Individuelle Freiheit – ein Auslaufmodell?
Ob Coronapandemie, Klimawandel oder geopolitische Spannungen: Je massiver die Großkrisen, desto lauter wird der Ruf, den Handlungsspielraum der Einzelnen dem Wohl aller unterzuordnen. Ist individuelle Freiheit nicht mehr als egozentrische Ideologie – oder doch Kern menschlicher Autonomie? Der Philosoph Peter Sloterdijk diskutiert mit dem Verfassungsrechtler Christoph Möllers auf dem Festival Philo.live!
Philosophie Magazin: Herr Sloterdijk, Ihre Reaktion auf den ersten Lockdown am Beginn der Coronakrise war sehr kritisch. Sie sprachen von einer „Überreaktion“, von „übertriebenem Aktivismus“ und davon, dass sich das westliche System „als ebenso autoritär erweisen wird wie das chinesische“. Hat sich hier intuitiv in Ihnen der freiheitsliebende Nietzscheaner zu Wort gemeldet?
Peter Sloterdijk: Ich weiß nicht, ob es wirklich eine nietzscheanische Reaktion war, die ich damals zum Ausdruck gebracht habe, aber der Eindruck, dass es einen gesundheitspolitischen Überaktivismus gegeben hat, der hat sich bei mir auch im Nachhinein weiterhin bestätigt. Der China-Vergleich liegt einerseits nahe, andererseits auch fern. Man darf nicht vergessen, dass die alten Chinesen ein Konzept entwickelt hatten, das im Westen unter dem Namen „Wu wei“ bekannt geworden ist. Es deutet auf eine Handlungstheorie hin, die versucht, Handlungen in Ereignisse aufzulösen. Dazu gehört das chinesische Sprichwort: Die beste Regierung sei diejenige, von der das Volk glaubt, sie finde gar nicht statt, weil der Sohn des Himmels dem Lauf des Wassers freie Bahn gewährt. Das heißt: Regieren durch Nichtregieren.
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