach innen und wird zur hochgezüchteten Selbstkontrolle, gegen die der protestantische Geist des Kapitalismus eine ausgelassen-fröhliche Veranstaltung war. Die Technologie hilft dabei und ändert ebenfalls ihre Wirkrichtung: Sie verwandelt sich von einem Instrument zur Naturbeherrschung in eines der Naturanpassung.
Ein solcher Kommunismus hat nichts Angenehmes, er sorgt für reine Stabilität – des Ökosystems und der Gesellschaft –, indem er aufpasst, dass es beim Verzicht gerecht, also gleich zugeht, und das Kapital seine Idiotie nicht mehr ausleben kann. Er ist tatsächlich so langweilig, trostlos und grau, wie seine Gegner immer gesagt haben, aber auch so notwendig und vernünftig, wie seine Anhänger behaupten. •
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Kommentare
Vielleicht hat er doch was Angenehmes.
Ein Konsumjunkie auf Entzug wird eine Mangelwirtschaft sicher langweiliger, grauer und trostloser erleben als ein sich bewusst dem Konsum entziehender Mitbürger. Wenn es um Glück einer Nation geht, scheint Verteilungsgerechtigkeit ausschlaggebend, nicht ein riesiges Warenangebot (Kate Pickett/Richard Wilkinson: Gleichheit ist Glück, https://www.socialnet.de/rezensionen/11444.php).